Ausgabe

Österreichische Jüdinnen und Juden in Jugoslawien Überleben und Repatriierung

Anna Grünfelder

Inhalt

Nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands und seines Satelliten, des „Unabhängigen Staates Kroatien“, dessen Führungsspitze sich nach Österreich durchschlagen und nach Übersee retten konnte, wagten sich einige wenige jüdische Überlebende - auch Flüchtlinge aus den von Nazideutschland besetzten Ländern in Jugoslawien - aus ihren Verstecken hervor: „arische“ Ehepartner, deren jüdische Männer in den Konzentrationslagern der kroatischen Ustascha ermordet oder in die Vernichtungslager der Nazis im Osten deportiert wurden: die Wienerinnen Karoline Raab und ihr zwölfjähriger Sohn Hermann, sowie Mary Allina, Insassinnen des Frauen-KZ Loborgrad konnten sich „irgendwie“ Ariernachweise besorgen. Sie begaben sich nach Daruvar, wo sie seit 1939 bis zur Deportation (gemeinsam mit den einheimischen Juden) am 4. August 1941 interniert waren.

 

Mary Allinas Spur verliert sich dann; Karoline und Hermann Raab teilten das Schicksal der Einwohner von Daruvar, das als Hochburg der Ustascha-Milizen von den kommunistischen Partisanen immer wieder erobert und aufgegeben wurde: Dies bedeutete weiterhin Gefährdung durch die Ustascha und Überleben an der Front. Aus Karolines wortkargem Antrag auf Repatriierung (1946) geht nicht hervor, wie sie und ihr Sohn diese Zeit wirklich ertrugen: immerhin konnte der Junge das städtische Gymnasium besuchen. Die Partisanen erlebte sie „als Befreier“, schrieb sie: vielleicht aus Klugheit gegenüber den neuen Herren, oder erleichtert, obwohl mit den Partisanen die Kriegsverbrecherkommission ihre Arbeit aufnahm, alle Einwohner perlustrierte und manche unschuldig ins Gefängnis oder vor ein Erschiessungskommando brachte. Karoline Raab begründete ihren Antrag damit, dass sie vierzehn Familienangehörige verloren und nur ihr Vater überlebt habe.

 

In Osijek hatte die aus Graz gebürtige Ehefrau des Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Osijek, Mitzi Friedmann (60 Jahre), überlebt: Ihr Mann war nach Jasenovac deportiert und ermordet worden. Als sie sich von ihrem Mann verabschiedete, drückte eine junge Mutter aus dem Transport der Weinenden ihren zweijährigen Sohn in den Arm. Der Wärter hatte ihr - wohl absichtlich - den Rücken zugekehrt. Mitzi behielt den Kleinen bis Kriegsende bei sich und übergab ihn den überlebenden Verwandten. Sie selbst kehrte nach Graz zurück und starb wenige Jahre später.

 

Die nichtjüdische Wiener Ehefrau von Simon Goldstein aus Wien, Albina, wurde im Dezember 1941 Augenzeugin des Massakers der Ustascha an rund 260 Juden - Einheimischen aus Brčko und Emigranten: Sie wurden von der Ustascha, angeblich als Vergeltung für einen Partisanen-Angriff, am Ufer des Saveflusses erschlagen, ihre Häuser geplündert. Albina konnte während des Krieges nicht nach Wien zurück, da sie bei der Eheschliessung zum Judentum konvertiert war; 1946 rüstete sie sich zur Heimkehr. In Zagreb wurde sie in eine Wohnung eingewiesen, in der ein österreichischer Jude als U-Boot überlebt hatte: der nachmalige Präsident der Jüdischen Kultusgemeinde Innsbruck, Ernst Beschinsky (1901-1987) mit seiner Lebensgefährtin Ilse Focke (die geschiedene Frau eines jüdischen Apothekers aus Hall/Tirol).

 

Ernst Beschinsky hiess mit richtigem Namen Manek Willner und stammte aus einer Familie galizischer Juden, die 1915 vor der russischen Offensive nach Wien geflüchtet war. Zur Flucht vor den Nazis nahm Manek Willner den Namen seines Freundes Ernst Beschinsky (geb.1902 in Brünn) an, der seit 1930 in Palästina weilte und 1969 dort starb. Warum es zwei fast kongruente Beschinskys gab, deckte der israelische Filmregisseur Yäl Lev auf und rekonstruierte mit Hilfe des Historikers der Israelitischen Kultusgemeinde Innsbruck Niko Hofinger diese Geschichte „des Mannes, der zweimal starb“; Niko Hofinger lässt den 1987 in Innsbruck verstorbenen Ernst Beschinsky seine Version, die Odysse der Flucht aus Wien über Prag und die Schweiz nach Zagreb, in seinem Roman „Maneks Listen“ schildern.

 

Manek-Ernst wurde im deutsch besetzten Zagreb von Ilse, die aus einer nationalsozialistischen Familie aus Hall stammte und in Zagreb eine Stelle als Fremdsprachenkorrespondentin im nationalen kroatischen Reisebüro gefunden hatte, in ihrer Dienstwohnung versteckt. Dort war er vor der Verfolgung der Juden durch die kroatische Ustascha geschützt.

 

Die burgenländischen Juden Anna und Leo Blau aus Rechnitz, die wie alle Bewohner der jüdischen Gemeinden des Burgenlandes schon im April 1938 ausgebürgert und „gauverwiesen“ worden waren, wurden dank der Hilfe von „Gildemeester“ in Jugoslawien auf ein landwirtschaftliches Gut in Podravska Slatina verbracht, das zur Sammelstätte aller orthodoxen Juden wurde und als Lehrkibbuz für Alijah-Emigranten diente. Von dort durften sie in den jugoslawischen Hafen Sušak reisen, um nach Kolumbien zu emigrieren.In Sušak verliert sich die Spur von Leo Blau. Anna Blau wurde 1942 als Insassin des italienischen Internierungslagers für Juden in Kraljevice registiert, das explizit als „Lager zum Überleben der Juden“ konzipiert war, wie der Wiener Insasse Imre Rochlitz gleich bei der Einlieferung konstatierte. Nach Kriegsende meldete sich eine Anna Blau aus Osijek, von der Adresse ihrer Tochter Tereza Rechnitzer. Sie wurde 1947 repatriiert, ebenso wie ihr Bruder, der aus Shanghai über Jugoslawien heimkehrte.

 

Imre Rochlitz überlebte die beiden italienischen Internierungslager für Juden, Kraljevica und Kampor (Insel Rab). Er schloss sich nach der Auflösung des Lagers Kampor infolge der Kapitulation Italiens den kommunistischen Partisanen an, ebenso wie Fritz Lunzer, der österreichische Musiker Ernst Glaser (Glasner, der nachmalige Streicher beim New York Philharmonic Orchestra), sowie Willy Kroll (der im Partisanen-Kampf fiel). Imre Rochlitz, der die Schattenseiten des zum Heldenmythos hochstilisierten Partisanen-Kampfes kennenlernte, schloss sich als „blinder Passagier“ einem Evakuierungstransport der Partisanen mit Verwundeten und Flüchtlingen an, um den Partisanen zu entfliehen und ins Alliierte Hauptquartier in Bari zu gelangen.

 

Die Wiener Modistin Anni Römer-Blau (geb.1896), 1938 nach Dubrovnik geflüchtet, 1943 in das KZ Lager auf der Insel Rab eingeliefert, überlebte dieses und sogar die deutsche Besatzung nach der Kapitulation Italiens - als „Sympathisantin der Partisanen“, wie das Dossier der kommunistischen Verwaltung feststellte. Am 6.4.1946 konnte sie über Jesenice nach Österreich ausreisen.

 

Hilfe und Rettung durch die Partisanen erfuhr auch der österreichische „Halbjude“ Johann Glas (geb.1900 in Minihof) mit seiner Familie. Sie wurden von Partisanen im Hinterland von Split versteckt, als die Gestapo in Split 1941 nach ihm fahndete, weil Johann Glas seit 1941 mit den Partisanen zusammenarbeitete.

 

Repatriierungsschicksale

Auf den Konferenzen von Teheran und Jalta vereinbarten die Mitgliedsstaaten der Anti-Hitler-Koalition - darunter auch Jugoslawien - die Repatriierung aller auf ihren Territorien weilenden „Displaced Persons“. Die provisorische jugoslawische Regierung gründete am 28. April 1945 eine Repatriierungskommission mit Dienststellen in allen Teilrepubliken und Vollzugsorganen  in Gemeinden und Städten. Repatriierungsbasen agierten in allen Grenzbahnhöfen - offiziell als Hilfe und Ansprechpartner, de facto jedoch vor allem zur Perlustrierung der aus dem Ausland nach Jugoslawien Repatriierten.

 

Zuständig für die Repatriierung war das Sozialministerium, gemeinsam mit dem Innen- und dem Verteidigungsministerium. Ihre Weisungen für die Repatriierungskommission beinhalteten auch den Auftrag, überlebenden ausländischen Juden mit Hochachtung und Rücksicht zu begegnen und Antragstellern auf Repatriierung sowie Repatriierungskandidaten in jeder Hinsicht behilflich zu sein, denn es handle sich um „Antifaschisten“ und Personen, die als Juden und Opfer des Faschismus Schweres erlebt hätten. So wurden sie in Zagreb auch nicht in das zentrale Auffanglager für Repatriierungen eingewiesen, sondern in Hotels - die 1945 allerdings auch nicht viel mehr Komfort boten als die Lager, denn selbst die Luxushotels waren von den Deutschen in desolatem Zustand hinterlassen worden. Das Ministerium für Sozialpolitik trug, mit Unterstützung der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitations Agency), die Aufenthalts- und Reisekosten der jüdischen „Displaced Persons“. Auch HICEM und die Jewish Agency, bei der Revitalisierung der Jüdischen Kultursgemeinde Zagreb behilflich, sprangen ein. So konnten Anna Blau, Mitzi Friedländer, Karoline und Hermann Raab 1946 mit Ausweisen des Jugoslawischen Roten Kreuzes über Jesenice in die britische Besatzungszone ausreisen.

 

Probleme bei der Repatriierung verursachten einerseits die britische Militärverwaltung in Kärnten, andererseits auch die jugoslawischen Behörden selbst. Personen, die bei der britischen Besatzungsmacht den Verdacht auf „kommunistische Betätigung“ und/oder Partisanenzugehörigkeit erregten, wurden von dieser an der Einreise nach Kärnten gehindert. 1945 hatte sich die Sympathie des britischen Premiers, der 1943 die Partisanen Titos mit Kriegsmaterial und humanitärer Hilfe unterstützt hatte, gegen Tito gewandt: Premier Winston Churchill verdächtige Tito wegen dessen kontinuierlichen Paktierens mit Stalin hinter dem Rücken der Briten, in Jugoslawien ein kommunistisches System sowjetischer Prägung einzuführen. (Ex)partisanen und Kommunisten mussten daher statt durch den Karawankentunnel über Spielfeld-Strass in die sowjetisch-besetzte Zone in Ostösterreich repatriiert werden.

 

Im Gegensatz zur Empfehlung der zuständigen Ministerien, die ausländischen „Displaced Persons“ zu unterstützen, nahm die jugoslawische Geheimpolizei (OZNA) auch die Schutzwürdigen ins Visier. Manek Willner-Ernst Beschinsky und sein Wiener Freund Gustav Graf, ebenfalls Flüchtling in Zagreb seit 1938, gründeten ein „Österreichisches Antifaschistisches Komitee“ - zu dem alle von mir konsultierten Archivbestände im Kroatischen Staatsarchiv schweigen (auch dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes ist dieses Komitee nicht bekannt). Aufgrund von Niko Hofingers zitiertem Roman-Protokoll von Manek Willners-Ernst Beschinskys Aufenthalt in Zagreb 1945-1948 kommt man zum Schluss, dass dieses Komitee überhaupt nur dazu gegründet worden sei, um sich gegenüber der kommunistischen Macht als „Antifaschisten“ zu beweisen, denn diese Macht war in der Zeit der Konsolidierung misstrauisch, das Klima geprägt von Angst vor Denunzierung und Verdächtigung als „Volksfeind“. Die Bevölkerung wurde Augenzeuge von Liquidierungen ohne Gerichtsverfahren.

 

Manek-Ernst und Ilse machten 1946 „Bekanntschaft“ mit der Revolutionsjustiz. Sie hatten auf Ersuchen der Österreichischen Vertretung in Zagreb eine unbekannte Besucherin in ihrer Wohnung nächtigen lassen. Die Polizei eruierte, dass es sich um die Ehefrau eines in Jugoslawien verhafteten mutmasslichen Kriegsverbrechers der Wehrmacht handelte. Gegen Manek-Ernst und Ilse wurde ein Gerichtsverfahren - nicht nur wegen dieses Tatbestandes, sondern auch wegen Schwarzhandels und anderer nicht beweisbarer Tatbestände - eingeleitet, das mit zweieinhalbjähriger Haft für Manek-Ernst endete. Er landete im ehemaligen Ustascha-Frauen-KZ Stara Gradiška; Ilse kam früher frei, weil ihr die U-Haft angerechnet wurde. Sie kehrte unverzüglich nach Tirol zurück.

 

Auch Manek-Ernst wurde früher aus Stara Gradiška entlassen - Grund dafür war eine „Pragmatische Weisung“, straffällige Juden in die Aussiedlungstransporte nach Israel zu entlassen. Diese Chance nützte auch Manek-Ernst - nicht um dort zu bleiben, sondern auf Umwegen nach Tirol zu gelangen. Manek sollte von seinen Mithäftlingen in Gradiška erfahren, dass so manches Opfer der kommunistischen Justiz sich auf die Alijah einliess, nur um Jugoslawien hinter sich zu lassen. Andererseits benutzte die jugoslawische Justiz die Alijah, um ihre politischen Gegner ausser Landes zu schaffen und sich Prozesse zu ersparen, die Jugoslawien im Ausland den Ruf einer „Unrechtsdiktatur“ eintrugen.

 

Die Wiener Dr. Georg Nussbaum (ein klassischer Philologe und getaufter Jude) sowie das Ehepaar Dr. Wilhelm und Hilde Pollak (Pollack), Mitglieder der KPÖ, nahmen die jugoslawische Staatsbürgerschaft an und arbeiteten für die gesamtstaatliche Repatriierungskommission an der Ausforschung der von Jugoslawien zur Auslieferung ausgeschriebenen mutmasslichen Kriegsverbrecher österreichischer Herkunft.

 

Manek Willner alias Ernst Beschinsky ehelichte 1946 am Zagreber Standesamt Ilse, die ihn versteckt gehalten hatte, und liess sich 1950 repatriieren. Aus den von Niko Hofinger eruierten biografischen Daten sind  nur wenige Details zum Überleben  in den schwierigen ersten Nachkriegsmonaten zu erfahren, als die Menschen nach den Schuldigen für ihre Misere suchten und nicht nur Kollaborateure, sondern auch Opfer des Ustascha-Regimes Gefahr liefen, Racheakten zum Opfer zu fallen.

 

Dennoch blieben einige Musiker in Zagreb: so beispielsweise Fritz Lunzer, der seine in Wien unterbrochene Musikerkarriere in Zagreb fortsetzen durfte und zum gefragten Repetitor später international bekannter jugoslawischer Sängerinnen wurde.

 

Quellen und Literatur:

Landes-Repatriierungskommission der Volksrepublik Kroatien (Sin.ZKRH, Zl.1522).

Zlata Živaković Kerže, Od naselja Tenje do Sabirnog logora. Scrinia Slavonica 6 (2006), 497

Niko Hofinger, Maneks Listen. Innsbruck 2018.

BORBA; Beograd: „Međunarodni odnosi Nove Jugoslavije. Saopštenje o Sporazumu Privremene vlade DFJ i UNRRA“. 25. März  1945.