Über die abstrakten Bilder des Max Mannheimer, der vier Konzentrationslager überlebte, und mit Malerei nach Wassily Kandinsky sein und unser Leben bereichert.
Man müsste eine „neue Art von ars memoria erfinden, die in der Lage wäre, lesbar zu machen, was die Lager waren", schreibt der grossartige Georges Didi-Huberman in seinem Buch Remontagen der erlittenen Zeit, denn „das Grauen" würde oft als „eine Art Decke dienen, aber um was genau zu verdecken?".
Wer sagt, die Shoah wäre eine Art Abgrund, unvorstellbar, un-bebilderbar, „eine Abstraktion und die absolute Grenze des Benennbaren, Denkbaren und Vorstellbaren", macht es sich zu leicht. Es war so schrecklich, furchtbar, sagt man und wendet sich ab. „Andererseits und gleichzeitig besteht aber auch eine gewaltige Kluft zwischen alldem und dem Ziel, das mit Ritualen des Erinnerns ein Nie wieder verfolgt wird", schreibt Didi-Huberman und man weiss genau, was er meint, wenn man den grossartigen 95-jährigen Dachau-Überlebenden Max Mannheimer sieht, wie er fröhlich in der Sonne in seinem 70-er Jahre Bungalow in Haar bei München sitzt und erwartungsvoll auf das Leben blickt. Sich erinnern reicht nicht, um ein „Nie wieder" zu erreichen. Dazu gehört auch eine gewisse Liebe zum Leben, proaktiv sozusagen. „Was soll ich über mein Buch reden, es ist ja gedruckt", scherzt Mannheimer. „Und ich bin einer der wenigen, die nicht abgeschrieben haben." Sein Buch Spätes Tagebuch. Theresienstadt - Auschwitz - Warschau - Dachau schrieb er in Eile, weil er dachte, dass er „morgen an Krebs sterben" wird und seiner Tochter seine Erinnerungen hinterlassen wollte. Deswegen ist das Späte Tagebuch in einer Art Staccato-Stil geschrieben. Das war 1964. „1985 schrieb mich die Leiterin der Gedenkstätte Dachau an und fragte, ob die im Dachauer Archiv verwahrten Aufzeichnungen herausgegeben werden dürfen. Hermann Langbein hatte die ins Archiv gegeben, das wusste ich gar nicht. Später lernte ich Hermann Langbein bei dem Verleger kennen, und er sagte, ach schade, dass Sie das Buch nicht früher gemacht haben, dann hätte ich es in Menschen in Auschwitz verwendet. Doch war ich eher froh darüber (lacht), denn wenn es schon verwendet war, wäre es schwer geworden, mein Tagebuch als Einzelpublikation zu veröffentlichen." „Auschwitz wird mehr und mehr von der Geschichte abgekoppelt, die es hervorbrachte", schreibt Didi-Huberman, „und zum Begriff des absolut Bösen erhoben". Dabei müsse man „Auschwitz so lesbar wie möglich machen"!
Max Mannheimer. Foto: Heiko Kilian Kupries, mit freundlicher Genehmigung.
Lesbare Erinnerungs-Blitze
Walter Benjamin schlug vor, „Lesbarkeit könne sich doch mit Anschaulichkeit verbinden", und er meinte, dass die Lesbarkeit des Vergangenen bildlich charakterisiert sei. „Wie haben Sie sich erinnert?", frage ich Max Mannheimer. „Über Bilder, über Szenen?" „Die ganze Sache ist ja so, dass das, was ich erlebt habe, so eingebrannt ist in mein Gedächtnis, dass es mich auch psychisch mitgenommen hat, Depressionen usw.", antwortet er. Eingebrannte Bilder! Über die erinnert er sich so genau. Man müsse „das Prinzip der Montage in die Geschichte übernehmen", schlug Benjamin vor, der eher an „Bilder in Bewegung" dachte. An Filme eventuell. Doch die Bilder von Max Mannheimer bewegen sich auch. Sie sind Flashes, Blitze und das sagt er auch. Abstrakte Bilder eines Shoah-Überlebenden. Meines Wissens nach der Einzige, der dermassen experimentiert. Beim Besuch einer Wassily Kandinsky Ausstellung, verstand er plötzlich, in welche Richtung er gehen möchte. Eifrig sitzt Max Mannheimer am Tisch und zeigt begeistert einen Stapel neuer Werke vor. Seine ganz neuen Filzstift-Schachbrettbilder ähneln solchen von Kandinsky „Das sind neue Bilder, die in den letzten Monaten entstanden sind. Ich kann das nur noch am Tisch machen.1 Hier haben Sie ein hebräisches Resch. Das Bild hier habe ich mit einer Kuchenrolle so ähnlich wie Teig gemacht (lacht). Das hier habe ich mit Papier abgetupft, wir können es auch umdrehen, aber so ist es richtig. Ein Gebäude halt, alles Fantasie. Ölkreide. Das ist eine Orchidee. Das ist auch wieder mit diesem Kuchengerät gemacht." „Sehr abstrakt wirklich, schön." „Das ist ein bissl dunkel. Das habe ich besonders gerne so was. Farbe und dann zeichne ich hinein." „Sie machen auch viele abstrakte Landschaften." „Das kann man so halten, oder so. Das muss so sein. Deshalb, weil die Blumen in diese Richtung sind. Das ist noch nicht fertig. Da habe ich drei Bleistifte zusammengeklebt und dann fahre ich so drüber..." „Sie experimentieren auch, sehr schön." Pralles Leben. Pralles freudiges Leben. Voller Bilder. „Bilder, die mit der Gegenwart synchronistisch sind", forderte Benjamin. „Jedes Jetzt ist das Jetzt einer bestimmten Erkennbarkeit. In ihm ist die Wahrheit der Zeit bis zum Zerspringen geladen."
Liebes-Leuchtspuren
Die Bilder sprangen aus dem Dunkeln heraus sozusagen. 1980 versuchte Mannheimer, in den USA auf einer Insel ein kleines Hakenkreuz auf einem Betonpfeiler auszukratzen und fiel in Ohnmacht. „Mein Unterbewusstes hat mir einen Streich gespielt", sagt er heute dazu. Er musste eine gewisse Zeitspanne auf der Psychiatrie verbringen. Das Unbewusste drängte sich blitzhaft herauf. „Kurz zuvor hatte uns unser Freund Josef Brammer aus Ungarisch Brod in München besucht, der seinerzeit meinem kranken Bruder Ernst in Auschwitz seine warme Jacke überlassen hatte - wenig später war Ernst das Opfer einer Selektion geworden." Als Maler signiert er mit „ben jakov", das bedeutet Sohn des Jakob, nach seinem Vater. Sein jüdischer Name ist eigentlich Moses. Die späteren, freudig bunten Leuchtspuren auf den Bildern erinnern sicher auch an die Liebe und Unterstützung seines jüngeren Bruders Edi, der ihm half, die Konzentrationslager zu überstehen, und Max ein paarmal das Leben rettete. Die Brüder blieben zusammen. Nur so konnte er es schaffen, weiss er später. Kometenartige Liebes-Leuchtspuren? „Die historische Erkenntnis stellt sich nur ausgehend vom Jetzt ein", schrieb Didi-Huberman. „Das ist der kritische Punkt im Tableau der Vergangenheit. Das ist das Bild." „Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei", schrieb Walter Benjamin, man muss „sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick der Gefahr aufblitzt.", um „im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen", denn sonst „werden die Toten vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört." Max Mannheimer sieht das Leben trotz wiederkehrender Depressionen positiver. Das hat viel mit seinen selbst erzeugten, erfundenden und erdachten Bildern zu tun: „Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel Geduld haben werde. Wenn ich male, werde ich ganz ruhig. Am liebsten sind mir Grossformate, ab 1,20 Meter und so... Viel Arbeit steckt dahinter. Ich bin ja mehr ein schusseliger Mensch, aber das ist wirklich eine schöne Sache."
Sämtliche abgebildeten Gemälde: Max Mannheimer, ohne Titel. Fotos: Heiko Kilian Kupries, mit freundlicher Genehmigung M. Mannheimer.
Literatur
Max Mannheimer: Spätes Tagebuch. Theresienstadt - Auschwitz - Warschau - Dachau. Piper 2000
Marie-Luise von der Leyen: Max Mannheimer Drei Leben, Erinnerungen, dtv premium 2012
Georges Didi-Huberman: Remontagen der erlittenen Zeit, Bild und Text, Wilhelm Fink Verlag 2014
1 Anm.: Mit dem Rollstuhl kann er leider nicht mehr die Treppe hinunter in den Keller gehen.