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Monika Kaczek
Das Vergessen von Frida Poeschke und Shlomo Lewin
Uffa Jensen: Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2022.
317 Seiten, fester Einband mit Schutzumschlag, Euro 24,70.-
ISBN: 978-3-518-43002-6
Auch als E-Book erhältlich, EPUB, Euro 20,99.-
Für den Autor Uffa Jensen war nicht 1977, als die Rote Armee Fraktion (RAF) im Deutschen Herbst sieben Menschen tötete, das schlimmste Terrorjahr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, sondern 1980: „das Jahr der westdeutschen Rechtsterroristen.“ (S. 7) Am 22. August warf eine Terrorgruppe um Manfred Roeder Brandsätze in eine Flüchtlingsunterkunft in Hamburg, wobei zwei Vietnamesen ums Leben kamen. Beim Münchner Oktoberfest verübte der Rechtsextremist Gundolf Köhler am 26. Oktober einen Sprengstoffanschlag. Zwölf Menschen sowie der Attentäter starben, 211 Personen wurden verletzt. Für Jensen ist es umso befremdlicher, dass „viele dieser Taten nahezu in Vergessenheit gerieten. Kaum etwas wurde in der Bunderepublik so aggressiv und so konsequent beschwiegen und verdrängt wie Gewalt von rechts. Wer die Vor- und Nachgeschichte des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) kennt, wird hinzufügen wollen: Das ist bis heute so.“ (S. 7) Ende des Jahres 1980 sollte ein weiteres Attentat erfolgen. Am 19. Dezember wurden Shlomo Lewin, der damalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Nürnberg, und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrem Haus in Erlangen erschossen. Die am 23. Mai 1923 geborene Frida Poeschke war die Witwe von Michael Poeschke, dem früheren Oberbürgermeister von Erlangen, der als Sozialdemokrat während der NS-Zeit in Dachau inhaftiert war. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1959 lernte die Witwe Shlomo Lewin kennen. Shlomo Lewin wurde 1911 in Jerusalem als Sohn eines Rabbiners geboren. 1917 zog die Familie nach Poznań/Posen und später nach Wrocław/Breslau. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen konnte Shlomo Lewin über Frankreich nach Palästina flüchten, von wo er Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland zog. Nach dem Mord an Frida Poeschke und Shlomo Lewin konzentrierten sich die Ermittler zunächst auf das Umfeld Lewins. Nach Pannen bei der Spurensicherung vermuteten die Beamten, es hätte sich um eine Beziehungstat gehandelt.
Darüber hinaus stellten sie keinen Zusammenhang zu politisch motiviertem bzw. rechtsextremem Terror her. Bald wurde Shlomo Lewin von den Ermittlern verdächtigt, ein Mossad-Agent zu sein und die Zeitungen überschlugen sich mit rufschädigenden Meldungen. Erst Monate nach dem Doppelmord kam man dem Täter auf die Spur, als die Polizei endlich beim Brillenfabrikanten in Heroldsberg die Herkunft der am Tatort gefundenen Damenbrille erfragte. Der Firmenchef erinnerte sich, das Gestell Franziska Birkmann geschenkt zu haben. Sie wohnte zusammen mit ihrem Lebensgefährten Karl-Heinz Hoffmann in Heroldsberg, ehe das Paar nach Schloss Ermreuth im Landkreis Forchheim umzog. Dort richtete Hoffmann die Zentrale seiner nach ihm benannten rechtsradikalen Wehrsportgruppe (WSG Hoffmann) ein. Ein Mitglied dieser WSG war Uwe Behrendt, der als mutmasslicher Schütze auf Frida Poeschke und Shlomo Lewin galt. Uwe Behrendt floh in den Libanon, wo er 1981 auf ungeklärte Weise starb. Karl-Heinz Hoffmann wurde 1986 nach einem Prozess mit 185 Verhandlungstagen vom Vorwurf freigesprochen, er habe den Mord an Poeschke und Lewin in Auftrag gegeben. In seinem Fazit stellt Uffa Jensen fest: „Gerade weil Rechtsextremismus nicht unbedingt in die Öffentlichkeit kommuniziert, muss die Zivilgesellschaft die Rolle der Mahn-, Gedenk- und Gedächtnisinstanz übernehmen.“ (S. 230)
Zum Autor
Uffa Jensen (geb. 1969) ist ein deutscher Historiker und Heisenberg-Professor der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Zu seinen Werken zählen unter anderem Gebildete Doppelgänger. Juden und Nichtjuden in der bürgerlichen Bildungskultur Berlin, 1848 – 1890 (2003), Politik und Recht (2014), Zornpolitik (2017) und Wie die Couch nach Kalkutta kam. Eine Globalgeschichte der frühen Psychoanalyse (2019).