Am 12. März 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein und am nächsten Tag wurde der „Anschluss" offiziell bekannt gegeben - die Annexion Österreichs an das Deutsche Reich. Sofort begannen gewalttätige Ausschreitungen gegen die Juden, es gab Zusammenstösse, Plünderungen und Massenverhaftungen. In den ersten Wochen nach dem „Anschluss" traten Verordnungen und Bestimmungen in Kraft, welche die Juden diskriminieren, ausgrenzen und aus dem öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich ausschliessen sollten.
Adolf Eichmann, der damals der Beauftragte für jüdische Angelegenheiten im Sicherheitsdienst der SS in Berlin war, traf am 18. März 1938 in Wien ein. Er hatte die Aufgabe, die deutsche Politik gegenüber den Juden neu zu gestalten, indem der Schwerpunkt auf ihre erzwungene Auswanderung gelegt wurde. Die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung" wurde eingerichtet, die sich um die Ausarbeitung eines Verfahrens zur Förderung einer beschleunigten Massenauswanderung der Juden an jeglichen nur denkbaren Zielort bemühte. Von 185.246 Juden, die im Jahre 1938 in Wien lebten, gelang 128.500 die Auswanderung, und etwa 10.000 von ihnen trafen in Eretz Israel ein. Für viele war dies die Übersiedlung in ein fremdes und entferntes Land, eine Fahrt ins Ungewisse. Mit dem Aufstieg der nationalsozialistischen Partei in Deutschland begann ein einzigartiges Unternehmen, um Wege für die Rettung von Kindern und Jugendlichen und ihre Aufnahme in Eretz Israel zu finden - die „Jugendaliyah". Nach 1938 wurde dieses Projekt auch auf Österreich ausgedehnt und bemühte sich unter der Leitung von Ehud Avriel darum, Kinder und Jugendliche aus Österreich herauszuschmuggeln.
Die Einwanderung von Österreichern und deutschsprachigen Migranten aus Deutschland sowie der Tschechoslowakei, drückte der israelischen Gesellschaft in vielen Bereichen ihren Stempel auf. Die breite Öffentlichkeit betrachtete diese Zuwanderer als loyale und zuverlässige Bürger, die nicht wenige grundlegende Werte zur Gesellschaft beitrugen: Pünktlichkeit, Sauberkeit, Höflichkeit und ein Interesse an Themen der Kunst und Geisteswissenschaften. All dies implementierten die Einwanderer in ihrer privaten Lebensweise ebenso wie mit kulturellen und öffentlichen Aktivitäten. In zahlreichen freien Berufen gehörten sie zu den führenden Gruppen: in der Medizin, Wohlfahrt und Justiz, im Ingenieurwesen, der Architektur, der akademischen Lehre und Forschung sowie in der Kunst. Ein Teil der Einwanderer aus Österreich war Pioniere und schlossen sich entweder bestehenden Kibbuzim an oder gründeten neue, wie zum Beispiel Bet Ha-Aravah, Hanita, Kfar Maccabi und Ma´ayan Zvi. Im Laufe der Jahre nahmen diese Kibbuzim Einwanderer aus zahlreichen anderen Ländern auf. Zwei völlig neue Industriezweige, die sich zu dieser Zeit im Lande etablierten, waren das Hotelwesen und der Reiseverkehr. Diejenigen Einwanderer, die sich mit diesem Gewerbe in Österreich befasst hatten, investierten aus eigener Initiative und aus eigenen Mitteln in diese Industrie und errichteten Hotels, Erholungsheime sowie Pensionen, die sich überall im Lande ausbreiteten, wie zum Beispiel etwa die Pension von Dora Schwarz in Zikhron Ya´acov. Die Einwanderer gründeten in allen Teilen des Landes moderne industrielle Betriebe, darunter auch die Fabrik Ata, die Textilprodukte herstellte, und die zum Symbol der neuen Industrie in Israel wurde. Die Entwicklung des Handels, der feine Geschmack der Kunden und die Verbesserung des Lebensstandards führten zu einer Blüte von verwandten Industriezweigen, wie zum Beispiel auf dem Gebiet des industriellen Designs und in der Werbebranche. Israel Glück, ein gebürtiger Wiener, gehörte zu den ersten Industriedesignern im Lande und war ein Wegbereiter dieser Branche.
Zudem spielten die Einwanderer, die aus Österreich eintrafen, eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Medizin, und die Fachärzte, die ins Land kamen, veränderten das Gesicht der medizinischen Betreuung, wie man sie bis dahin hier gekannt hatte. Die eingewanderten Ärzte eröffneten neue Kliniken und führten die Untersuchung mit Röntgenaufnahmen und Labortests ein. Die erste Röntgenabteilung im Lande Israel wurde unter der Leitung eines Röntgenologen aus Wien namens Robert Lank eingerichtet. Die Zuwanderer leisteten auch einen Beitrag zur Einführung neuer medizinischer Fachgebiete, wie zum Beispiel etwa die Arbeitsmedizin und die öffentliche Medizin unter der Leitung von Dr. Sigmund Feller, der aus Wien stammte und als Pionier auf diesem Gebiet galt. Die Fachausbildung in der Psychiatrie war im Kreise der jüdischen Ärzte in Österreich weit verbreitet gewesen, und viele von ihnen hatten in Wien zu den Anhängern von Sigmund Freud gehört. Hier entwickelten sie seine Lehre weiter und nahmen selbst Schüler an. Darüber hinausbrachten die Zuwanderer aus Österreich eine Tradition der Sozialarbeit, erfahrene Arbeitskräfte und einen professionellen Ansatz auf diesem Gebiet mit sich und leisteten damit einen Beitrag zur Einrichtung staatlicher Sozialleistungen. Dr. Israel Katz war in den Jahren 1968 bis 1973 der Generaldirektor der Nationalversicherung in Israel, diente von 1977 bis 1981 als Minister für Arbeit und Soziales und gehörte zu den Honoratioren der Gestalter des Staates Israel als Wohlfahrtsstaat. Anita Müller-Cohen war Sozialarbeiterin, Journalistin und Politikern und initiierte zahlreiche Unternehmen, um Juden und Nichtjuden im Verlauf der beiden Weltkriege und in deren Nachgang zu helfen und sie zu retten; sie richtete den „Sozialdienst für Frauen" ein, gehörte zu den Gründerinnen und Leiterinnern des „Amtes für Sozialhilfe" und der „Frauengewerkschaft Mizrahi" und war zudem Präsidentin der Einwanderer aus Österreich. Die Einwanderer aus Österreich brachten auch die ersten Begriffe und Definitionen eines Sozialstaates mit sich. Diese Konzepte bürgerten sich Schritt für Schritt im Kreise der Bevölkerung ein und ein besonders hervorragender Meilenstein dieses Prozesses war die Einrichtung der Nationalversicherung. Der Einfluss dieser Konzepte wurde nach der Gründung des Staates für eine lange Zeit im Justizwesen fühlbar, angefangen von den Magistratsgerichten, Arbeitsgerichten und Verkehrsgerichten bis hin zu den Bezirksgerichtshöfen und dem Obersten Gerichtshof. Aus Österreich trafen zahlreiche Akademiker ein, die sich zum Teil in die Hebräische Universität in Jerusalem und die Universität Haifa eingliederten. Die Integration der eingewanderten Forscher - darunter auch der Philosoph Martin Buber, Prof. Baruch (Benedikt) Kurzweil, ein Literatur- und Poesieforscher (der vor allem für seine Erforschung der Werke Shai Agnons bekannt wurde), Prof. David Flusser, der zu den grössten Historikern und Forschern in Israel zählte, und Prof. Moshe Rinot, der ebenfalls aus Österreich gebürtig war und zu den Gründervätern der Universität Haifa gehörte - förderte den Anstieg des wissenschaftlichen Niveaus und den Ausbau von Forschungsgebieten im Lande. Auch an der Bezalel-Akademie, der Kunstschule in Jerusalem, gliederten sich Lehrer und Schüler aus Österreich ein. Unter den Einwanderern befand sich eine Anzahl von Malern und Bildhauern, die gemeinsam mit anderen eine Art Jerusalemer Schule gründeten. Dazu gehörten die bekannte Malerin Anna Ticho sowie Leopold Krakauer, die ihre Häuser öffneten und zu Treffpunkten für Künstler sowie Intellektuelle werden liessen. Auf dem Gebiet des Zeichnens und der Graphik muss an Franz Krauss erinnert werden, der in St. Pölten geboren wurde und im Alter von 18 Jahren nach Wien zog, wo er eine Karriere als Graphiker begann. Im Jahre 1935 zählte er zu den Gründern der Vereinigung der Graphiker in Eretz Israel, die heute unter dem Namen „Vereinigung der graphischen Designer in Israel" aktiv ist. Auch der Einfluss, den die aus Österreich eingewanderten Architekten auf den Baustil in Eretz Israel ausübten, sollte erwähnt werden. Leopold Krakauer wurde in Wien geboren, wo er seine Ausbildung als Architekt und Künstler erwarb. In jenen Tagen war Wien eines der Zentren der sich entwickelnden modernen Architektur. Im Jahre 1925 traf Krakauer im Lande ein und entwarf für die Bewegung der Kibbuzim zahlreiche Bauten. Zu den hervorragenden unter ihnen gehören die beeindrucken Betongebäude der Speisesäle in Bet Alpha, Tel Josef und Deganiah. Krakauer war ein Jünger des „internationalen Stils" und errichtete auch das Haus der Familie Bunim in Jerusalem sowie das Taltish Hotel in Haifa. Über seine Tätigkeit als Architekt hinaus war er zudem auch ein begabter Zeichner und fertigte zahlreiche Skizzen der Landschaft um Jerusalem an.
Auch in der Welt des Theaters, des Tanzes, des Films und der Museen leistete die kreative Tätigkeit von Künstlern, Erziehern und Direktoren österreichischer Herkunft einen Beitrag. Die moderne Choreographie und der Unterricht im klassischen Ballet gewannen mit der Einwanderung von Gertrud Krauss auf bedeutende Weise an Auftrieb. Gertrud Krauss gehörte zu den Pionieren des modernen Tanzes im Lande. Auf die Musik in Eretz Israel hatte die Einwanderung aus Österreich ebenfalls einen bedeutenden Einfluss. Auf diesem Gebiet stellte die Sprache kein Hindernis dar, und die Ankunft von Produzenten, Beratern und Musikern ebenso wie die eines Publikums, das sich für musikalische Aufführungen begeisterte, führte zu einem intensiven Aufschwung bei der Gründung von Orchestern, Ensembles, Chören und auf dem Gebiet der Oper. Die Zunahme der Liebhaber von Musik schuf im weiteren Verlauf die Basis für die Gründung von symphonischen Orchestern, die Einrichtung eines Konservatoriums und die Errichtung von Museen.
In den späten 1930er Jahren kamen Einwanderer aus Österreich, die 1939 am Bürgerkrieg in Spanien teilgenommen hatten. Zu ihnen gehörten Raphael Lev, der eine Zeit lang als Leiter des Amtes für militärische Ausbildung bei der „Haganah" diente, sowie Israel Bar, der im Verlauf des israelischen Unabhängigkeitskrieges einer der Assistenten von Yigael Yadin war. Zu den Ranghöchsten der aus Österreich eingetroffenen Einwanderer in der „Haganah" zählte Sigmund von Friedmann (später Eitan Avishar), der es mit der Zeit bis zum Posten des stellvertretenden Oberbefehlshabers in der „Haganah" brachte. Mit der Gründung der Israelischen Verteidigungskräfte wurde er zum Präsidenten des militärischen Berufungsgerichts im Rang eines Generalmajors ernannt. Zahlreiche der Einwanderer fanden ihren Weg zum Palmach. Ein bedeutender Teil von ihnen diente in der deutschen Einheit, die der Palmach eingerichtet hatte, um im Falle eines Einmarsches der Deutschen in Eretz Israel hinter den feindlichen Linien aktiv zu werden. Auch waren sie diejenigen, die die Grundlagen für die nachrichtendienstliche Recherche in den Israelischen Verteidigungskräften legten, und sie standen dem Nachrichtendienst sogar vor. Unter den Fallschirmjägern in Eretz Israel, die gegen Ende des Krieges in das besetzte Europa entsandt wurden, befanden sich ebenfalls einige, die aus Österreich stammten, wie zum Beispiel etwa Dan Lehner. Aus dem Kreise der Kommandanten der Israelischen Verteidigungskräfte, die aus Österreich eingewandert waren, sollten noch weitere hervorgehoben werden: Josef Geva (Gelsberg), der 1924 in Wien geboren wurde, und der in den Israelischen Verteidigungskräften als Generalmajor diente; Shalom Eshet, der militärische Berater des Ministerpräsidenten und Verteidigungsministers David Ben Gurion im Verlauf des Unabhängigkeitskrieges; Oded (Alexander) Messer, der ein ranghoher Kommandant beim Palmach und den Israelischen Verteidigungskräften war sowie als Generaldirektor des Arbeitsministeriums amtierte; der Oberste Befehlshaber der Israelischen Verteidigungskräfte, Haim Bar Lev; Yerachmiel Ram Yaron, der zu den führenden Persönlichkeiten der Polizei in Israel gehörte und israelischer Diplomat war, und viele andere mehr. Eine weitere Gruppe von aus Österreich stammenden Einwanderern erfüllte wichtige Aufgaben auf dem Gebiet des geheimen Sicherheitsdienstes, dies sowohl in der Zeit vor der Gründung des Staates Israel als auch danach - wie zum Beispiel etwa Teddy Kollek und Ehud Avriel - ebenso wie im israelischen Nachrichtendienst, wie etwa Asher Ben Nathan, Izzi Dorot, Josef Hermelin und Avraham Shalom.