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Maximilian Katscher (1858-1917), der Architekt der alten Grazer Synagoge

Ursula PROKOP

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Als im Jahr 2000 eine neue Synagoge in Graz errichtet wurde, richtete sich nicht zuletzt auch das Interesse auf den im November 1938 zerstörten Vorgängerbau, dessen Strukturen der neue Tempel weitgehend übernahm. In diesem Kontext erschienen einige Artikel, die sich mit der in den späten neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts am Grieskai errichteten alten Synagoge befassten.1 Während es zwar gelang die Baugeschichte akribisch aufzurollen, blieb jedoch die Auftragsvergabe an den Wiener Architekten Maximilian Katscher mangels Quellen im Dunkeln, ebenso dessen Persönlichkeit über die man damals kaum etwas wusste.

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Kurhaus Baden. Quelle: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

Generell ist die damalige Planung des Tempelbaus - bis dahin gab es für die jüdische Gemeinde nur einen angemieteten Betsaal - vor dem Hintergrund einer grösseren organisatorischen Umstrukturierung der Grazer Kultusgemeinde zu verstehen. 

1876 wurden der „Grazer Israelitischen Corporation", die sich erst 1863 infolge eines allmählichen Zuzuges von Juden konstituiert hatte (nachdem sie im Spätmittelalter vertrieben worden waren), die jüdischen Gemeinden in der Steiermark und in Kärnten gesetzlich zugeteilt. Dies hatte zur Folge dass die „Corporation" den Status einer Kultusgemeinde erhielt und damit auch zur Matrikenführung  verpflichtet war. 2 Dieser Umstand, der ein Amtshaus erforderte und auch die ständig wachsende Grazer Gemeinde führten schliesslich zu dem Projekt eine Synagoge mit angeschlossenem Verwaltungszentrum zu errichten, so dass  sich  kurz darauf ein Tempelbaukomitee unter Leitung von Dr. Samuel Mühsam konstituierte. Als Schriftführer fungierte ein Dr. Katscher, über dessen Identität man allerdings nichts Näheres weiss. Als dann 1890 schliesslich auch die jüdischen Gemeinden aus der Krain, die bis dahin zu Triest zugehörig waren, in die Zuständigkeit der Grazer Kultusgemeinde fielen, erhielt das Bauvorhaben durch diese Aufwertung offenbar neuen Aufwind und das Projekt wurde in der Folge relativ schnell durchgezogen.

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Synagoge Graz. Aus: Pierre Genée, Synagogen in Österreich.

Bereits ein Jahr später 1891 wurde ein Areal am Grieskai, in der Nähe des jüdische Viertels, erworben. Da bereits im selben Jahr der Baukonsens erteilt wurde, ist die Auftragsvergabe 1890/91 anzusetzen. Es ist nicht bekannt ob ein Wettbewerb stattgefunden hat. Die Situation war möglicherweise für die Grazer Kultusgemeinde nicht ganz einfach, da es offenbar in der Steiermark selbst damals keine geeigneten Persönlichkeiten gegeben hatte und die bedeutendsten Synagogenarchitekten dieser Zeit, wie Wilhelm Stiassny oder Max Fleischer alle dem Vorstand der Wiener Kultusgemeinde angehörten, an die man sich möglicherweise unter Betonung der Eigenständigkeit der Grazer nicht wenden wollte. Daher musste man sich anderswo umsehen. Ob bei der Wahl von Maximilian Katscher, der oben erwähnte Schriftführer  Dr. Katscher, der möglicherweise ein Verwandter war, eine Rolle gespielt hat ist nicht geklärt, aber auch nicht auszuschliessen. Wie auch immer, der in Wien ansässige Maximilian Katscher war Jude und ein zu diesem Zeitpunkt bereits bekannter Architekt, der zwar nicht auf Synagogen spezialisiert war, sich aber insbesondere mit dem prächtigen Kurhaus in Baden bei Wien einen Namen gemacht hatte. Dieser in Zusammenarbeit mit Eugen Fassbinder 1884/85 errichtete Bau im Stil eines italienischen Renaissancepalazzos überzeugte nicht nur durch seinen äusserst repräsentativen Charakter, sondern war darüber hinaus auch sehr sparsam kalkuliert3 - beides Eigenschaften, die das Tempelbaukomitee offensichtlich zu schätzen wusste. Wieweit Persönlichkeiten der  relativ bedeutenden  jüdischen Gemeinde in Baden eventuell eine Vermittlerrolle gespielt haben könnten, sei dahin gestellt.

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Warenhaus Herzmansky, Fassade. Aus: Der Architekt 1898.

Katscher (1858-1917)  war jedenfalls ein äusserst versierter Architekt, der ausgebildet an der Wiener Technischen Hochschule bei Karl König (damals der einzige jüdische Professor für Architektur) schon während seines Studiums durch seine Begabung aufgefallen war und über profunde Kenntnisse der historischen Bauten und der verschiedenen Stilarten verfügte.4 Geschickterweise vermied er es dann auch bei der Planung des Grazer Tempels an aktuelle Projekte der Wiener Synagogenarchitekten anzuschliessen, sondern griff auf ein wesentlich älteres Vorbild zurück: die Ende der dreissiger Jahre des 19. Jahrhunderts von Gottfried Semper errichtete Synagoge in Dresden. Sowohl die Strukturierung des Tempels als überkuppelter Zentralbau als auch die formale Gestaltung mittels eines byzantinisch-romanischen Formenrepertoires lehnte sich an das Dresdner Vorbild an, wurde aber von Katscher eigenständig weiter entwickelt. Der schliesslich realisierte Bau, der auch ein angeschlossenes Amtshaus mit Schule umfasste, die formal einheitlich gestaltet waren, bot mit seiner freien Lage am Ufer der Mur einen imposanten Anblick. Nicht zuletzt dürfte diese exponierte städtebauliche Situierung ein Stachel im Fleisch der Grazer Antisemiten gewesen sein. Denn noch während der Bauzeit - mehr als ein Jahr vor der Fertigstellung - wurde im Rahmen einer Gemeinderatssitzung Kritik an dem „unangenehmen orientalischen Baustil" und der „orientalischen Übertreibung" geübt. 5 Ungeachtet dessen konnte die Synagoge im September 1892 unter Teilnahme führender jüdischer Repräsentanten als auch zahlreicher steirischer Honoratioren, allen voran dem Statthalter Baron Kübeck,  feierlich eingeweiht werden. Dem Architekten war es wie immer vorbehalten dem Präses der Kultusgemeinde den Schlüssel zum Bau feierlich zu überreichen. Seine kurze Ansprache schloss Katscher mit den Worten: „Mögen in diesen Hallen bis in die fernsten Zeiten die Psalmen gen Himmel schweben zu G´ttes Lob und Preis." 6 Leider sollte sein Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Denn wie prekär die Situation der Juden in dem deutschnational ausgeprägten Graz war, zeigte insbesondere die Rede des zu diesem Anlass eingeladenen Wiener Oberrabbiners Dr. Güdemann, der auf die Vertreibung der Juden aus der Steiermark vor vierhundert Jahren hinwies und die Errichtung des G`tteshauses als neuen Anfang pries. Darüber hinaus fühlte er sich bemüssigt, in Unterstützung der Grazer Kultusgemeinde, die Bedeutung der Juden als deutsche Kulturträger in dieser Region hervorzuheben: „Denn sie brachten die deutsche Sprache und deutsches Wesen bis nach Italien."7 

Die Kritik der Antisemiten sollte nicht lange ausbleiben. Nur einige Tage später erschien ein (selbstverständlich anonymer) gehässiger Beitrag im „Grazer Volksblatt", der indirekt die seinerzeitige Vertreibung der Juden rechtfertigte und ihre Rolle als Vermittler deutschen Kulturgutes in Frage stellte. 8 Trotz der feierlichen Einweihung war - wie häufig - die Inneneinrichtung, die nach dem reformierten Ritus auch eine Orgel umfasste, noch nicht fertig gestellt und lange Zeit wurde die dürftige Ausstattung beklagt. Dessen ungeachtet war der schöne Tempel, dessen rötliche Klinkerfassade malerisch mit weissem Putzdekor versehen war,  lange Zeit ein zentraler Bezugspunkt jüdischen Lebens in der Steiermark. Wie nahezu alle Synagogen in Österreich wurde auch dieser Bau rund fünfzig Jahre später im Rahmen des grossen Reichspogroms 1938 nieder gebrannt. Späterhin erfolgte darüber hinaus noch eine Sprengung um die Ziegel verwerten zu können. Während dem das Schulgebäude zynischerweise in ein Heim für den BDM und die HJ umfunktioniert wurde. 9

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Warenhaus Herzmansky, Haupttreppe. Aus: Der Architekt 1998.

Für Maximilian Katscher blieb der Bau der Grazer Synagoge  jedoch eher ein Zwischenspiel auf dem Gebiet des jüdischen Kultbaus. Ein weiterer Versuch sich in dieser Bauaufgabe zu betätigen blieb erfolglos, insofern sein Entwurf für eine Synagoge in Olmütz /Olomouc (1895) obwohl er preisgekrönt wurde, nicht zu Ausführung gelangte. Dessen ungeachtet war sein Büro aber weiterhin mit zahlreichen Aufträgen ausgelastet. Neben diversen Miethäusern und Fabrikanlagen, realisierte er  Anfang der neunziger Jahre - also nahezu gleichzeitig mit der Grazer Synagoge - mehrere Villen in Niederösterreich. Neben einigen Projekten in  Baden/NÖ, wo er sich offenbar eines guten Rufes erfreute, zwei weitere Villen in Weidlingau (damals noch nicht zu Wien gehörend). Für deren Bauherren August Herzmansky, einer der grössten Textilhändler und Begründer des ersten Warenhauses in Wien,10 hatte Katscher bereits in den achtziger Jahren eine Kinderheilstätte gleichfalls in Weidlingau errichtet (heute nicht mehr erhalten). Weitere Aufträge für den Unternehmer sollten folgen. Dazu gehörte insbesondere das an der Stiftgasse gelegene „Warenhaus Herzmansky".  In der damals technologisch höchst ambitionierten Ständerbauweise errichtet,  gehörte es zu den bedeutendsten Bauvorhaben des späten 19. Jahrhunderts in Wien.11 Der prächtige zentrale Innenraum mit umlaufenden Galerien und der geschwungenen gusseisernen Haupttreppe war ein wahres „Paradies der Damen". In der grosszügig verglasten Strassenfront konnten die Waren vorteilhaft zur Schau gestellt werden, um die Kunden anzulocken. Das Kaufhaus hat nach zahlreichen Besitzerwechsel und Umbauten (heute im Besitz von Peek &Cloppenburg) mehrere weitreichende Veränderungen erfahren, die viel von der ursprünglichen Bausubstanz zerstörten. Einziger Überrest der alten Pracht ist die Fassade zur Stiftgasse, die bis heute Zeugnis ablegt vom Pioniergeist und der Ästhetik  des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Katscher war noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges sehr erfolgreich tätig,  so errichtete er u. a. auch  für die Familie Herzmansky einige weitere Bauvorhaben, insbesondere einige repräsentative Miethäuser. Seine Fähigkeiten als Architekt und seine Aufgeschlossenheit neuen Strömungen gegenüber, zeigt sich auch in seinem Spätwerk, das von der klassizierenden Eleganz des Wiener Jugendstils geprägt war. Ein Grossteils seines Werkes ist jedoch bis heute nur sehr schwer rekonstruierbar. Dies betrifft insbesondere seine im Grossraum von Mähren errichteten Bauten. Ursprünglich aus Austerlitz (heute Slvakov) bei Brünn stammend (allerdings bereits in Wien aufgewachsen), war Katscher offenbar noch lange Zeit mit dieser Region verbunden und konnte dort auch zahlreiche nicht unbedeutende Bauvorhaben errichten, wie u. a. das „Deutsche Haus" in Prossnitz/Prostejov.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedeutete auch für Maximilian Katscher das Ende seiner Karriere. 1914 ging er bereits in fortgeschritteneren Jahren eine Ehe ein, die möglicherweise nur der Versorgung diente. Denn bald darauf wurde er in die Heilanstalt Steinhof verbracht, wo er im Jänner 1917 in geistiger Umnachtung verstarb. Obwohl ein nicht unerheblicher Teil seines Werkes zerstört wurde, sind das erhalten gebliebene Kurhaus in Baden (jetzt Casino Baden) und die Fassade des Warenhauses Herzmansky in der Stiftgasse bis heute die bedeutendsten Zeugnisse seines Talentes.

1 Siehe dazu: Gertraud F. Strempfl, „Wo aber die Juden kein rechtes Gtteshaus haben", die beiden Grazer Synagogen, in: G. Lamprecht (Hg.), Jüdisches Leben in der Steiermark, Wien u. a. 200, S.235ff. Die Aufarbeitung der alten Synagoge nach dem 2. Weltkrieg erfolgte erstmals 1992 (P. Genée, Synagogen in Österreich).

2 Österreichisch- ungarische Cantorenzeitung 1. 10. 1891, H.24, S.6 f;

Nach der Vertreibung der Juden 1496 aus der Steiermark, gab es über Jahrhunderte überhaupt kein jüdisches Leben.

3 Badener Bezirksblatt 5. 1. 1884, S.1ff

4 Doris Steiner, Maximilian Katscher, Dipl. Arb. Wien 2004

5 Dr. Blochs Wochenschrift 1891, H.30, S.548

6 Tempeleinweihung in Graz, in Dr. Blochs Wochenschrift  30. 9. 1892, H.40, S.723f

7 ebenda

8 Grazer Volksbote 18. 9. 1892

9 Das Gebäude wurde später sehr stark verändert und dient heute als Wohnhaus.

10 Siehe Österreichisches Biographisches Lexikon, Bd.2, 1959

11 Wiener Bauindustriezeitung 16.1899, S.400f