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Iranische Regionalpolitik nach dem Nuklearabkommen,

Walter POSCH

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Am 14. Juli 2015 wurde im Wiener Palais Coburg Geschichte gemacht: die Islamische Republik Iran und die Weltmächte (P5+1 oder E3/EU+3) einigten sich nach einem Jahrzehnt harter Verhandlungen auf ein Abkommen, das von beiden Seiten als tragfähiger Kompromiss gefeiert wurde. Während es in Teheran zu spontanen Freudenkundgebungen kam und Optimisten gar über eine Wiederherstellung der vom Iran einseitig abgebrochenen Beziehungen zu den USA schwadronierten, wurde das Abkommen in den USA und Israel zum Teil heftig kritisiert, sogar das „Münchener Abkommen" zwischen Chamberlain und Hitler wurde als Analogie bemüht.

Im Folgenden sollen zunächst die Umstände des Zustandekommens des Abkommens nachgezeichnet werden und in weiterer Folge die Konsequenzen des Abkommens für jenen Teil der iranischen Politik und Strategie analysiert werden, der für Israel die grösste Bedeutung hat: die iranische Regionalpolitik im Nahen und Mittleren Osten.

Beschränkung auf nukleare Fragen

Obwohl eigentlich selbstverständlich, muss immer wieder betont werden, dass die Verhandlungen der letzten Jahre und der Text des Nuklearabkommens sich ausschliesslich auf das iranische Atomprogramm beziehen und Fragen der Menschenrechte, der europäischen Energiesicherheit und regionalpolitische Aspekte nicht verhandelt wurden. Dass diese Fragen im Hintergrund mitgedacht wurden, steht freilich ausser Zweifel. So verhandelten mit den USA, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien Freunde Israels mit den Iranern, denen rasch klargemacht wurde, dass die Sicherheit Israels nicht verhandelbar ist. In zahlreichen Hintergrundgesprächen betonten iranische Wissenschaftler und Diplomaten immer wieder, dass sie diesen Punkt verstanden.

Dennoch machte es bis zum Abschluss der Verhandlungen Sinn, diese durch Hereinnahme anderer Aspekte nicht noch weiter zu verkomplizieren oder die Ausgangslage der eigenen Verhandlungsposition von vornherein zu kompromittieren. Das erklärt das Ausklammern jener schwierigen Punkte, die das Verhältnis zum Iran bestimmen. So hätte auf dieser hohen diplomatischen Ebene Druck auf Teheran in der Menschenrechtsfrage nicht nur die Verhandlungen behindert, sondern aus iranischer Sicht den Beweis erbracht, dass Menschenrechte für den Westen nur ein politisches Druckmittel sind, und keine Frage globaler Werte.Die Europäer wiederum verweigerten sich dem iranischen Ansinnen, energiepolitische Aspekte einfliessen zu lassen. Das obwohl die europäische Energiesicherheit durch die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland und den chaotischen Verhältnissen im Irak und in Libyen durchaus bedroht ist und Irans Energieressourcen eine wichtige Alternative zu den genannten Staaten darstellen würden. Ebenso wenig wurde der - tatsächliche oder vermeintliche - Schaden, den die  Sanktionen der europäischen Wirtschaft zufügen, in Betracht gezogen. Denn nur so blieben die Sanktionen glaubwürdig und effizient. Die Europäer gingen in diesem Punkt sogar einen Schritt weiter, indem sie ihre eigenen Sanktionsmechanismen mit den amerikanischen verknüpften, sodass für europäische Firmen nicht nur die EU und UN Sanktionen Gültigkeit hatten sondern in Teilbereichen auch das amerikanische Rechtssystem akzeptiert wurde, z.B. wenn europäische Unternehmen bei den amerikanischen Behörden um Ausnahmeregelungen (waiver) ansuchten.

Es gehört zu den Verdiensten des politischen Realisten Ruhani, die Entschlossenheit Europas in der Wirtschaftsfrage und die Geschlossenheit der Verhandlungspartner, die eben die gesamte internationale Gemeinschaft und nicht nur den verteufelten Westen repräsentierten, richtig eingeschätzt zu haben. Sein Vorgänger hatte noch gehofft, die Europäer würden aus Eigeninteresse den wirtschaftlichen Druck lockern und die Phalanx der Verhandlungspartner aufgrund inneren Widersprüche zerbrechen. Die Beschränkung der Verhandlungen auf das umstrittene Nuklearprogramm und die iranische Initiative, die Verhandlungen ernsthaft voranzutreiben, ermöglichten das Interimsabkommen von Lausanne im April 2015, das letzten Endes mit den Verhandlungen in Wien seinen Abschluss fand.

Das Nuklearabkommen

Im Kern ging es beim Nuklearstreit darum, dass die Internationale Gemeinschaft Zweifel an der rein friedlichen Natur des iranischen Atomprogramms hat, während die iranische Seite betont, sich an die Bestimmungen des Nichtverbreitungsvertrages (NPT Non Proliferation Treaty) und das Zusatzprotokoll zu halten. Der Nichtverbreitungsvertrag ist insoweit problematisch, als er aus einer anderen, geostrategisch bipolaren Zeit stammt. Im Prinzip hätte damit die nukleare Vorherrschaft des alten „Atomclubs" (USA, UdSSR/Russland, China, Frankreich und Grossbritannien) festgeschrieben und verbindliche Spielregeln für die Weitergabe von Nukleartechnologie an Drittstaaten etabliert werden sollen. Er spiegelt daher die nukleare Realität seit langem nicht mehr wieder, wird von der internationalen Gemeinschaft aber nach wie vor als das beste weil einzige internationale Regelwerk zur Kontrolle der Atomrüstung - d.h. zur Verhinderung eines atomaren Rüstungswettlaufs - gesehen.

Das Nuklearabkommen sieht nun vor, genau die Mängel des NPT wenigstens in Bezug auf Iran zu beheben ohne gleichzeitig das gesamte Vertragswerk und den bisher erreichten acquis zu relativieren oder gar zu zerstören. Daher wurde ein komplizierter aber klarer „Gemeinsamer Aktionsplan" (JPCOA, Joint Common Plan of Action) initiiert, der im Grunde einen genauen überprüfbaren Mechanismus ins Leben ruft, mit dem verhindert wird, dass Iran militärisch nutzbares Nuklearmaterial produziert oder die dazu notwendigen Elemente (z.B. Abfallprodukte) in einer Art verwenden kann, die eine Militarisierung des Programms erlauben. Im Gegenzug erhält Iran einen Fahrplan der Sanktionserleichterungen bzw. Sanktionsaufhebungen. Wie wenig dieses Regelwerk auf gegenseitiger Sympathie und blindem Vertrauen beruht, ist allein schon daran ersichtlich, dass in den mehr als 80 Seiten Erläuterungen Automatismen eingebaut wurden, die ein Wiederinkraftsetzen der Sanktionen bei fortdauernder iranischer Intransparenz vorsehen. Im Prinzip ist das iranische Nuklearprogramm im Rahmen der NPT und mit zusätzlichen restringierenden Massnahmen eingehegt worden. Sollte der schlimmste aller Fälle eintreten und eine zukünftige iranische Führung den Bau einer Atomwaffe beschliessen, würde dies nach dem vorliegenden Übereinkommen einen glatten Rechtsbruch darstellen und die iranische Aussenpolitik der letzten Jahrzehnte zunichte machen. Darüber hinaus wurden Überwachungsmechanismen in das Dokument geschrieben, mit denen der „Ausbruchszeitraum" (brake out capability) mindestens ein Jahr dauern wird. Sollte dies der Fall sein, wird die Diplomatie nicht das bevorzugte Mittel zur Konfliktlösung für die westlichen Staaten sein.

Konsequenzen in der Region

Für die Region bedeutet das Nuklearabkommen zunächst einen grossen Schock. Denn Iran hat bewiesen, dass es eine leistungsfähige Diplomatie hat, die trotz grösstem internationalen Druck und Sanktionen, in der Lage ist konstruktive, im eigenen Interesse gelegene Lösungen zu finden. Auch wird dadurch eine direkte Konfrontation zwischen dem Westen und der Islamischen Republik unwahrscheinlich und Teheran muss als ernsthafter Partner bzw. Konkurrent weiterhin in Betracht gezogen werden. Das führte vor allem in Saudi Arabien zu Irritationen, wo der Abschluss des Abkommens als Belohnung für iranisches Fehlverhalten gesehen wird. Ein atomwaffenfähiger aber nicht atomar bewaffneter Iran, der sich an die - verschärften - Spielregeln des Atomwaffensperrvertrags hält, würde nun als virtuelle Nuklearmacht auftreten und somit seinen Anspruch als Führungsmacht in der Region untermauern und seine Ambitionen unter einem - virtuellen - Atomschirm und mit viel mehr finanziellen Mitteln als bisher fortsetzen können.

Diese Argumente entbehren nicht einer gewissen Logik, allerdings fehlt ihr der Blick auf die iranischen Realitäten. Die letzten Jahrespläne des Revolutionsführers und der Regierung zeigen deutlich, wie ernst Teheran die wirtschaftliche Misere im Lande selbst nimmt, die Notwendigkeit der Modernisierung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch die Struktur- und Verwaltungsreform Ruhanis, sowie der Umbau der Revolutionsgarden zu einer Art Gendarmerie werden Iran noch länger beschäftigen. Dazu kommt eine weitgehend konfliktmüde und entideologisierte Bevölkerung, vor der das Regime sich als Garant für Ruhe und Sicherheit legitimieren will. Darüber hinaus hat Iran viel von seiner Offensivkraft, die zu einem guten Teil ohnehin auf Propaganda beruht, verloren. Neben dem sicherheitspolitischen Dauerbrenner Afghanistan ist die Islamische Republik in Irak, Syrien und Libanon aktiv. In all diesen Fronten mussten die Iraner Rückschläge hinnehmen. So ist von der bei den iranischen Islamisten hochgehaltenen „Achse des Widerstandes" bestehend aus Syrien, Hizbollah, Hamas und Iran, die 2006 mit dem (Pyrrhus-) Sieg über Israel das Prestige Teherans in der sunnitisch-arabischen Welt stärkte, nichts mehr übrig geblieben.

Vielmehr ist ein strategischer Alptraum Teherans wahr geworden, nämlich, dass Iran in der muslimischen Öffentlichkeit nicht als islamische Führungsmacht sondern als schiitischer Störenfried wahrgenommen wird, der seine Interessen in Syrien und Irak rücksichtslos durchsetzt. Konsequenterweise hat sich das Verhältnis der Hamas zu Teheran und zur Hizbollah abgekühlt. Noch schlimmer aus Teheraner Sicht sind die Konsequenzen für die Hizbollah, die mit ihrem Engagement auf Seiten des syrischen Regimes sich zunächst im Libanon isoliert hat und erstmals mit radikal sunnitischen Opposition im Land selbst rechnen muss. Dazu kommt, dass der Libanon durch die Massenflucht der Syrer nun eine sunnitische Mehrheitsbevölkerung hat und in den Reihen der eigenen Anhänger macht sich immer mehr Unmut wegen der zahlreichen Opfer, die zur Stabilisierung des Assad-Regimes und mithin für die Machtprojektion Teherans gefallen sind. Dass Teheran überhaupt noch als Partner und Schutzmacht akzeptiert wird, hängt freilich mit dem Aufkommen des Terrorsystems „Islamischer Staat" zusammen. Das wiederum ist freilich der wichtigste Grund, warum Iran für den Westen als Partner interessant wird. Dennoch stehen westlich iranischen Interessenkonvergenzen (Kampf gegen den IS) auch Divergenzen (Haltung zum Assad Regime) gegenüber, sodass in absehbarer Zeit bestenfalls eine punktuelle militärische und nachrichtendienstliche Kooperation möglich ist, nicht jedoch ein formalisiertes Bündnis, dem schon allein die von Teheran gepflegte Feindschaft gegen die USA und Israel im Wege steht.

Konsequenzen für Israel

Im Gegensatz zu den legitimen Sicherheitsinteressen westlicher Staaten mit Blick auf IS sieht Israel sich in dreierlei Hinsicht von Iran bedroht

            a) konventionell durch Hezbollah, wobei durch israelische Planer auch die Möglichkeit einer chemischen Bewaffnung eingeplant werden muss

            b) ideologisch und völkerrechtlich durch Irans Ablehnung des Staates Israel und der daraus abgeleiteten Unterstützung für anti-israelische Gruppen in der Region

            c) durch das iranische Nuklearprogramm.

Letzteres ist aber nicht die grösste Bedrohung für Israel, das über eines der besten Raketenabwehrsysteme der Welt und Gegenschlagskapazitäten verfügt und dazu noch die USA als Verbündeten hat. Die Bedrohung liegt aus israelischer Sicht in einem anderen Punkt: Iran ist mit dem Abkommen zu einem nuklearen Schwellenstaat geworden, der die Vorgaben des NPT formell sogar übererfüllt. Damit ist Israel der einzige Staat in der Region, der dem Atomwaffensperrvertrag noch immer nicht beigetreten ist. Der diplomatische Druck auf Israel dem NPT ebenfalls beizutreten und damit sein Nuklearprogramm offenzulegen, nimmt daher auch von westlicher Seite beständig zu. Eine derartige Offenlegung würde den Verlust der nuklearen Ambiguität für Israel bedeuten und in einem nächsten Schritt internationale Kontrollen Tür und Tor öffnen. Wenig vertrauenserweckend aus israelischer Sicht sind in diesem Zusammenhang die vielen europäischen Initiativen einer „massenvernichtungswaffenfreien Zone für den Nahen Osten," die auch die Trägersysteme beinhalten würde. Dass Teheran zu den grössten Befürwortern einer derartigen Zone zählt, darf nicht als Pazifismus missgedeutet werden. Vielmehr bedeutete ihre - unwahrscheinliche - Etablierung, dass Israel in letzter Konsequenz nuklear entwaffnet würde, Israels militärische Überlegenheit würde damit nur mehr auf konventionellen Waffen beruhen.

Das heisst nun nicht, dass die Israelis niemals bereit wären, über eine Kontrolle ihrer Atomwaffen zu reden. Doch liegen die Parameter dafür deutlich auf dem Tisch: idealerweise Anerkennung Israels oder wenigstens Normalisierung und Entspannung, was Teheran verweigert. Vor diesem Hintergrund werden die verbalen Ausritte Premierminister Netanyahus gegen das Nuklearabkommen verständlich. Zwar wurde die iranische Nuklearbedrohung aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit übertrieben und Israel ist in der Lage, sich auch gegen einen Gegner wie Iran militärisch durchzusetzen. Dennoch müssen die Israelis das Abkommen - ähnlich wie die Saudis - als Belohnung iranischen Fehlverhaltens sehen. Die Sache läge freilich anders, wenn offizielle iranische Stellen sich durchringen könnten, wenigstens die Leugnung des Holocausts zurückzunehmen. Der viel gesittetere Ton Ruhanis und seine Glückwünsche an die jüdische Gemeinde in Iran anlässlich des Rosch Hashana Festes, wird von den Israelis zwar als besserer Stil anerkannt, kann aber an der ideologischen Kontinuität, nämlich der Ablehnung des Existenzrechts Israels durch Iran nichts ändern.

Ein auch in Israel geäusserter Vorwurf an Netanyahu ist freilich nicht von der Hand zu weisen, dass er als Machtpolitiker seine Karten in Washington mit einer gewissen Freude spielt und seiner persönlichen Animosität gegen Obama freien Lauf lässt. Sollte das Abkommen jedoch implementiert werden, so ist damit zu rechnen, dass auch er die Fühler nach Teheran ausstrecken wird. Kluge iranische Politik würde nun darin bestehen, gleiches zu tun.