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Bauherren, Wohltäter, Kunstmäzene

Tina WALZER

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Viele jüdische Familien leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung Wiens als moderne Metropole in der Ringstrassen-Ära. Ihre Namen wurden vergessen. Das Ringstrassen-Jubiläum bietet Anlass, diesen eindrucksvollen Persönlichkeiten und dem, was sie für die Stadt und deren Bewohner geschaffen haben, ihren Platz in der Erinnerung zurück zu geben. Vier Ausstellungen zum Jubiläum sind jetzt in Wien zu sehen.

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Palais Epstein, Architekt Theophil Hansen, 1871. Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871.

Namen wie Gutmann, Wittgenstein, Todesko oder Schey stehen für die Industrielle Revolution. Die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, die Witkowitzer Stahlwerke oder die Textilbetriebe von Marienthal waren Meilensteine der wirtschaftlichen Infrastruktur in der Habsburgermonarchie. Der Bahnbau erschloss das Umland der Hauptstadt für die Indus-trieproduktion. Federführend waren die Familien Rothschild, Sichrovsky, Biedermann, Königswarter, Epstein und Wertheim. Entlang der Strecken entwickelten sich zahlreiche Betriebe, etwa die Zuckerfabriken der späteren Familie Bloch-Bauer (Klimts „Goldene Adele") in Bruck an der Leitha oder jene der Strakosch in Hohenau an der March.

Einer der innovativsten Unternehmer war Hermann Todesko (1791 Pressburg, Ungarn; heute Bratislava, Slowakei - 1844 Wien). Direkt neben der Wiener Staatsoper steht das Ringstrassenpalais der Familie, um die Ecke residierte der Mitbegründer der Wiener Handelsakademie, Nationalbankdirektor Friedrich Schey (1815 Güns, heute: Köszeg, Ungarn - 1881 Lainz). Schlüsselindustrien waren damals die Lebensmittelproduktion, Textilbetriebe sowie die Rohstoff-Förderung. In Galizien entstand zeitgleich eine erste Erdölindustrie. In Weltausstellungen wurden die Errungenschaften beworben, 1873 in Wien. Stolze Hotelbauten zeugten vom Boom: Imperial, Bristol, Métropole wurden von jüdischen Unternehmern betrieben. Bankgebäude wie die Boden-Credit-Anstalt am Schottentor oder die Börse prägten das Stadtbild nachhaltig. Die Industriellenvereinigung liess sich von einem jüdischen Architekten den Stadtpalast errichten.

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Grabmal Ludwig August Frankl Ritter von Hochwart auf dem Wiener Zentralfriedhof, Tor 1. Foto: T: Walzer, mit freundlicher Genehmigung.

Die goldene Ära

Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur erreichten in der Ringstrassen-Ära einen ersten Höhepunkt. Jüdische Familien brachten weltberühmte Gelehrte wie den Philologen Theodor Gomperz ( 1832 Brünn, Mähren - 1912 Baden bei Wien) oder Künstlerinnen wie Caroline Gomperz-Bettelheim (1845 Pest; heute: Budapest, Ungarn - 1925 Wien) hervor, die gefeierte Sängerin und Pianistin. Die Lieben, Auspitz, Wertheimstein oder Zuckerkandl führten die Tradition der Salons zu neuer Blüte. An den ehrwürdigen Eliteschulen der Stadt, dem Akademischen Gymnasium, dem Wasa-Gymnasium, dem Theresianum studierten die Kinder des jüdischen Bildungsbürgertums, um dann selbst ihren glanzvollen Beitrag zum Wien um 1900 zu leisten. Weltberühmte Kultureinrichtungen wurden gegründet und unterstützt: der Musikverein, das Konzerthaus. Die Kohlemagnaten Gutmann richteten der Technischen Universität das „Rudolfinum" ein. Jüdische Musiker strömten in die Konzertsäle und Opernhäuser der Stadt. Eine Fülle von Theatern wurde von jüdischen Impresarios geleitet und finanziert. Am Burgtheater brillierten Schauspieler wie Adolf Sonnenthal (1834 Pest; heute: Budapest, Ungarn - 1909 Prag, Böhmen). Natur- und Kunsthistorisches Museum erhielten bedeutende Sammlungsstücke. An der Universität Wien lehrten Juden in den verschiedensten akademischen Disziplinen, sogar Nobelpreisträger gingen aus dem ambitionierten Klima hervor.

Wohlfahrt und Fürsorge für alle Menschen dieser Stadt

Das Wiener jüdische Grossbürgertum pflegte einen ganz besonderen Zugang zum Prinzip der Wohltätigkeit. Das religiöse Gebot interpretierten sie für sich als Verpflichtung, alle bedürftigen Stadtbewohner zu unterstützen, gemäss dem Prinzip der religiösen Toleranz. Alle sollten in ihrer Entwicklung gefördert, allen sollte geholfen werden. Waisenheime für Knaben und für Mädchen wurden als Berufsschulen konzipiert, auch ungünstigste Herkunftsverhältnisse sollten für die jungen Menschen kein Hindernis einer selbständigen Existenz als Erwachsene sein. Integration und Förderung lauteten die Prämissen. Europaweit federführend wurde das Blindeninstitut auf der Hohen Warte auf diesem Gebiet (Architekt: Wilhelm Stiassny). Bedürftige nicht einfach wegzusperren, sondern als vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft zu befähigen und ihnen damit ihre Menschenwürde zuzugestehen, das war damals einzigartig. Der Arzt, Journalist und Zeitungshe-rausgeber Ludwig August Frankl (1810 Chrast, Böhmen - 1894 Wien) entwickelte diese Vorstellung, die Familien Gutmann und Königswarter halfen, sie in die Tat umzusetzen. Auf dem Gebiet der ganzen Monarchie stifteten sie in der Folge Fürsorgein-stitutionen. Mit der Krankenschwesternschule im Rudolfinerhaus und der Poliklinik reformierten die Gutmanns das Gesundheitswesen der Reichshaupt- und Residenzstadt. Das Rothschild-Spital genoss einen exzellenten Ruf.

Selbstbewusst und engagiert

Wilhelm von Gutman (1826 Leipnik, Mähren; heute: Lipník nad Becvou, Tschechische Republik - 1895 Wien) gründete das grösste Kohleunternehmen der Monarchie. In Mährisch Ostrau (heute: Ostrava, Tschechische Republik) errichtete er gemeinsam mit Anselm Salomon Rothschild auch die bekannten Witkowitzer Eisenwerke. Politisch aktiv wurde er als Mitglied des niederösterreichischen Landtags, in der Handels- und Gewerbekammer, als Gründer des Industriellenklubs (heute: Industriellenvereinigung), des Vereins der Montan-, Eisen- und Maschinenindustriellen in Österreich und des Philanthropischen Vereins Wien. 1891-92 war er Präsident der IKG Wien. Am Beethovenplatz 3 liess er sich 1869-71 im Stil der Neo-Renaissance  vom Architekten Carl Tietz ein Ringstrassenpalais errichten. Gemeinsam mit seinem Bruder David Ritter von Gutmann (1834 - 1912) übernahm er die Kosten für den Floridsdorfer Rabbiner und Reichsrats-Abgeordneten Dr. Josef Bloch im Prozess gegen den Prager Theologieprofessor August Rohling, der 1883 behauptete, im Talmud Anleitungen zum Ritualmord gefunden zu haben. Rohling verlor den Prozess und seine Professur.

Leopold Kompert (1822 Münchengrätz, Böhmen heute: Mnichovo Hradiste, Tschechische Republik - 1886 Wien) war Journalist und Schriftsteller, Vorstandsmitglied der IKG Wien, Wiener Gemeinde-, Regierungs- und Bezirksschulrat, dann Landesschulrat von Niederösterreich. Seine politischen Ziele der Integration von Juden, der Aufklärung und Säkularisierung versuchte er vor allem in der Schulpolitik umzusetzen. Rudolf Auspitz (1837 Wien - 1906 Wien) war ein liberaler Abgeordneter des österreichischen Reichsrates und Leiter des Bankhauses Auspitz, Lieben & Co. Gemeinsam mit seinen Cousins und Cousinen erwarb der Nationalökonom das nachmalige Palais Auspitz-Lieben in der Oppolzergasse 6 (heute im Erdgeschoss: Café Landtmann). Gustav Léon (1839 Wien - 1898 Wien) war in den Sparten Ölraffinerie, Eisengiesserei und Brückenbau tätig. Die Politik gestaltete er als parteiloses  Mitglied der Niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer, Reichsratsabgeordneter und kaiserlicher Rat. 1873 erbaute Heinrich von Ferstel für ihn das Palais Léon am Schottenring 17.

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Burgschauspieler Adolf Sonnenthal, Grabmal am Döblinger Friedhof, Detail. Foto: T. Walzer 2012.

Im Spannungsfeld zwischen Architektur und Religion

In der Ringstrassen-Ära bewegten sich die jüdischen Bauherren zwischen Tradition und Modeerscheinungen, die rund um den Orientalismus als speziell jüdischer Ausformung des beliebten Historismus auftauchten, aber auch bereits Vorformen der Moderne. Die Baustile der Palais, der Synagogen und der Grabmonumente spiegeln den langen Weg der Wiener Juden von der Welt des mitteleuropäischen Ghettos über die Aufklärung (hebr. Haskala) hin zu einem neuen Selbstbewusstsein des Judentums. Der Baurat Wilhelm Stiassny (1842 Pressburg, Ungarn; heute Bratislava, Slowakei - 1910 Bad Ischl) spezialisierte sich bei seinen Planungen öffentlicher Bauten auf Synagogen im orientalisierenden Stil. Bei seinen Auftraggebern traf er damit offenbar den richtigen Geschmack. Die Bautätigkeit erstreckte sich bald über das gesamte Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie. Seine Synagoge für die ungarische Marchgemeinde Kirchlee (heute: Malacky, Slowakei) ist heute noch erhalten und vermittelt einen Eindruck von der Polnischen Schul in der Wiener Leopoldsgasse. Daneben baute er im Auftrag der Familien Königswarter und Gutmann Fürsorgeeinrichtungen. In der alten jüdischen Abteilung des Zentralfriedhofs bei Tor 1 errichtete er zahlreiche Mausoleen, unter anderem für die Familien Rothschild, Ephrussi, Przibram, sowie die heute zerstörte Zeremonienhalle. Max Fleischer (1841 Prossnitz, Mähren; heute Prostejov, Tschechische Republik - 1905 Wien) war ein Schüler der Ringstrassen-Architekten und spezialisierte sich auf Bauformen der Neo-Gotik. Er baute die Synagogenbauten in der Neudeggergasse, Schmalzhofgasse und Müllnergasse. Besonders bekannt sind heute seine spektakulären Monumentalbauten bei Tor 1 am Wiener Zentralfriedhof. Karl König (1841 Wien - 1915 Wien) ist der bedeutendste Vertreter des Wiener Späthistorismus. Zu seinen Werken zählen u.a. der Turnertempel, das Café Griensteidl und das Haus der Industrie. Unter seinen Schülern finden sich die Architekten der Moderne Josef Frank und Oskar Strnad. Oskar Marmorek (1863 Skala, Galizien; heute Ukraine - 1909 Wien) beschäftigte vor allem die Hinwendung des Judentums zum säkularen, national orientierten, politischen Verständnis des Zionismus, er wurde zum Mitstreiter Theodor Herzls. Im Prater gestaltete er „Venedig in Wien", den Nestroy-Hof erbaute er, ebenso den Rüdiger-Hof.

Einmal Ring-Rund: Produktenbörse, Leopoldstädter Tempel, die Palais Gallia, Pollak von Rudin, Russo und Gutmann, Akademisches Gymnasium, Wiener Konzerthaus, Bauten von Ernst Gotthilf/ Alexander Neumann am Scharzenbergplatz für Pollak-Parnau, Mandl, Wiener von Welten, Prinz Eugen-Strasse - Argentinierstrasse - Wohllebengasse und die Rothschild, Wittgenstein, Gallia, Hotel Imperial,  Wiener Musikverein, Gutmann - „Rudolfinum" der Technischen Universität, zwei Palais Königswarter, Oper, Wiener Philharmoniker, Hotel Bristol mit Sirk-Eck, die Palais Todesko, Schey, Ladenburg, Bloch-Bauer, Kunst- und Naturhistorisches Museum, Denkmalschutzamt, Palais Epstein, Auspitz, Lieben, Ephrussi, Parlament, Rathaus, Burgtheater, Universität, Börse, Zelinkagasse - Gonzagagasse - Rudolfsplatz, Hotel Metropole. Eine Fülle von Namen, Orten - und doch nur ein Bruchteil der jüdischen Ringstrasse.

Aktuelle Ausstellungen (Auswahl):

Israelitische Kultusgemeinde Wien: Tag der offenen Tür - Die jüdische Ringstrasse. 06.09.2015.

Jüdisches Museum Wien: Ringstrasse - Ein jüdischer Boulevard. 25.03. - 04.10.2015.

Wien Museum: Der Ring. Pionierjahre einer Pracht-strasse 1857 bis 1865. 11.06.-04.10.2015.

Österr. Nationalbibliothek: Wien wird Weltstadt. Die Ringstrasse und ihre Zeit. 21.05.-01.11.2015.

Unteres Belvedere: Klimt und die Ringstrasse. 03.07.-11.10.2015.

Literatur: Ringstrasse. Ein jüdischer Boulevard. Hg. v. Gabriele Kohlbauer-Fritz. Amalthea Wien 2015.