Ausgabe

Lozelach aus dem Hause Todesko Hans Makarts „Siesta“ Serie, Teil I

Michael Bittner

Eduard Freiherr von Todesko,1 der Mehrheitseigentümer der Marienthaler Textilfabrik, Bankier, Philanthrop, Zensor der Oesterreichischen Nationalbank etc., etc. lässt eines der schönsten Ringstrassenpalais errichten und von Theophil Hansen erlesen dekorieren. Es entstehen wunderbare Räume, ein Traum von Eleganz, Prunk und Bildungsbeflissenheit – doch was macht man in diesen 500 Zimmern?2 

Inhalt

Seine Gattin, Sophie geborene Gomperz (1825–1895), führt den elitärsten Salon der Stadt, Künstler und Politiker geben sich die Klinken in die Hand. Sie lassen Verwandte hier wohnen, wie die Gomperz, man braucht Platz für die Töchter und ihren Anhang, man stattet den Palast mit Kunstwerken und erlesenen Nippes aus (manche erinnern sich an die Witze über Frau Pollack von Parnegg bezüglich des Murillo und der Zuckerzange), aber was tut man dann mit den grossen Salons, die für Familien wie die Todeskos viel zu gross sind?

 

Man macht – Tableaux Vivants. Das Nachstellen von Gemälden durch reale Personen war im 19. Jahrhundert äusserst populär und galt als „tugendhafte“ Beschäftigung. In der Goethezeit musste man die Bilder noch nachzeichnen, ab den 1840er Jahren gab es bereits die Fotografie, um solche stummen Bühnenstücke für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. Sogar königliche Familien posierten vor der Kamera, um Gemälde nachzustellen.3 Die Corona–Pandemie der letzten Jahre hat eine erneute Welle von „Lebenden Bildern“ mit sich gebracht, welche die „sozialen“ Medien überschwemmten.4

 

Die stummen Bühnenstücke waren für Sophie von Todesko eine willkommene Attraktion, ihren Salon für die Haute Volée noch attraktiver zu machen. Die erste Aufführung von „Lebenden Bildern“ im Palais fand bereits 1864 statt, eine Wohltätigkeitsveranstaltung.5

Unser erstes Beispiel ist eine häufig reproduzierte Fotografie, die ein Tableau Vivant nach dem Gemälde „Siesta am Hofe der Mediceer“ von Hans Makart darstellt, abgelichtet im Jahr 1893.⁶ Die endgültige Fassung des Gemäldes war 1875 entstanden und sollte ein Schmuckstück des Linzer Führer-Museums werden. Adolf Hitler erwarb es 1937 von einer Galerie um 9.500 Reichsmark, davor war es bei C. Bühlmayer und C.F. Mautner-Markhof.7 

 

Die Stellung der Personen auf der Fotografie entspricht genau dieser Version des Gemäldes und dürfte nach einer Fotografie (wie die Abbildung rechts unten zeigt) entstanden sein; das vorliegende Beispiel stammt aus dem Kunstverlag des bekannten Fotografen Victor Angerer, der auch die Familie Todesko häufig ablichtete.8 Doch welche Überraschung: In der Kunstsammlung der Tochter Gabriele (Yella), verehelichte von Oppenheimer (1854–1943) befand sich eine Vorstudie zu eben diesem Gemälde, die sie 1885 beim Auktionshaus H.O. Miethke erworben hatte. Das Gemälde wurde vermutlich 1938 beschlagnahmt, 1940 von der Neuen Galerie in Wien an den „Sonderauftrag Linz“ verkauft und schliesslich 2009 an die Erben restituiert.9

 

Dieses Gemälde zeigt allerdings eine andere Komposition, die Personen sind anders gruppiert und der auffällige (ausgestopfte) Pfau am rechten Bildrand fehlt. Es liegt nahe, dass sich die Todeskos als Finanzgrössen ihrer Zeit mit den Medici, den Finanzgrössen der Renaissance, identifizierten und dem Thema Makarts, dem „Dolce far niente“ etwas abgewinnen konnten, doch warum haben sie nicht ihr eigenes Gemälde nachgestellt?

 

Zurück zur Fotografie – sie wurde im Gegensatz zu anderen Lichtbildern aus dem Fundus der Tableaux Vivants mit Bezug auf die Familie Todesko sehr häufig veröffentlicht. Österreichische Publikationen verwendeten das Exemplar aus dem Bildarchiv Austria, so Renate Wagner-Rieger in Die Ringstrasse. Das Bild einer Epoche (1969ff)10 und Jahrzehnte später bei den Ausstellungen Tableaux Vivants in der Kunsthalle Wien (2002)11 sowie Inspiration Fotografie im Belvedere (2006).12 Interessant aber ist dabei, dass es kein Negativ gibt, keinen Stempel, keine Original-Rückseite, es ist also ein Reproduktionsfoto. Darüber hin-
aus stammt der Abzug nicht, wie angenommen, aus der Familie, sondern aus dem Nachlass des Wiener Malers Julius Schmid, der 1935 verstorben war und dessen Tochter erst 1961 der Nationalbibliothek seinen Fundus an Fotografien und Grafiken übergeben hat.13 Yella von Oppenheimer war 1943 verstorben, von Max Mell vor der Deportation nach Auschwitz gerettet, es kann also nicht aus ihrem Nachlass sein.

 

Jedes Foto ist reproduzierbar, daher hat auch die Tate Gallery in London ein Exemplar dieses Bildes.14 Es stammt aus dem Nachlass der Malerin Marie-Louise von Motesiczky (1909–1996), der Enkelin der Anna von Lieben (1847–1900) und Urenkelin von Eduard von Todesko (1814–1887). Anna von Lieben war als „Cäcilie M.“ eine der ersten Patientinnen von Sigmund Freud, der bis 1893, als er hinausgeworfen wurde, oftmals im Palais weilte.15 Anna sitzt auf der „Siesta“ rechts und fixiert den ausgestopften Pfau am Bildrand.

 

Weitere Lozelach im zweiten Teil des Artikels; dann wird das Geheimnis gelüftet, wer auf dem Foto abgebildet ist, wann und wo es entstanden ist, und wer der Fotograf war – viele Fragen an ein altes Familienfoto.

11-abbildung-1-autograph-der-yella-oppenheimer_autor-michael-bittner.jpg

Autograph Yella von Oppenheimer. M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.

 

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Siesta, nach Hans Makart. Quelle: Bildarchiv Austria, mit freundlicher Genehmigung Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv.

 

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Julius Leth. M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.

 

11-abbildung-3-makart-siesta-verlag-v.-angerer_archiv-michael-bittner.jpg

 

Hans Makart, Siesta. Verlag V. Angerer, Archiv M. Bittner, 

mit freundlicher Genehmigung.

 

Anmerkungen

1 Zur Schreibweise siehe das Autograph von Anna von Lieben, Enkelin des Eduard von Todesko, Abbildung 1.

2 Fotografien auf https://sammlung.wienmuseum.at/suche/?iconclasses=1063471

3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_royal_tableaux_vivant.jpg Ebenfalls eine Fotografie von Ludwig Angerer.

4 https://www.diepresse.com/5816683/ein-perlenohrring-fuer-alle-hype-um-lebende-bilder

5 J. Mentschl: Todesco, Sophie. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 14, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2015, ISBN 978-3-7001-7794-4, S. 365.

6 ONB Bildarchiv PK 3.002/856, Abzug auf Karton geklebt, von späterer Hand bezeichnet: „Am Hof der Mediceer. Freifrau Jella von Oppenheimer“. Abbildung 2.

7 https://kunstverwaltung.bund.de/SharedDocs/Provenienzen/DE/5000_5999/5686.html

8 Original im Archiv des Verfassers; Porträts von Eduard Todesko von Angerer ONB Bildarchiv (PF14.769: C (1,2,3), Sophie Todesko (PF 5854:C(1) u.v.a.m.

9 https://kunstverwaltung.bund.de/SharedDocs/Provenienzen/DE/9000_9999/9420.html

10 Renate Wagner-Rieger [Hg.]: Die Ringstrasse. Bild einer Epoche. Die Erweiterung der Inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph. 11 Bände. Wiesbaden: Steiner 1969-1981, Band 1: S. 124 f., Band 4: S. 437, S. 451.

11 Folie, Sabine; Glasmeier, Michael: Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video (Text Mara Reissberger), Kunsthalle Wien, 2002, S. 198.

12 INSPIRATION FOTOGRAFIE. Von Makart bis Klimt. Herausgeberinnen: Monika Faber, Agnes Husslein-Arco. Texte: Monika Faber, Michael Ponstingl. Kooperationspartner: Photoinstitut Bonartes, 272 S., mit Beiheft (Lexikon der handelnden Personen), Wien 2016, ISBN 978-3-903114-07-4.

13 Herzlichen Dank für die Informationen an das Bildarchiv der ONB, Mag. Ulrike Polnitzky.

14 TGA-20129-6-7-1-12-1_10. https://www.tate.org.uk/art/archive/items/tga-20129-6-7-1-7/von-motesiczky-photograph-of-a-tableau-vivant-of-siesta-am-hofe-der-mediceer-by-hans , abgerufen 28.09.2022.

15 http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/lieben_anna_von.htm