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Die jüdische Gemeinde Drohobyc im ehemaligen österreichischen Kronland Galizien, heute Ukraine

Georg TENGLER

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Die Stadt Drohobyc im ehemaligen Ostgalizien, heute Ukraine, liegt in den Vorkarpaten auf einer leichten Anhöhe und gehört zum Bezirk Lemberg. Über mehr als vier Jahrhunderte gehörte die Stadt zu Polen, dann bis 1918 zu Österreich.

Die Stadt erlebte einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung vor dem Ersten Weltkrieg, auch wegen der in der Gegend gefundenen Erdölvorkommen. Zu jener Zeit betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung etwa 40% der Gesamtbevölkerung der Stadt. Drohobyc hatte zwölf Synagogen, von denen sich nur die grösste und bedeutendste bis heute erhalten hat, nämlich die 1840 bis 1865 im neuromanischen, dem sogenannten Rundbogenstil, erbaute Choralsynagoge. Dies ist die grösste Synagoge Galiziens, eine der grössten Polens, mit folgenden Massen: Länge 37,37 Meter, Breite 35,51 Meter, Höhe 19,5 Meter. Noch heute sieht man die Auflager der Frauengalerie, Reste von Wandinschriften in Hebräisch, die Bemalung der Kuppel im Blau des Firmamentes mit den Sternen und die gelbe und blaue Farbe der Pfeiler.

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Die 2014 restaurierte Synagoge von Drohobyc, Ukraine. Hauptfassade. Foto: Jurii Dovganytch Borislav, mit freundlicher Genehmigung G. Tengler, Bozen.

Hinter der Synagoge stand das Judenspital, anschliessend ein Waisenhaus für arme Kinder -das Gebäude besteht noch heute als „Management Institut". Dieses Gebäude verfügte über eine eigene Synagoge. Die jüdische Gemeinde hatte auch ein eigenes Altersheim, heute Bibliothek, in welchem ebenfalls eine Synagoge untergebracht war. Diese Gebäude wurden hauptsächlich durch Spenden der Mitglieder der jüdischen Gemeinde erhalten.

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Ausschnitte aus der Wand der Trauer, welche an die Lage des von den Deutschen errichteten Ghettos in Drohobyc und an die Ermordung von 11.000 Juden erinnert. Foto: G. Tengler, Bozen, mit freundlicher Genehmigung.

Während des zweiten Weltkrieges wurden etwa 11.000 Juden der Stadt von den Deutschen ermordet. Damit wurde die jüdische Gemeinde beinahe ausgelöscht. Die Synagogen wurden geschlossen und abgerissen oder zweckentfremdet. Die grosse Synagoge diente bis vor kurzem als Möbelgeschäft, in manchen Reiseführen wird sie als Ruine beschrieben. Heute gibt es in Drohobyc eine kleine Gruppe, die zur Chabad Gemeinde von Ivano Frankivsk gehört.

Bei meinem ersten Besuch 2012 in Drohobyc führte mich der Kustos Jakov Goldberg in die Synagoge, sie war in einem sehr schlechten Zustand, für welchen Sanierungsarbeiten äusserst dringend erschienen. Der Innenraum des Gebäudes zeigte viel Bauschutt und verkohlte Balken, so dass sich die wenigen Personen in einem kleinen Nebenraum zum Gebet treffen mussten.

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Ein Grabstein im jüdischen Friedhof von Drohobyc mit folgenden Namen von links: Scahris Zal Scamovich 1880-1923 die betrübten Söhne, Tochter, Schwiegersohn, Schwiegertöchter und Enkel. Mitte: פיינ (für „Hier ruhen“) Hana Moiseevna gestorben 1960 im 75. Lebensjahr die betrübten Söhne, Tochter, Schwiegersohn, Schwiegertöchter und Enkel. Rechts: 1881-1942 Erinnerung an den tragischen Tod durch deutsche Faschistenhand im Jahr 1942 Trahtenberg Izrail Abramovich die betrübten Söhne, Tochter, Schwiegersohn, Schwiegertochter und Enkel. Foto: G. Tengler, Bozen, mit freundlicher Genehmigung.

Bei meinem zweiten Besuch 2013 fand ich die Synagoge in unverändert schlechtem Zustand. Ein anderes Mitglied der jüdischen Gemeinde, nämlich Evgenij Isaak Kesselmann, der Sohn des früher im benachbarten Borislav tätigen Arztes, der heute in Israel lebt und in Drohobyc immer wieder seine alte Mutter besucht, führte uns zum jüdischen Friedhof. Dieser befindet sich in der Verlängerung der Vulycja Orlyka am Rande der Stadt. Im Friedhof muss man die Grabsteine unter dem Gestrüpp, den Sträuchern und Bäumen und dem hohen Gras suchen. Es gibt einfache Grabsteine, aber auch zahlreiche grosse und monumentale Grabmäler. Die meisten Grabsteine tragen Inschriften in Hebräisch und Ukrainisch, viele in Hebräisch und Deutsch, manche aber nur in Deutsch, da die Stadt bis zum letzten Krieg auch zahlreiche deutsche Einwohner hatte.

Im Jahr 2014 begannen endlich Restaurierungsarbeiten am Dach und an den Fassaden der Synagoge, sie werden von einem aus Drohobyc nach Israel ausgewanderten Mäzen finanziert, der seinen Namen nicht genannt haben möchte. Es bleibt zu hoffen, dass demnächst auch das Innere der Synagoge in Angriff genommen wird, damit das Haus wieder in neuem Glanz erstrahlen und mit Leben erfüllt werden kann.

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Ein Grabstein im jüdischen Friedhof von Drohobyc mit folgendem Text: תנצבה (die Anfangsbuchstaben der Worte: „Möge Ihre Seele im Bund der ewig lebenden Seelen aufgenommen werden“ diese Worte stehen üblicherweise am unteren Ende der Inschrift eines Grabsteines) Lina Schorr geb. Lauterbach der besten aller Mütter die schmerzerfüllten Kinder Foto: G. Tengler, Bozen, mit freundlicher Genehmigung.