Ausgabe

Ignatz Bubis Ein jüdisches Leben in Deutschland

Monika Kaczek

Am 13. August jährte sich heuer der 20. Todestag von Ignatz Bubis, der sich  lange Jahre als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
für Toleranz und gegen Rassismus engagierte.

Inhalt

Kindheit und Jugend

Ignatz Bubis wurde am 12. Jänner 1927 im schlesischen Breslau (heute Wrocław/ Polen) als jüngstes von sieben Kindern geboren. Die Familie seiner Mutter Hannah stammte aus der polnischen Stadt Dęblin und sein Vater Jehoshua kam ursprünglich aus der Ukraine. Aufgrund antisemitischer Vorfälle zog die Familie Bubis 1935 nach Dęblin. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste Ignatz mit seinem Vater im Februar 1941 in das dortige Ghetto ziehen, wo Ignatz vom Judenrat zum Postboten ernannt wurde. Ein Jahr zuvor war die Mutter an Krebs verstorben.

1942 wurde Jehoshua Bubis ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. Sein Sohn wurde Ende des Jahres 1944 in das Zwangsarbeitslager bei Tschenstochau (Częstochowa) verschleppt, wo er in einer Munitionsfabrik arbeiten musste. Nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 16. Jänner 1945 machte Ignatz Bubis sich auf den Weg nach Lublin, um Nachrichten über das Schicksal seiner Familienangehörigen zu erhalten.

„Meine Versuche, in Lublin Informationen über meine Geschwister und meinen Vater zu bekommen, blieben ohne Erfolg. In  der ganzen Stadt wurde über nichts anderes als über vermisste Verwandte  und Freunde gesprochen. Jeder fragte jeden, ob er nicht vielleicht den Bruder, die Freundin, die Mutter, den Vater, den Ehemann oder den vermissten Sohn gesehen hätte.“1

Ignatz Bubis fand nur seinen Onkel Leib Bronspiegel, den Bruder seiner Mutter, wieder. Mit ihm zog er nach Łódź, wo er mit Pferden handelte. Später ging er mit Freunden nach Berlin, wo er im DP-Lager Schlachtensee unterkommen konnte. Zunächst war er in der Sowjetischen Besatzungszone als Geschäftsmann tätig.

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Ignatz Bubis 1995 bei der Einweihung des
Denkmals für die Opfer des Olympiaattentats 1972

(https://de.wikipedia.org/wiki/Ignatz_Bubis#/media/Datei:Denkmal_fuer_die_Opfer_des_Olympiaattentats_1972_Einweihung_1995_-_3.jpg, creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Frankfurt: Der Müll, die Stadt und der Tod

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Ignatz Bubis in Deutschland:

„Den Zeitpunkt, wo ich mich entschlossen habe, endgültig in Deutschland zu bleiben, kann ich nicht mehr bestimmen. Im Laufe der Zeit habe ich mein Vorhaben, ins Ausland zu ziehen und dort neu zu beginnen, immer wieder verschoben. (...) Ich wich der Frage aus, ob es richtig sei, hier ein neues Leben zu beginnen. Dann war es eben plötzlich ein neues Leben, und ich wollte es nicht mehr ändern. Ich verdrängte meine Zeit im Lager und sprach nie darüber, selbst mit meinen engsten Freunden nicht. Die Zeit des Krieges war tabu. Selbst viele Jahre später, als meine Tochter Naomi schon auf der Welt war, schwieg ich, wenn es um Erfahrungen aus dem Lager ging. Das erste Mal erzählte ich ihr 1979 davon, als der Film Holocaust im Fernsehen lief. Sie war damals 15 oder 16 Jahre alt. Danach brachen die Gespräche über dieses Thema wieder ab.“2   

Von 1956 an lebte Ignatz Bubis mit seiner Familie in Frankfurt am Main, wo er als Immobilienhändler zu arbeiten begann. Bubis engagierte sich stark in der jüdischen Gemeinde Frankfurts und war seit 1969 Mitglied der FDP.

Im Jahre 1975 veröffentlicht Rainer Werner Fassbinder (1945 - 1982) sein Manuskript Der Müll, die Stadt und der Tod, ein Stück, das im Rotlichtmilieu einer fiktiven Stadt spielt. In einer brutalen und herzlosen Welt arbeitet eine korrupte Verwaltung mit skrupellosen Immobilienspekulanten zusammen. Da Fassbinder einen Juden als Immobilienhändler auswählte, wurde ihm Antisemitismus unterstellt. Vor der für den 31. Oktober 1985 geplanten Uraufführung von Der Müll, die Stadt und der Tod am Frankfurter Kammerspiel demonstrierten Vertreter der jüdischen Gemeinde, besetzten die Bühne des Theaters und verhinderten die Aufführung. Zu den protestierenden Kritikern zählte auch Ignatz Bubis.

 

Die Walser-Bubis-Debatte 1998

Am 11. Oktober 1998 wurde der Schriftsteller Martin Walser mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Im Rahmen dieser Verleihung hielt Walser eine Rede, in der er den Stellenwert der Erinnerung an den Holocaust im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung thematisierte. Die Rede mit dem Titel Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede fand in den Räumen der Frankfurter Pauls-
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statt und wurde zunächst fast ausnahmslos mit stehenden Ovationen begeistert aufgenommen. Zu denjenigen, die nicht applaudierten, gehörte Ignatz Bubis, der damals auch Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland war. Bubis bezeichnete die Ansprache als „geistige Brandstiftung“ und warf Walser vor, dass er eine „Schlussstrichmentalität“ bezwecke. Als Bubis seine Kritik anlässlich einer Gedenkrede am 9. November 1998 wiederholte, wurde diese Kontroverse in den Medien verstärkt thematisiert. Bald darauf schaltete sich Klaus von Dohnányi, früherer 1. Bürgermeister von Hamburg und Sohn eines von den Nationalsozialisten ermordeten Widerstandskämpfers, ein und verteidigte Walser gegenüber Bubis. Auf Einladung von Frank Schirrmacher (1959 – 2014), des damaligen Mitherausgebers der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, fand am 13. Dezember ein Gespräch zwischen den beiden Kontrahenten statt, das den Schlusspunkt der Auseinandersetzung setzte.

 

Gesellschaftliches Engagement

Im Jahre 1978 wurde Ignatz Bubis zum ersten Mal in das Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. 1985 wurde er dort Verwaltungsrat und vier Jahre später wurde er zum zweiten Vorsitzenden des Zentralrats gewählt. Nach dem Tod des Vorsitzenden Heinz Galinski3  übernahm Ignatz Bubis dessen Amt.

Neben seinem Engagement gegen Antisemitismus setzte er sich für MigrantInnen ein. Von 1992 bis 1993 unterstützte er immer wieder die Liberale Türkisch-Deutsche Vereinigung (LTD), bei deren Veranstaltungen er oftmals als Redner auftrat. Grossen Respekt zollte er den InitiatorInnen von Lichterketten und anderen Aktionen gegen rechten Terror:

„Das ist eine sehr wichtige Erscheinung. Sie macht Mut, und ich glaube, dass dadurch auch der Staat erkannt hat, dass die Bevölkerung nicht so denkt, wie er vermutet hat, nämlich, dass sie Sympathien mit den Gewalttätern – möglicherweise – empfinden. Diese Demonstrationen und diese Lichterketten sind es, was Hoffnung macht, dass wir diese Zeit überwinden werden.“4

Ignatz Bubis starb am 13. August 1999 in Frankfurt am Main und wurde auf seinen Wunsch hin in Israel beerdigt.

 

 

Literatur

Bubis, Ignatz (mit Peter Sichrovsky): »Damit bin ich noch längst nicht fertig«. Die Autobiographie.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 1996

Bubis, Ignatz: Erschütterungen sind zu überstehen. In: Romberg, Otto R./Urban-Fahr, Susanne (Hrsg.): Juden in Deutschland nach 1945. Bürger oder „Mit“-Bürger? TRIBÜNE Verlag, Frankfurt am Main 1999, S. 14-24

Bubis, Ignatz: Nachdenklich sind alle geworden.
In: Jäger-Sommer, Johanna (Hrsg.): ASYL. Fremde
in der Festung Europa.
Benziger Verlag, Zürich 193, S.105-111.

Karasek, Hellmuth und Manz, Ulrich: „Wir haben eine Leiche im Keller“. Ignatz Bubis und Daniel Cohn-Bendit über Juden in Frankfurt und den Fassbinder-Streit.
In: DER SPIEGEL 46/1985, 11.11. 1985, S. 24-32

Schirrmacher, Frank (Hrsg.): Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999

 

 

1
Bubis, Ignatz (mit Peter Sichrovsky):
»Damit bin ich noch längst nicht fertig«. Die Autobiographie.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 1996, S. 59

2
Bubis, I. (mit P. Sichrovsky):
»Damit bin ich noch längst nicht fertig«. 1996, S. 62f.

3
Siehe: https://www.hdg.de/lemo/biografie/heinz-galinski.html

4
Bubis, Ignatz: Nachdenklich sind alle geworden.
In: Jäger-Sommer, Johanna (Hrsg.): ASYL.
Fremde in der Festung Europa.
Benziger Verlag, Zürich 193, S.110