Ausgabe

Wolodymyr Selenskyj

Martin Malek

Inhalt

Wolodymyr Selenskyj

 

Seit dem Beginn des Grossangriffs der russischen Armee auf die Ukraine am 24. Februar 2022 steht Wolodymyr Selenskyj im Mittelpunk des Interesses der Weltöffentlichkeit, und es ist alles andere als verwunderlich, dass Verlage rasch reagiert haben. 

 

Viele seiner Reden wurden in verschiedenen Sprachen herausgegeben, und Selenskyj-Biographien von Wojciech Rogacin, Steven Derix/Marina Shelkunova und Sergii Rudenko sind auf Deutsch erschienen. Auch die beiden erfahrenen französischen Journalisten Régis Genté und Stéphane Siohan haben eine Lebensbeschreibung des Schauspielers, Komödianten, Filmproduzenten und schliesslich Spitzenpolitikers vorgelegt, die bis zum 20. April 2022 reicht. Sie ist an einen breiten Leserkreis gerichtet und erfordert keine Vorkenntnisse. Wolodymyr Selenskyj wurde 1978 in der Industriestadt Kryvyi Rih in eine russischsprachige Familie geboren. Über sein Judentum (das er nie verheimlicht hat) und dessen Bedeutung für ihn äussert er sich öffentlich kaum (S. 68f). Für seine Landsleute stellt dies kein Hindernis dar („nicht einmal in nationalistischen Kreisen“, S. 69), denn er wurde am 21. April 2019 mit einer Mehrheit von 73 Prozent zum Präsidenten gewählt. Über seine Studienzeit (Rechtswissenschaften) und die Gründung seiner eigenen Familie erfährt man hier sehr wenig. Relativ detailliert beschreiben die Autoren Selenskyjs Karriere im TV- und Filmgeschäft. Die satirische Fernsehserie „Diener des Volkes“, in der er ab 2015 einen fiktiven ukrainischen Präsidenten verkörperte, verschaffte ihm landesweite Bekanntheit und Popularität. Sie lief auf dem TV-Sender 1+1, der mehrheitlich dem ukrainisch-jüdischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehört. Das liess den Verdacht aufkommen, es handle sich bei Selenskyj um dessen „politisches Werkzeug“, zumal 1+1 den damaligen Präsidenten Petro Poroschenko in denkbar schlechtem Licht präsentierte. Selenskyj musste die Verwandlung vom politisch scheinbar indifferenten Schauspieler zum Spitzenpolitiker eines grossen und zudem seit Februar 2014 teilweise von Russland besetzten Landes sehr rasch durchlaufen. Angesichts der russischen Invasion interpretierte er, Putins Ziel sei es, die Ukraine als Staat zu zerstören (S. 11). Damit wurde Selenskyj, der im Wahlkampf 2019 Friedensbemühungen versprochen hatte, zum Kriegspräsidenten. Er liess bisher keine Furcht oder sogar Bereitschaft zur Kapitulation erkennen („Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“, S. 15). Das Buch ist gegenüber Selenskyj keineswegs unkritisch. Die Autoren sind mit ihrem Thema vertraut, erlauben sich keine inhaltlichen Fehler, bauen korrekte Verweise auf die Geschichte der Ukraine (wie die Rolle der Kosaken) ein und bewerten die Situation illusionslos: „Das Grundproblem ist Wladimir Putins Weigerung, der Ukraine ihr Recht auf eine Existenz als Nationalstaat zuzugestehen.“ Dem Kreml gehe es „um das Auslöschen einer Nation auf der Landkarte Europas.“ (S. 90). Und: „Der Krieg von 2022 ist […] nur die Fortsetzung einer langen Geschichte zwischen Unterdrückungswillen auf der einen und Freiheitsdrang auf der anderen Seite.“ (S. 24). Der Kreml forciere weiter das, was er „Entnazifizierung“ (S. 19) der Ukraine nennt.1

Anmerkung

1 Entnazifizierung eines Landes, an dessen Spitze ein Jude steht; auf Plausibilität hat die russische Propaganda noch nie Wert gelegt. - Das Buch wurde aus dem Französischen offenbar unter Zeitdruck übersetzt; davon zeugen zahlreiche unbeholfen formulierte Stellen sowie einige völlige Unklarheiten. Was ist etwa ein „Fraktionsvorsitzender des Parlaments“ (S. 16) und ein „Slang-Festival“ (S. 38)? Was meint „Zentralbankgeld“ (S. 53) – die Währungsreserven? Und der Vatersname von Selenskiyjs Mutter Rimma lautet nicht „Wladimirna“ (S.  67), sondern „Wolodymyrivna“. Wünschenswert für eine Neuauflage wären eine inhaltliche Aktualisierung, eine Glättung der Übersetzung und ein genaueres Verzeichnis der Quellen.

 

Genté, Régis /Stéphane Siohan: Wolodymyr Selenskyj.
Geburt eines Helden. 

Zürich: edition gai saber 2022. 

206 Seiten, Euro 20,00.-

ISBN  3907320190; 978-3907320198