Mayer Amschel Rothschild
(25.02.1744 - 19.09.1812) zählt zu den berühmtesten Persönlichkeiten der neueren jüdischen Geschichte. Sein Leben fiel in eine Zeitspanne der grössten politischen Umbrüche, die Europa seit Jahrhunderten gesehen hat.
Mit dem Machtverlust des Feudalsystems und der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft, die ihren gewalttätigen Ausdruck in der Französischen Revolution fanden, definierte sich notwendigerweise auch die Rolle der Juden neu – Zeitgenossen benannten diese Entwicklung als Emanzipation der Juden. Am Beispiel Mayer Amschel Rothschilds ist interessant, zu vergleichen, wie Juden in zwei bedeutenden Machtzentren des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Frankfurt und Wien, mit den Veränderungen der Zeit mitzuhalten versuchten, die die Napoleonischen Kriege mit sich brachten. Familiäre Verbindungen der Familien Rothschild und Schnapper in Frankfurt und Wien komplettieren die Bestandsaufnahme.
Die Rothschild-Gruft Wien am alten jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs.
Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Die Lebensgeschichte Mayer Amschel Rothschilds, der, aus der jahrhundertelang alteingesessenen Frankfurter Familie Hahn stammend, aber bereits im Alter von 13 Jahren nach dem frühen Tod beider Eltern verwaist, sich seinen Weg zur Erreichung einer sozialen Machtposition bahnte, ist charakteristisch für die Umbruchszeit, die der Französischen Revolution auf dem europäischen Kontinent folgte. Die frühe Einbeziehung der Söhne ins Geschäftsleben sowie seine vorausschauende Familienpolitik und Heiratsstrategie sicherten die wirtschaftliche und damit auch gesellschaftliche Position von Kindern und Nachkommen bis ins Europa der Gegenwart ab, die Rothschilds wurden zu einem der bedeutendsten Faktoren der europäischen Finanzwesens.
Emanzipation
In seinen späteren Jahren, als die neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten, von den Franzosen zugrunde gelegt im Code Civil, sich zu manifestieren begannen, übergab Mayer Amschel Rothschild das Unternehmen an seine Söhne und widmete sich der Aufgabe der Konsolidierung des Erreichten. Dazu gehörte die Auflösung des durch die jüngsten Kriegshandlungen ohnehin schwer zerstörten Frankfurter Ghettos und die Ansiedlung des Unternehmens an einem der hervorragenden wirtschaftlichen Stellung angemessenen, verbesserten Standort innerhalb der Stadt – de facto dem Neuaufbau der Judenstadt zu Bedingungen, die dem nichtjüdischen Umfeld ebenbürtig waren. Daher zeigte der Gründer des Stammhauses Rothschild nun vermehrtes Engagement für die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung Frankfurts, für die Aufhebung des Ghettos und Niederlassungsfreiheit. Mit bedeutendem finanziellem Einsatz konnten die Juden sich von den Beschränkungen freikaufen und erhielten 1811 die rechtliche Gleichstellung.
Mayer Amschel Rothschild selbst vertrat beruflich zeitlebens landesherrliche Interessen wie jene des Hofs von Hessen-Hanau bzw. Hessen-Kassel, in entscheidendem Masse auch gegen einen Zugriff der französischen Fremdverwaltung, und scheint damit vordergründig auf Seiten der alten, feudalen Gesellschaftsordnung zu stehen. Auch sein Kampf für politische Rechte der Juden war noch keineswegs gleichbedeutend mit einer ostentativ vorgetragenen Säkularisierung, also Abkehr von der Religion und ihren Traditionen – ganz anders als etwa zeitgleich beim Wiener Sohn des mährischen Landesrabbiners, Bernhard Eskeles, der ebenfalls als Wirtschaftsmagnat für die rechtliche Gleichstellung der Juden kämpfte und dabei stark weltlich-aufgeklärt orientiert war. 1
Gleichzeitig vertrat Mayer Amschel Rothschild aber auch den Erzbischof, später Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, einen hochmotivierten Staatsmann der Aufklärung, und teilte überliefertermassen dessen weltanschauliche Einstellungen. Interessant ist daher ein Blick auf die nachfolgende Generation und die Frage, wie die Söhne, in den Hauptstädten Europas – Frankfurt, London, Paris, Wien, Neapel - platziert, um dort eigenständige Familienzweige aufzubauen und damit ein Europa umspannendes Finanzimperium, mit dem Erbe der Vaters umgingen.
Grabmonumente Mayer Amschel Rothschilds und seiner Söhne in Wien und Paris
In Wien zeigen sich die Rothschilds im Jahr 1894, zu einer Zeit, als das Wiener Judentum sich wieder verstärkt religiös-orthodoxer orientierte, immer noch stark säkularisiert, finanzierten aber zahlreiche humanitäre und karitative Einrichtungen, wie das jüdische „Rothschild“-Spital (Währinger Gürtel, 1870-74) und spendeten 1,2 Mio. Gulden an die Israelitische Kultusgemeinde Wien. Ihr Grabmal hat die Form eines klassizistischen Tempels, gestaltet vom Wiener jüdischen Ringstrassen-Architekt und Historismus-Spezialisten Wilhelm Stiassny, und wird geschmückt vom Familienwappen mit den 5 Pfeilen für die fünf Söhne Mayer Amschel Rothschilds. Keinerlei hebräische Inschrift ist an den Schauseiten angebracht, die Initialen gleichen vielmehr jenen am kurz zuvor entstandenen Familienmausoleum in Paris.
Mayer Amschel Rothschilds Grabstein am ältesten Frankfurter jüdischen Friedhof in der Battonnstrasse hingegen weist eine rein hebräische Inschrift auf, der Text ist auch inhaltlich sehr reduziert. Kein Hervorkehren besonderer Frömmigkeit oder jüdischer Gelehrsamkeit ist erkennbar, aber sehr wohl ein traditionell religiöser Zugang zum jüdischen Gemeindewesen. Keinerlei Ornamente oder andere Darstellungen schmücken die Stele, sondern ausschliesslich die sehr aufwendig und ausgefallen gearbeiteten hebräischen Buchstaben.2
Grabstein für Mayer Amschel Rothschild (1744-1812) auf dem jüdischen Friedhof Battonnstrasse in Frankfurt am Main.
Foto: Wikimedia Commons, rechtefrei.
Wer will, mag zum weiteren Vergleich noch das rein klassizistische Grabmonument von Mayer Amschel Rothschilds Neffen, Adolf Amschel Schnapper, der vom Familienprinzipal als Mitarbeiter des Bankhauses zunächst nach Paris, dann nach Wien entsandt worden war, am jüdischen Friedhof Währing in Wien heranziehen, das 1844 entstand. Es repräsentiert die Familienposition eine Generation nach dem Dynastiegründer, deren Jugend mit der Hochblüte der Emanzipationsbewegung zusammengefallen war.3
Die Rothschild-Gruft in Paris, Cimetière Père Lachaise, das Vorbild für Wilhelm Stiassnys Bau am Wiener Zentralfriedhof.
Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
1 Zum altrömischen Kenotaph von Bernhard Eskeles vgl. Tina Walzer, Die jüdischen Gründungsmitglieder der Oesterreichischen Nationalbank 1816 und ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien. Serie, Teil 1: Geschändet – verfallen – vergessen – gefährdet. In: DAVID Heft 111, Chanukka 2016, S. 48, http://davidkultur.at/artikel/die-jadischen-grandungsmitglieder-der-asterreichischen-nationalbank-1816-und-ihre-grabmaler-am-jadischen-friedhof-wahring-in-wien-1
2 Zur Inschrift vgl. die Forschungsergebnisse in der Datenbank des Salomon Ludwig Steinheim Instituts epidat: Digitale Edition – Jüdischer Friedhof Frankfurt am Main, Battonnstraße, ffb-80. URL: http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=ffb-80 (letzte Änderungen - 2016-01-20 09:00)
3 Vgl. zu den Brüdern Anton und Adolf Schnapper aus Frankfurt am Main: Tina Walzer, Die jüdischen OeNB-Gründungsaktionäre 1816. Ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien. Serie, Teil 10: Familien aus Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. In: DAVID Heft 121, Sommer 2019, Seite 33, http://davidkultur.at/artikel/die-juedischen-oenb-gruendungsaktionaere-1816-teil10