Über die Synagogen der Spaniolen (Sefarden) in Bulgarien sind wir schlecht, eigentlich überhaupt nicht informiert. Zum Glück verfügen wir über einen ausführlichen Reisebericht des in Brody geborenen Arztes Dr. Julius Barasch (1815–1865).1 Barasch veröffentlichte ihn 1844–1845 in der Allgemeinen Zeitschrift des Judenthums unter dem Titel
„Wanderung durch Krakau, Galizien, Bukowina, Moldau und Walachei“.
Er beschreibt – mit dem Hochmut der Aschkenasen dem Osten und den Spaniolen gegenüber – die 1819 eingeweihte Bukarester Spaniolen-Synagoge Cahal Grande so:
„Die Synagoge [der Spaniolen] in Bukarest ist in einem Hofe plazirt. Durch eine einfache, keine besondere Merkwürdigkeit darbietende Vorhalle, gelangt man in das Innere derselben. Hier erblickt man einen grossen Quadratsaal mit einer hinreichenden Anzahl von grossen, gotischen Fenstern versehen. Die Decke, aus braunen hölzernen Balken bestehend, hat in der Mitte (über dem Baal-Memmer) eine grosse runde Öffnung, worauf eine Art Kuppel ruhet, die auf allen Seiten mit kleinen Fensterchen versehen ist. Der Fussboden ist aus Quadersteinen. Die Wände bei Weitem nicht mit so vielen Aufschriften und Gebetsformeln belegt wie die polnischen und altdeutschen Synagogen. Rings um die vier Wände läuft eine einfache Bank, die nur an der östlichen Seite in der Mitte, durch ein doppeltes Geländer, das vermittelst einiger Stufen zum Allerheiligsten führt, unterbrochen wird. Die ganze Misrachwand ist, im Vergleich zu dem, was man der Art in polnischen und altdeutschen Synagogen findet, höchst einfach. Da findet man keine monströsen Ungeheuer von beflügelten Löwen, Tigern und Hirschen, von vierfüssigen Vögeln und anderen Schnörkeleien und Geschöpfen einer ungezügelten Phantasie, die dem Charakter des Judentums, mit seinem einheitlichen, unkörperlichen, reingeistigen G’tte, so schnurstracks zuwiderlaufen, dass man wahrhaftig erstaunen musste, solche verdächtigen Bilder in jüdischen Synagogen vorzufinden, wenn nicht öfteres Wiederfinden an ihre Erscheinung gewöhnt hätten; tiefer beobachtende Nichtjuden jedoch wunderten sich schon gar manchmal über den Kontrast der synagogalen Lehre und des Geistes ihrer Gebete mit ihrer Misrachwand. Ein schöngestückter seidener Vorhang in einiger Erhöhung mit einer kleinen Tafel, worauf JHWH geschrieben steht, darüber, bezeichnet in der spanischen Synagoge den Ort der Bundeslade auf eine einfache, aber höchst würdige Weise. Der Baal-Memmer (Altar) stehet in der Mitte der Synagoge; er unterscheidet sich dadurch von dem gewöhnlichen in polnischen und deutschen Synagogen, dass zu ihm nur eine Treppe hinaufführt und zwar auf der Westseite; eine ringsum laufende Bank umgiebt ihn. Ausser diesen Utensilien findet man nichts mehr in der Synagoge; keine Bänke kreuz und quer im innern Synagogenraum, keine sogenannten Ständer u. dergl. Selbst kein Pult für den Chasan findet man hier. Denn der Chasan trägt seine Gebete auf der Bimah vor, und zwar an demselben Pulte, worauf die Vorlesung aus der Tora gehalten wird. Auch hier also etwas, woran sich die deutschen Orthodoxen stossen möchten.
Grundriss des Cahal Grande. Quelle: Aristide Streja & Lucian Schwarz, The Synagogue in Romania, Bukarest 2009, S. 88-89.
Die Frauen haben ihre Abteilung eine Treppe hoch in einem Raume, der über der Vorhalle sich befindet, und wovon ein Theil auch in den innern Raum der Synagoge hineinragt, so dass die Frauenhalle eine Art Galerie in der Synagoge bildet. Die Aussicht ist gegen Osten, also gegen die Männerschule gerichtet, ist aber mit einem dichten Gitter bis an den Balkon verrammelt, so dass dem sündigen Blicke gar kein Raum gestattet ist: wenigstens ich meinerseits konnte kaum die Anwesenheit von Personen hinter dem Gitter wahrnehmen.“2 Die Decke und die Wände des Cahal Grande waren mit Fresken und arabischen Ornamenten, Stuck und leuchtenden Farben (Gold, Purpurrot, Marineblau) verziert. Der Reichtum des Mobiliars, mit Stühlen aus Walnussholz und persischen Teppichen, vervollständigte das Innere des Tempels. Im Cahal Grande gab es auch eine Orgel und einen Chor. Gespielt und gesungen wurden unter Leitung von Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn, Iosef Rosensteck, A. L. Ivela oder Mauricio Cohen Lînaru (1849–1928)3 Werke von Louis Lewandowski, Giacomo Meyerbeer und Jacques Fromental Halévy.
Ruine des Cahal Grande nach der Zerstörung durch die Legionäre der faschistischen Eisernen Garde (Garda de Fier) am 21. Januar 1941.
Die Jahre des Zweiten Weltkriegs waren geprägt von der Zerstörung des Grossen Spanischen Tempels: während des Legionärsaufstandes wurde er am 21. Januar 1941 vorsätzlich in Brand gesetzt.4 Dazu schreibt der spätere Pianist und Hochschullehrer Dan Mizrahi:
„Eine der Schwestern meines Vaters, die in der Banu Maracine (ehemals ‚Spanische Strasse‘) wohnte, rief uns an, um uns mitzuteilen, dass der Spanische Tempel, der Cahal Grande, in Flammen stand. Wie wir bald herausfinden sollten, waren zu Beginn des Legionärsaufstands viele Benzinkanister in- und ausserhalb des Tempels abgestellt und in Brand gesetzt worden. Der Tempel brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Ruinen blieben noch viele Jahre danach erhalten und zeugten von dem Drama, das sich in dieser Nacht abgespielt hatte. Der kleine Tempel, der einzige sephardische (spanische) jüdische Tempel in Bukarest, blieb nicht verschont und wurde im Sommer 1986 abgerissen.“5
Die Rabbiner Haim Moshe Bejarano und Sabetay J. Djaen
Im Cahal Grande hatten immer wieder bedeutende rabbinische Autoritäten gepredigt und gelehrt, wie zum Beispiel der hochgebildete Rabbiner und Dichter Haim (Enrique) Moshe Bejarano (1846/1850 Stara Zagora – Istanbul 1931), der während des Russisch-Türkischen Krieges 1878 nach Bukarest geflohen war und dort im Alter von 32 Jahren als Rabbiner wirkte, Hebräisch unterrichtete und Direktor der sefardischen Knabenschule wurde. Bejarano, der angeblich vierzehn Sprachen beherrscht haben soll, wurde später Oberrabiner (Haham bashi) in der Türkei, weiters auch Mitglied der Spanischen Akademie in Madrid und Ehrendoktor des Rabbinerseminars in Wien.7 Ein weiterer, nicht nur in der sefardischen Welt bekannter Rabbiner war Sabetay Djaen (1883–1947), ein Gelehrter und Schriftsteller (vor allem von Theaterstücken), der als aktiver Zionist (Djaen stand dem Rechtszionisten Zeev Jabotinski nahe) und als reisefreudiger Rabbiner auf dem gesamten Balkan sowie in südamerikanischen Ländern tätig war. Der in der bulgarischen Stadt Plevna (heute Plewen) geborene Djaen ging 1928 von Monastir (heute Bitola, Mazedonien) nach Buenos Aires, kehrte aber später nach Rumänien zurück, wo er 1931 das Oberrabbinat der Union der Gemeinden des spanischen Ritus übernahm. Während des Zweiten Weltkriegs blieb Djaen in Rumänien bei seiner Gemeinde und kehrte erst nach dem Krieg nach Argentinien zurück, wo er 1947 hoch geehrt starb.8
Zerstörte Synagoge. Zeichnung von Sylvia Almuly-Campus, angefertigt kurz nach der Zerstörung.⁶
Der letzte Gemeinderabbiner und Führer der sefardischen jüdischen Gemeinde in Bukarest war Iacov Jacques Almuly (1874–1966). Als Überlebender des Bukarester Pogroms diente er in der Cahal Cicu-Synagoge (Kleine Synagoge), nachdem der Cahal Grande von den Legionären zerstört worden war). Seine Kinder, Peretz und Menachem Max Almuly, amtierten als Rabbiner an der Kleinen Sefardischen Synagoge bis zu deren Zerstörung durch die Kommunisten unter Ceaușescu.9
Anmerkungen
1 Spre Memoria Jul. Barasch / Zur Erinnerung an Dr. Jul. Barasch, Bukarest 1863; Irina Popescu et al., Iuliu Barasch. Un iluminist evreu în Țara Românească, Bukarest 2022: Rao.
2 Allgemeine Zeitschrift des Judentums, IX, 7,1845, S. 95; 8, 1845, S. 108-109. Der Reisebericht wurde 1894 von Elias Schwarzfeld ins Rumänische übersetzt („Itinerar”, Anuarul pentru Israeliți pe anul 5654–5655/1793–1895).
3 Raoul Siniol, Portrete și schițe sefarde, Jerusalem 1981, S. 66-72.
4 William Totok, Pentru legionari (Rumänien, 1936), in: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Publikationen, Bd. 6, Berlin/Boston, 2013: Saur, S. 530-531; Anca Tudorancea Ciuciu, „Images of Bucharest Pogrom (21st – 23rd January 1941)”, Holocaust. Studii şi cercetări (Revista Institutului Naţional pentru Studierea Holocaustului in România “Elie Wiesel” & Institutul European), Bd. II, nr. 1 (3), Bukarest, 2010, S. 37-56.
5 Dan Mizrahi (1926–2010), Pianist, Komponist und Professor an der Bukarester Musikhochschule. Dan Mizrahi, Aşa a fost... : exerciţii de memorie; cuvânt înainte de Grigore Constantinescu, Bukarest: Hasefer, 2005, S. 33-34.
6 Raoul Siniol, Cahal Grande, Jerusalem 1979, Umschlag.
7 Anca Tudorancea & Felicia Waldman (eds.), Personaje și Povești din Bucureștiul Sefard, Bukarest 2016, S. 95-96; Raoul Siniol, Portrete și schițe sefarde, Jerusalem 1981, S. 41-45.
8 Raoul Siniol, Cahal Grande, Jerusalem 1979, S. 27-28; Aleksandar Gaon, Znameniti Jevreji Srbije, Belgrad 2011: Savez Jevrejskih Opstina, S. 263-264; Amor Ayala, „Me vo dedikar enteramente al teatro djudio... - teatro sefardí de temática nacionalista judía: Iftakh de Sh.Y. Djaen (Viena, 1921)”, Teatro y cultura hebrea 7, 2005, S. 161-174; eadem, “El crepúsculo del ladino: reflexiones de S. J. Djaen acerca del ‹djudezmo› y su literatura en vísperas de la Segunda Guerra Mundial”, Sefárdica 16, 2006, S. 37-52; Michael Studemund-Halévy & Gaëlle Collin, „Sefarad sur les rives du Danube. Vienne et la littérature judéo-espagnole”, MEAH 57, 2008, S. 149-211;
9 Baruch Tercatin & Lucian-Zeev Herscovici, Prezențe rabinice în perimetrul românesc, Bukarest 2008: Editura Hasefer.
Zum Autor
Michael S. Halévy, Centre for the Study of Manuscript Cultures, Hamburg. Studierte zwischen 1969 und 1971 an der Universität Bukarest sowie an der Rumänischen Akademie der Wissenschaften.