Ausgabe

Eine Reisetasche voller Magie

Christoph Tepperberg

Inhalt

Boris Sandler: Kuriositäten aus der Reisetasche. Aus dem Jiddischen von Andrea Fiedermutz.

Salzburg: Verlag Anton Pustet 2022.

376 Seiten, Hardcover, Euro 25,00.-

ISBN: 978-3-7025-1052-7

Auch als eBook erhältlich, eISBN: 978-3-7025-8092-6

 

Boris Sandler, einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren des Jiddischen, entführt uns in den 21 Erzählungen des vorliegenden Buches in die versunkene Welt der jiddischen Sprache und Kultur. Er versteht es geschickt, Reales und Fiktives ineinander zu verweben, Skurriles und Wehmütiges hinzuzugeben. Es gelingt ihm, die Wärme jüdischer Familien und die Kälte der Ereignisse im Umfeld des Zweiten Weltkriegs zu mischen und mit dem von ihm selbst erlebten sowjetischen Alltag unter Stalin und den jüdischen Emigrantenschicksalen in Israel und den U.S.A. zusammenzufügen. Alle Protagonistinnen in Sandlers Erzählungen führen einen Koffer voller kurioser Erinnerungen und Magie mit sich. Da fährt ein ungeborenes Kind in einem Soldatentransport an die Front, um sich seinen künftigen Vater auszusuchen (Der lange Weg nach Hause, S. 203-218), da ist ein Lausbub, der eine jüdische Hochzeit „aufmischt“ (Wohin ist Bumbumtschik verschwunden? S. 187-202), da machen sich Nasen nachts selbständig und will sich ein jüdischer Bub von einem professionellen Dieb dessen faszinierendes Handwerk erklären lassen (Rund um die Nase, S. 16-34), da wachsen Diamanten in Kartoffelschalen (Kuriositäten aus der Reisetasche, S. 115-126) und führen Spiegelbilder ein Eigenleben (Das Leben ist ein Spiel, S. 259-271). Charakteristisch für Boris Sandler ist eine Episode in seiner Erzählung Der schwarze Teller. Die Geschichte wird um ein einfaches sowjetisches Radiogerät gebaut, das sich (analog zum NS-„Volksempfänger“) in fast jeder Wohnung der damaligen UdSSR befand. Darin erzählt Sandler über (s)eine Mutter, die eines Tages einen Brief an die Moskauer Radiostation schrieb und die Programmdirektion bat, im Rahmen der Sendung Konzert laut Ihren Bestellungen (in etwa „Wunschkonzert“) doch einmal ein jiddisches Lied zu spielen. Es geschah wirklich das Wunder, und der Sender liess unter Nennung von Namen und Adresse der Briefschreiberin das bekannte Lied Itzik hat schon Hochzeit gehalten spielen. Die Reaktionen in ihrer Umgebung waren höchst unterschiedlich, eindeutig war jedoch die Reaktion des KGB: Die Mutter wurde in das Personalbüro ihrer Firma vorgeladen. Dort wurde ihr von einem KGB-Offizier nahegelegt, künftig keine derartigen „Bestellungen“ nach Moskau zu senden. Sie war darüber derart schockiert, dass sie erst, nachdem sie bereits fünfzehn Jahre in Israel gelebt hatte, ihrem Sohn davon erzählen konnte (S. 154-166). Bemerkenswert ist die kurze Vorbemerkung der Übersetzerin Andrea Fiedermutz (S. 6-7), gefolgt von dem ausführlichen Vorwort »Diamanten und Kartoffeln: Boris Sandlers Kuriositäten aus der Reisetasche« von Michail Krutikov (S. 8-11). Anmerkungen/Endnoten (S. 362-373), Verlagshinweise (S. 374-375) und Kurzbiografien des Autors und der Übersetzerin (S. 376) ergänzen diesen gelungenen Band jiddischer Kuriositäten. 

 

Zu Autor und Übersetzern

Boris Sandler, geboren 1950 in Bălți (jiddisch und deutsch Belz) in der heutigen Republik Moldau, ist ein Jiddisch schreibender Schriftsteller, Journalist, Dramaturg und Filmemacher. Studium der jiddischen Literatur am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau, 1992 Emigration nach Israel und Tätigkeit an der Hebrew University of Jerusalem, langjähriger Chefredakteur der jiddischen Zeitung Forverts in New York. Er gilt als einer der wichtigsten jiddischen Kulturschaffenden und wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Seine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. Andrea Fiedermutz, geboren in Wels, ist Linguistin. Sie studierte an der Universität Innsbruck und an der Hebrew University of Jerusalem. Langjährige Lehrtätigkeit in Österreich, Israel und Polen. Übersetzungen aus dem Jiddischen, Hebräischen und Russischen. Michail Krutikov, geboren 1957 in Moskau, Department of Slavic Languages and Literatures and The Jean & Samuel Frankel Center for Judaic Studies, University of Michigan.

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