Ausgabe

Akademisches Gymnasium Linz 1938-1945

Elke Rajal/Mathias Lichtenwagner

Content

Nicht nur der zeitgeschichtliche Unterricht an österreichischen Schulen über den Nationalsozialismus und den völkischen Antisemitismus vor und während des Dritten Reiches weist Lücken auf. Auch in den Chroniken der Schulen klaffen Wissens- und Aufarbeitungslücken. Schulbezogene  Aufarbeitungsprojekte können diese Lücken schliessen.

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Klassenbuch. Mit freundlicher Genehmigung M. Lichtenwagner.

Der Verein KRIBAV1 hat von Oktober 2013 bis März 2014 das Projekt „Akademisches Gymnasium Linz 1938-1945: Vertreibung und Antisemitismus vor und während des Nationalsozialismus" durchgeführt. Unterstützt wurde das Vorhaben von Nationalfonds, Zukunftsfonds, Land Oberösterreich, Stadt Linz und dem Absolventenverein der Schule. Das Projekt verfolgt nicht nur das Ziel, die eingangs angesprochenen Lücken zu schliessen. Es geht auch von der Prämisse aus, dass die Vermittlung von Zeitgeschichte und die Verhandlung von historischem und aktuellem Antisemitismus mit der generationalen Distanz nicht grundsätzlich leichter geworden ist, was auch Untersuchungen zur Vermittlung der Shoah2 nahelegen. Die nach wie vor häufig verschwiegenen und damit unreflektierten familiären und institutionalen Verstrickungen führen zu einem undefinierten Unbehagen und machen es schwer, die Shoah - bei der es sich ohnehin um keinen „günstigen Lerngegenstand" handelt - zu vermitteln. Vielerorts flüchtet sich der Unterricht in Generalien wie „Totalitarismus" und „Rassismus" als zu verhandelnde Kategorien um den Antisemitismus und die Shoah zu erklären. Eine Möglichkeit, diesen Herausforderungen zu begegnen, können konkret an den Ort der eigenen Schule und die Schule als Institution gebundene Informationen sein.

Bedingt durch den engen Forschungsplan, der nur drei Monate Archivrecherche zugelassen hat, wurde nach Erstellung einer Übersicht über alle relevanten SchülerInnen und Lehrkräfte eine engere Auswahl getroffen. Insgesamt wurden die Grunddaten von 110 Lehrkräften erhoben, 76 davon waren zwischen 1938 und 1945 durchgängig oder teilweise an der Schule, 48 davon kamen ganz neu an die Schule. Zu drei Lehrkräften wurden ausführliche Biografien erstellt: Ein Beispiel einer solchen Biografie im Detail befindet sich weiter unten. Eine andere betrifft die eines Turnlehrers, der sich seinem später folgenden Dienst in der Wehrmacht durch Desertion entzogen hat und in einem Lager ermordet wurde. Zum Kontrast dient die Biografie eines Lehrers, der von Schülern und Kollegen bei seiner Überprüfung nach 1945 als „eindeutig nationalsozialistisch" eingeschätzt wurde.

Bezogen auf die SchülerInnen wurden ebenso die Grunddaten aller jüdischer SchülerInnen aufgenommen, sowohl von jenen, die 1938 die Schule verlassen mussten sowie von all jenen, die als „Mischlinge" an der Schule verbleiben konnten. Vier Schüler konnten das Schuljahr 1937/38 zwar regulär beenden, nicht aber in die nächste Klasse aufsteigen - ihre Biografien liegen durch die bestehende Literatur umfassend bearbeitet vor. Insgesamt acht als „Mischlinge" bzw. „jüdisch mischblütig" bezeichnete Schüler konnten die Schule weiterhin besuchen - zu diesen wurden im Zuge des Projekts umfassende Biografien erstellt. Zudem wurden zu sieben (von zumindest 65) jüdischen SchülerInnen, die 1918-1938 die Schule besucht haben, Biografien erstellt, um auch Lebenswege älterer SchülerInnen zeigen zu können. Die getroffene Auswahl erfolgte vor allem nach der Massgabe, die erstellen Biografien für Workshop-Einheiten verwenden zu können. Die ausgearbeiteten Biografien sind unterschiedlich umfassend, durch Recherchen in internationalen Archiven könnten sie jedenfalls noch ausgeweitet werden. Dies ist für weitere Projektschritte geplant.

Ein Beispiel für die vielfach mit der Schule verbundenen Familiengeschichten: Josef Buchegger, geboren 1886, lehrte nach seiner Matura kurz an der Uni Wien, sodann als Lehrer an einem Gymnasium in Wien und ab 1928 am Gymnasium Spittelwiese. Anna Wolf studierte nach ihrer Matura am Mädchen-Lyzeum in der Körnerstrasse ebenso in Wien und unterrichtete bis 1917 an ihrer ehemaligen Schule. 1917 heirateten die beiden und wohnten zumindest zeitweise in der Promenade 9, unweit der Spittelwiese. Auch ihr gemeinsamer Sohn, Josef, besuchte die Spittelwiese: im Schuljahr 1938/1939  die erste Klasse. Der „Anschluss" bedeutete einen starken Einschnitt in das Leben der Familie: Dem Regime galt Anna Buchegger als „Volljüdin", Josef Buchegger somit als in einer „Mischehe" lebend. Da ihm auch sonst eine „gehässige Einstellung der NSDAP gegenüber" nachgesagt wurde, musste er am Ende des Schuljahres 1938/1939 den Lehrkörper verlassen und wurde (mit Abschlägen) in den frühzeitigen Ruhestand versetzt. Seinem Sohn wurde erlaubt weiterhin die Schule zu besuchen, er wurde jedoch im Hauptkatalog als „Mischling 1. Grades" vermerkt. Er konnte die zweite Klasse beenden, verliess die Schule aber dann. Anna Buchegger war gezwungen ihren Anteil am gemeinsamen Haus zu veräussern, was erst nach etlichen Behördenschritten und jahrelangen Unwägbarkeiten möglich war. Soweit uns bekannt harrten alle drei der Befreiung in Linz. Josef Buchegger kam im Februar 1945 im Zuge eines taktischen alliierten Fliegerangriffs zu Tode, Anna Buchegger verstarb 1955.

Literaturempfehlung:

Wagner, Verena: Jüdisches Leben in Linz. 1849 - 1943. Linz, 2008. (Zwei Bände) sowie: Dies.: Jüdische Lebenswelten. Zehn Linzer Biografien. Linz, 2013.

  

1    Verein für kritische Bildungsarbeit und Vergangenheitspolitik, Wien. Neben den beiden AutorInnen ist Sebastian Klocker Teil des Projektteams.

2  Beispielsweise: Peham, Andreas; Rajal, Elke: Erziehung wozu? Holocaust und Rechtsextremismus in der Schule. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.): Jahrbuch 2010. Schwerpunkt: Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen. Wien, 2010. S. 38-65.