Mark Rothkos Bilder besitzen eine Aura, eine starke Ausstrahlung.
Woher diese kommt, ist umstritten. Seine jüdische Identität erlebte mehrere Brüche, am Ende zerbrach der Maler leider ganz.
Mark Rothko (1903-1970). Untitled, 1969.
Öl auf Leinwand,
233,7 × 200,3 cm.
© 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht,
Wien, 2019.
Wenn man sich das Bild „Norham Castle Sunrise“ von William Turner anschaut, versteht man sehr gut, warum Mark Rothko seine Bilder in der Londoner Tate Gallery in der Nähe jener William Turners hängen wollte. Auf dem Turner-Bild aus 1845 hängt eine im Sonnenlicht extrem strahlende gelbe Farbwolke in der Luft, die weiter unten gespiegelt wird. Eine blaue, durchscheinende Farbtafel sieht beinahe quadratisch aus – das Schloss Norham? Abstrakte Kunst for Beginners? Vorne stehen noch ein paar seltsame Tierwesen in der Gegend umher. Turner: „Ich male realistisch.“ Rothko: „Ich male nicht abstrakt.“ Mark Rothkos berühmten Farbtafeln wird eine fast mystische Qualität zugeschrieben, sie scheinen eine eigenständige Aura mit starker Ausstrahlung zu besitzen. Der Kabbala-Forscher Gershom Sholem kritisierte aber die Begriffsverwendung „Aura“ bei seinem Freund Walter Benjamin in „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, das Benjamin, schon in Armut gefallen, auf der Flucht vor den Nazis schrieb. Benjamin würde seine religiös-mystische Welt in die „materialistische“ Kunst-Theorie hineinschummeln, konstatierte Sholem. Bildern Rothkos wird zugesprochen, Menschen in starke Gefühlszustände bringen zu können. Wie diesen Einfluss benennen? Doch eine Art von Schöpfer-Energie? Er stelle sich weder auf die sakrale, noch auf die profane Seite, schrieb Mark Rothko selbst. Die Bemerkung könnte von Benjamin sein, der das aber nicht einmal in den Briefen an seinen Jugendfreund Sholem so einfach ausdrücken würde.
Blinde Fenster
In Russland wurden damals bei Pogromen ermordete Juden in Gruben geworfen, und Rothko benennt diesen rechteckigen Einfluss auf seine Gedankenwelt. Andererseits bezieht er sich immer wieder auf verschlossene oder doch geöffenete Türen oder Fenster, auf das Eingesperrtsein an sich. Zum Beispiel auf Architektur, die einen Menschen einsperrt, „so dass er nichts weiter tun kann als für immer mit dem Kopf an die Wand zu stossen“ (Rothko). Michelangelos Bibliothek mit ihren „blinden Fenstern“ faszinierte ihn. Licht öffnet. Farbe verschafft Platz. (Das erinnert mich natürlich sofort an mein Lieblingskunstwerk in Jerusalem: „Space That Sees“ von James Turrell aus 1992, in dem man in einem Raum sitzt, der nach oben weiss umrahmt als Quadrat offen ist - in den Himmel hinaus.)
Liest man sich die Lebensgeschichten der Rothkos durch, so fällt eine Wiederholung des Schicksals von Grossvater, Vater und Sohn auf. Sohn Christopher, der erst sechs Jahre alt war, als sich sein Vater 1970 umbrachte, stellte nun selbst die Schau im Kunsthistorischen Museum Wien zusammen. Er scheint ein mutiger Mensch geworden zu sein, auch wenn seine junge Mutter bald nach dem Tod des Vaters ebenfalls starb. Seine Schwester Kate kämpfte mit betrügerischen Galeristen, denen Mark Rothko Bilder zu Verwaltung überlassen hatte. Eine Fehlentscheidung. „Kunst, die an eine scheinbare Leere gebunden ist und diese letztlich ausfüllt“, schreibt Christopher Rothko über seines Vaters Kunst. Er findet schon, dass die Bilder auf ihre Art religiös wären.
Mark Rothko (1903-1970). Untitled, 1950.
Öl auf Leinwand,
230,2 × 128,9 cm.
© 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht, Wien, 2019.
Farb-Brainspotting?
Der kleine Marcus Rothkowitz war erst sieben Jahre alt, als sein Vater auf der Suche nach Arbeit aus dem Russischen Reich in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte. Der Vater hatte sich aus Pogrom-Gründen vom Säkulären zum Orthodoxen gewandelt und schickte den kleinen Marcus in die Talmud-Schule. Als er zehn ist, dürfen er und die Mutter nach Amerika nachkommen, aber schon sieben Monate später stirbt der Vater überraschend an Krebs. „Er besucht jeden Tag die Synagoge und beschliesst eines Tages nie wieder die Synagoge zu betreten“, steht im Katalog über den verzweifelten Sohn.
Um die Schmerzpunkte, die hinter den Augen liegen, geht es in der Traumatherapie „Brainspotting“. Hinter den Augen sollen durch schlimme Ereignisse verursachte Schmerzpunkte gespeichert sein, aber auch so genannte Ressourcenpunkte. Ob Mark Rothko das wusste? Man ist versucht zu glauben, dass er bewusst Augen-Sensationen und Entspannung erzeugte: „Geht man ganz in Farbe auf, ist man total erfüllt davon.“ Doch gegen Ende seines Lebens verliert Rothko die Lebensfreude und produziert nur noch graue Bilder mit nachtschwarzem Horizont. Dann gar keine mehr. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, die Leere, den Selbstverlust, eine existenzielle Einsamkeit tapfer zu bekämpfen. Er hatte dem Schmerz nachgegeben, dass wir, nach dem Dichter Rainer Maria Rilke, „so unaussprechlich alleine sind“.
Christopher Rothko.
© 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht, Wien, 2019,
Foto: KHM-Museumsverband.