Nachdem der Allgemeinheit Fanny von Arnstein jahrzehntelang zuallererst aus Hilde Spiels Biografischem Roman ein Begriff war, ist 2022 ein neues Werk erschienen, das die berühmte Salonière sehr viel stärker politisch sieht.
Die Autorin der neuen Fanny-Biografie, Homa Jordis. Foto: H. Jordis, mit freundlicher Genehmigung.
DAVID: In unseren Vorgesprächen zu Ihrer Arbeit haben Sie immer wieder betont, wie spannend es für Sie ist, Fanny von Arnstein als politisch aktive Frau zu entdecken. Welche der vermuteten Eigenschaften konnten Sie im Zuge Ihrer biografischen Arbeit schliesslich näher erforschen, und was fanden Sie besonders faszinierend?
Jordis: Fanny von Arnstein war, was für ihre Zeit mehr als ungewöhnlich war, eine politische Frau, und zwar folgendermassen: sie war hochgebildet – sie sprach mindestens acht Sprachen –, sie stand einem der grössten europäischen Salons vor und konnte darin, als Jüdin, Glaubensschranken und Geschlechter-Rollen überwinden. Ausserdem war sie eine Vorreiterin, einerseits der Emanzipation der Juden und andererseits jener der Frauen. Frauen des Bürgertums ihrer Zeit wurden ja keine gesellschaftlichen Funktionen zugesprochen – sie hat sich mutig über all diese Einschränkungen hinweggesetzt.
DAVID: Ihre Arbeit über Fanny hat sich aus einem sehr engen persönlichen Bezug entwickelt, der es Ihnen schliesslich auch ermöglichte, die überlieferten, privaten Familiendokumente mithilfe zeitgemässer Fragestellungen zu analysieren. War das schwierig?
Jordis: Fanny ist mir immer wieder untergekommen – sei es am jüdischen Friedhof Währing oder in meinem Zweitstudium – und dann letztendlich durch meine Heirat in einen Zweig der Familie. Sie hat mich als starke, emanzipierte Frau angesprochen. Ihren Lebenslauf nachzuvollziehen war eine spannende Herausforderung.
DAVID: Über Fanny von Arnstein hatte bereits ein Werk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestanden, Hilde Spiels bekannte Biografie. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Forschungsansatz von der Darstellung der prominenten Feuilletonistin, und zu welcher Einschätzung dieses Werkes sind Sie im Laufe der Materialsichtung gelangt?
Jordis: Ich habe meine Arbeit voll Respekt für Hilde Spiel begonnen – durch die Nachlassverwalterin in der Österreichischen Nationalbibliothek durfte ich Spiels Nachlass aufarbeiten, der unter anderem auch die Notizen zu ihrem Buch über Fanny umfasst. Im Rahmen der Recherchen bin ich dann aber auf viele Ungereimtheiten gestossen. Ich hatte den Vorteil, dass ich, anders als Spiel, das Internet als moderne Datenquelle zur Unterstützung hatte – und, was vielleicht noch wichtiger war, ich hatte den familiären Zugang, der Hilde Spiel gefehlt hat. Spiels Buch ist ein hervorragender Einblick in die jüdische Emanzipation aus der Sicht der 1950er Jahre. Meiner Einschätzung nach hat Spiel irgendwann im Laufe ihrer Arbeiten – wohl wegen der familiären Front – „das Handtuch geworfen“ und aus einer vorerst biografischen Aufarbeitung einen Roman gemacht. So muss man ihr Werk sehen. Zu jener Zeit, in der Spiel das Buch geschrieben hat, 1959 bis 1962, war das Thema Judentum durch die vorangegangenen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges nicht gerade positiv besetzt. Keiner von Fannys Nachfahren wollte damals eine Jüdin im Stammbaum haben. Leider ist das bis heute in der älteren Generation immer noch der Fall, aber ich hatte es mit meinen Recherchen schon etwas einfacher. Das, was die Arbeit anhand der Spiel-Unterlagen noch zusätzlich erschwert hat, ist die Tatsache, dass sich in Spiels Buch fehlerhafte und lückenhafte Quellennachweise finden. Das bedeutete für mich eine nervenaufreibende Kleinarbeit bei der Kontrolle von Quellennachweisen – und hier entdeckte ich auch die „erfundenen“ und „dazu gedichteten“ Mosaiksteinchen. Diese habe ich aufgearbeitet, revidiert und belegt.
Als Beispiel kann ich die von Spiel breit angelegte Liebesbeziehung Fannys zum Prinzen Liechtenstein anführen: Diese Geschichte hat Spiel nach dem Muster von „sex and crime“ wie einen Strudelteig gezogen und ausgedehnt. Der heutige Stand der Forschung dazu ist: Ja, Fanny und Liechtenstein haben einander sehr verehrt. Ja, es kam zu einem Duell zwischen dem geistlichen Baron von Weichs und Liechtenstein, das tödlich für den Prinzen endete. Aber nein, nicht Fanny war dafür der Auslöser – sondern die Gräfin Czchernitschiew; sie war es, die tatsächlich ein Verhältnis mit Liechtenstein hatte. Anders als Spiel gelang es mir, in das private Archiv der Familie Liechtenstein Einsicht zu nehmen. Darin fand ich ein Polizeiprotokoll über das Duell und handgeschriebene Karten des Kaisers an die Duellanten. Die im Spiel-Text angeführten Schilderungen: Fanny habe sich am Sterbetag in schwarze Schleier gehüllt und sei in einem abgedunkelten Raum gesessen, sie sei untröstlich gewesen und habe getrauert, sind, wie gesagt, gut erfunden und geben der Geschichte eine gewisse schriftstellerische Würze.
Buchcover
DAVID: Nachdem Sie einige der überlieferten, klischeebehafteten Mythen entzaubern konnten: was sind nun die für Sie wesentlichen Erkenntnisse aus Ihrer Arbeit über Fanny?
Jordis: Fannys Lebensgeschichte konnte mit Belegen untermauert werden. Viele in Spiels Werk behauptete Passagen sind mit dem heutigen Wissenstand richtiggestellt worden. Fanny konnte als die wohl wichtigste Netzwerkerin in der Zeit des Wiener Kongresses herausgearbeitet werden. Ganz am Anfang der Arbeit stand die Frage: warum hat Fanny während der Dauer des Wiener Kongresses täglich bis zu vierhundert Personen in ihren Salon geladen? Wofür? Was war ihr Vorteil? Und vor allem – weshalb haben sowohl der Staatskanzler Metternich als auch der Kaiser gerade Fanny – als Frau und Jüdin – vertraut? Als Grundlage meiner Forschungen dazu dienten mir Brandakten aus dem Justizpalast, und zwar die ehemaligen Spitzelakten Metternichs. Dabei handelt es sich um Tatsachenberichte von Geheimpolizisten, die in Fannys Salon eingeschleust waren. Die wichtigste Erkenntnis daraus war für mich, dass Fanny all den Aufwand aus wichtigen Gründen betrieb: sie lobbyierte für die Emanzipation der Frauen und Juden – indem sie am Kongress die Entscheidungsträger eng an sich band. Durch sie kam es zur „Immediatseingabe“ am Kongress. Das wiederum war der Grundstein für die später erfolgte Erteilung der Bürgerrechte an die jüdische Bevölkerung. Fanny unterstütze die Tiroler Freiheitskämpfer, mit finanziellen Mitteln und medizinischem Material, im Einsatz gegen Napoleon. Sie machte in ihrem Salon Stimmung gegen Napoleon und kann somit als Kommunikatorin dargestellt werden. Tatsächlich kann Fanny als frühe Netzwerkerin und Vorreiterin der jüdischen und der weiblichen Emanzipation bezeichnet werden. Fanny kann als politische Frau dargestellt werden, denn weitab von den üblichen Gepflogenheiten der damaligen Salons hatte der ihre einen stark politischen background. Natürlich gab es zur Zerstreuung der Gäste Musik, Essen und die sogenannten Wachsfiguren-Kabinette, die Tableaux, aber Schwerpunkt waren doch die aktuellen Ereignisse und die Neuordnung Europas. Somit war Fannys Salon auch ein Kommunikationsort. Dort hörte man alle Neuigkeiten und war auf Tuchfühlung mit den entscheidenden Köpfen – also hautnah am Geschehen. Ihr Salon war der kommunikative Transmissionsriemen – dort fand die internationale Kommunikation statt.
DAVID: Nachdem Sie so viele Jahre Ihrer Beschäftigung mit Fanny von Arnstein gewidmet haben: was würden Sie sich in Bezug auf dieses faszinierende Thema für die Zukunft wünschen?
Jordis: Mein Wunsch ist bereits in Erfüllung gegangen – es ist gelungen, Fanny als wichtige Netzwerkerin auferstehen zu lassen, und sie in den richtigen Blickwinkel für Österreichs und Europas Politik zu rücken. Nach ihr sind andere Frauen in ihren Salons politisch tätig geworden, wie Eugenie Schwarzwald oder Berta Zuckerkandl. Fanny war damit beispielgebend dafür, dass auch Frauen ihre Meinung gesellschaftlich und politisch vertreten können.
Nachlese
Homa Jordis: Fanny von Arnstein. Eine Salonière als Mediatorin europäischer Machtpolitik. Erfahrungsräume, Netzwerke und Leitmotive der Fanny von Arnstein in der Zeit vor und während des Wiener Kongresses.
Wien: Buchschmiede von Dataforum Media GmbH 2022.
383 Seiten, Euro 32,90.-
ISBN: 978-3-99139-755-7