Ausgabe

Die neologe Reformsynagoge von Zagreb

Anna Grünfelder

h124_28.jpg

Aussenansicht der reformierten Synagoge von Zagreb. Foto: Ivan Standl, ca. 1895. Signatur: MGZ-fot-2210/2. Museum der Stadt Zagreb, mit freundlicher Genehmigung.

 

In Zagreb sind jüdische Wohnstätten und auch Bethäuser seit  dem 15. Jahrhundert belegt, aber der Zuzug von Juden aus Ungarn, aus Mähren und Galizien lässt sich erst nach Erlass des josephinischen Toleranzpatents, ab 1783 nachweisen. Im Jahre 1806 entstand in Zagreb eine Kultusgemeinde mit angeschlossener „Schul‘“. Kleinere Städte Kroatiens folgten der Zagreber Gründung.

Inhalt

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts trennten sich die Orthodoxen von den Neologen (Reformgemeinde). In Zagreb erwarben die Orthodoxen unter der geistlichen Führung des aus Preussen stammenden Aron Palotta (1776 oder 1777 – 1843) ein eigenes Bethaus und einen eigenen Friedhof. Die Neologen, wohlhabend und gebildet, die Vorläufer der Generationen von Industriellen, Firmeninhabern, Bankiers und Versicherungsexperten, gründeten 1806 mit zwanzig Familien, bzw. 75 Mitgliedern, die Jüdische Kultusgemeinde in Zagreb. Ihr Rabbiner wurde Mavro Moritz Goldmann (1790 Turnov, Böhmen – 1860 Zagreb), mit Rabbinerausbildung in Padua. Er, der sich um die Modernisierung des Kultus verdient machte, trat gegen Ende seines Lebens zum Katholizismus über und rief die Gemeinde ebenfalls zur „Bekehrung“ auf.

Innenansicht der reformierten Synagoge von Zagreb. Foto: Ivan Standl, 09.11.1880. Signatur: MGZ-4854/10. Museum der Stadt Zagreb, mit freundlicher Genehmigung.

Der Bau der neologen Reformsynagoge begann1866 in der heutigen Praška (Prager) Strasse Nr. 7 (damals „ulica Marija Valerija), nahe dem „Herzen“ der Stadt, dem Josip-Jelačić-Platz. Am 27. September 1867 wurde das G‘tteshaus eingeweiht. Damit beteiligten sich die eher säkular eingestellten Mitglieder der Reformgemeinde an der Urbanisierung der vom Hauptplatz nach Süden reichenden „Unterstadt“: Sie finanzierten die Anlage des zentralen Parkes südlich der Synagoge; die in der Pragerstrasse ansässigen jüdischen Geschäfte stellten auf Nobelwaren um, so dass die Synagoge eine elitäre Umgebung erhielt.

Der Entwurf zur Synagoge stammt vom Wiener Bauingenieur Franjo Franz Klein (1828 Wien – 1889 Zagreb), umgesetzt wurde er vom Zagreber Bauunternehmer Josip Josef Siebenschein (1836 Hranice, Böhmen - 1908 Zagreb). Klein orientierte sich zwar am Leopoldstädter Tempel (Architekt: Ludwig Förster) in der Wiener Tempelgasse 3 (damals Wällisch
-gasse), doch bevorzugte er für die Aussenansicht der Zagreber Synagoge die klassizistische Formensprache statt des maurischen Stils des Wiener Vorbildes. Die zweigeschossige Synagoge wies einen longitudinalen Grundriss in West-Ost-Ausrichtung auf. Im Sinne der vor dem Toleranzpatent geltenden Bestimmungen für nichtkatholische Sakralbauten, dass sie mit katholischen nicht in einer Ebene stehen durften, setzte Klein auch die Zagreber Synagoge gegenüber der Strasse und den angrenzenden Häusern zurück und umgab das Areal mit einem schmiedeeisernen Zaun.

h124_27.jpg

Abriss der Synagoge. Foto: Tihomil Stahuljak 1942. Signatur: MGZ-fot-16959/1 . Museum der Stadt Zagreb, mit freundlicher Genehmigung.

Die Zagreber Synagoge wies ein hohes Mittelschiff und niedrigere Seitenschiffe gemäss dem Basilika-Typus auf, aber die Relationen zwischen Mittelschiff und Langhaus-Seitenschiffen  lassen eher an eine “Hallenkirche“ denken. Als Baumaterial dienten glattgeschliffene Steinquader, die als solche auch im Innenraum zu erkennen waren. Als neologe Synagoge bekam der Kultbau eine Orgel.

 

Die Presseberichte zur Einweihung der neologen Reformsynagoge am 27. Juni 1867 rühmten einerseits die in Kroatisch gehaltene Predigt des neuen Rabbiners Dr. Hosea Herman Jacobi (1841 geboren in Jacobshagen, Preussen; er lernte erst Kroatisch – 1925 Zagreb), die beweise, dass Glaube und natio-
nales Bewusstsein einander nicht ausschlössen, sondern Hand in Hand gingen; andererseits wurde die Errichtung einer Synagoge direkt im Stadtzentrum als Beispiel für religiöse Toleranz im Geiste des Humanismus gewürdigt und die Hoffnung auf dauerhafte Toleranz zwischen den Einwohnern der Stadt bekundet. Zagreb zählte noch im Jahr 1940 12.000 Juden, davon 8.712 aschkenasische Neologe, 625 Mitglieder der sefardischen und 130 Mitglieder der orthodoxen Gemeinde.

Die reformierte Synagoge  wurde im Oktober 1941 von der faschistischen Ustascha, auf Geheiss des Zagreber Bürgermeisters Ivo Werner, abgerissen, das Inventar grösstenteils zerstört. Im Jahre 1945 forderte die internationale Loge B‘nai B‘rith die Überlassung der Kultgegenstände der Synagoge sowie des gesamten Vermögens der jüdischen Organisationen. Die damalige Jüdische Kultusgemeinde antwortete, dass  das Inventar der Synagoge „höchstwahrscheinlich zerstört wurde“.

 

Nach dem Krieg wurde auf dem leeren Platz zwischen zwei städtischen Zinshäusern ein Konfektionsgeschäft errichtet, das am Neujahrstag 1981 ausbrannte. Das seit 1980 leerstehende Grundstück zwischen zwei Bauten sollte im Jahre 2000 der Jüdischen Gemeinde als Rechtsnachfolgerin der Jüdischen Kultusgemeinde restituiert werden. Die Restitutionsfrage, aber auch andere Führungsprobleme resultierten 2006 in der Gründung einer zweiten jüdischen Gemeinde, „Beth‘ Izrael“, die sich als „modern orthodox“ versteht und vom orthodoxen Rabbiner Kotel Dadon (geb. 1967 in Jerusalem, seit 1998 Rabbiner in Zagreb) geleitet wird. Das Grundstück des ehemaligen G‘tteshauses wird seither als Parkplatz für ein Hotel genutzt. An die einstige Synagoge erinnert an der Hausfront zum Parkplatz eine Gedenktafel.

 

Die neue jüdische Gemeinde, Beth‘ Izrael, sieht sich als Rechtsnachfolgerin der 1873 (oder 1879) gegründeten Orthodoxen Gemeinde von Zagreb und jener aschkenasisch-reformierten (neologen) Gruppe, die 1926 eine Aschkenasisch-Orthodoxe Gemeinde gründete und dafür die Synagoge und den Bet-
raum in der Palmotićeva benutzen durfte. 1927 wurde eine Orthodoxe Sephardische Gemeinde gegründet. Sie musste sich mit einem angemieteten Betraum  am Strossmayer-Platz zufriedengeben. Beth‘ Izrael erwarb im Jahre 2008 eine Stadtvilla am Mažuranić-Platz, gegenüber dem Kroatischen Nationaltheater. Der Synagogenraum wurde vom Zagreber Maler Toni Franović (geb.1964, mütterlicherseits Jude)  gestaltet – er inspirierte mit seinen Motiven die jüdische Schriftstellerin, die auch Mitglied des Gemeinderates von Beth‘ Izrael ist, Jasminka Domaš (geb.1948) mit ihrem Buch „Šalom Zagreb“ (2019) zu einer Nachdichtungs-Reflexion über die Symbole in der Synagoge und die Gedanken der Beter. So hat sie im Buch „Die Auserwählte“ (2018) Edith Stein in diesem Sinne aus jüdischer Prägung gedeutet.

 

Quellen:

Kroatisches Staatsarchiv Zagreb, Landeskommission zur Ermittlung von Kriegsverbrechen der Besatzer und ihrer Kollaborateure – Sign.ZKRZ(Fonds 306) - Staatsanwaltschaft der Volksrepublik Kroatien (JT, Fonds 421)

 

Literatur:

Jasminka DOMAŠ, Šalom Zagreb-Shalom Zagreb. Zagreb 2019

Jasminka DOMAŠ, Izabrana. Život Edith Stein (Die Auserwählte – Das Leben Edith Stein). Zagreb 2018

Katrin BOECKH; Židovska vjerska općina u Zagrebu do 1941.godine (Die Jüdische Kultusgemeinde in Zagreb bis 1941). In: www.hrcak.srce.hr › file1995.Jg. 27, Nr. 1, S. 33-53, Zagreb, 1995

Snješka KNEŽEVIĆ, Zagrebačka sinagoga.  Radovi Instituta za povijest umjetnosti (Die Zagreber Synagoge. Arbeiten des Institutes für Kunstgeschichte), Zagreb, Nr. 23/1999, S. 121-148.

Snješka KNEŽEVIĆ – Aleksandar LASLO, Židovski Zagreb (Das jüdische Zagreb). Zagreb 2011/5771

Naida Mihal BRANDL, Židovi u Hrvatskoj od 1944./5. do 1952. Doktorski rad (Die Juden in Kroatien von 1944/1945-1952. Dissertation). Zagreb 2015

Naida Mihal BRANDL, Židovska topografija Zagreba kojeg više nema (Die jüdische Topographie von Zagreb, das es nicht mehr gibt). In: Historijski zbornik  (Historischer Almanach), Jg. 69, Zagreb 2016, S. 92-103.

Naida Mihal BRANDL, Židovski identitet/i u Hrvatskoj nakon Drugog svjetskog rata: kratki pregled. (Jüdische Identität/en in Kroatien nach dem Zweiten Weltkrieg: Eine Kurzdarstellung). In: Dobrovšak, Lj., Žebec Šilj, I. (Hgg.), Nacionalne manjine u Hrvatskoj i Hrvati kao manjina/Nationale Minderheiten in Kroatien und Kroaten als Minderheit, S.167-194. Zagreb: Institut Ivo Pilar.

Ivo GOLDSTEIN (Redaktion), Hrvatski židovski biografski leksikon (Arbeitsversion): Hrvatski leksikografski zavod „Miroslav Krleža“, Zagreb: https://zbl.lzmk.hr/?cat=17

Philippe René JARJAT, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Zagreb (Kroatien). Diplomarbeit, Technische Universität Wien. Fakultät für Raumplanung und Architektur, 2016. Online als pdf.

Zlatko KARAČ, Arhitektura sinagoga u Hrvatskoj u doba Historicizma (Synagogenarchitektur in Kroatien in der Epoche des Historizismus). In: Historicizam u Hrvatskoj  (Historizismus in Kroatien). Katalog des Museums für Kunsthandwerk (Muzej za umjetnost i obrt), Zagreb, 2001,  S. 166-185.

Ines SIUC, Sjećanje na zagrebačku sinagogu: praznina koju (ne) osjećamo? Remembering the Zagreb Synagogue: A void we (don’t) feel? In: Diskrepancija  (Zeitschrift der Soziologiestudenten der  Philosophischen Fakultät Zagreb) Nr. 22/23, November 2019

Katrin Völkl, Die jüdische Kultusgemeinde in Zagreb bis 1941. In: Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, Heft 92 (1993), Sigel WAB 92 (= Juden im Grenzraum, Geschichte, Kultur und Lebenswelt. Schlaininger Gespräche 1990), Eisenstadt 1993, ISBN 3-85405-124-3, www.zobodat.at, abgerufen am 03.03.2020

 

Für die Beschaffung von Fotografien zur Reformierten Synagoge danke ich der Historikerin und wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Kroatischen Historischen Museums (Hrvatski Povijesni muzej) Frau Dr. Nataša Mataušić und der Oberkustodin des Museums der Stadt Zagreb (Muzej grada Zagreba), Frau Mag. Dubravka Stančec.