Artist, Dompteur und Pionier des frühen Stummfilms, in späteren Jahren vielgelesener Erfolgsschriftsteller:
Joseph Delmont (1873–1935) war einst einer der bekanntesten Unterhaltungskünstler seiner Zeit.
Joseph Delmont. Künstlerkarte, um 1910.
Am 8. Mai 1873 wurde er unter dem Namen Josef Pollak in Loiwein, einem kleinen Ort nahe Krems geboren, in ein kinderreiches Elternhaus jüdischer Herkunft; der Vater war Gastwirt und Kaufmann. Nach drei Jahren übersiedelte die Familie aus wirtschaftlichen und persönlichen Gründen (mehrere Kinder starben krankheitsbedingt auf tragische Weise) nach Wien. In der Brigittenau, die damals noch Teil der Leopoldstadt und aufstrebendes Hoffnungsgebiet war, wollte man sich eine neue Existenz aufbauen, was – in bescheidenem Masse – auch gelang.
Josef besuchte die Volksschule in der Wintergasse (heute Hartlgasse), verbrachte seine Freizeit in den umliegenden „Gstättn“, am Donaukanal oder bei den Glashäusern der zahlreichen Gärtner, die zunehmend verschwanden, denn die Industrialisierung hatte diesen Teil Wiens massiv erfasst. Allerorts schossen Fabriksschlote in die Höhe, die Verbauung schritt voran, mehrstöckige Mietskasernen wie jene, in der er selbst wohnte, begannen das Stadtbild zu prägen.
Zeitungsinserat zur Eröffnung des Rotenturm-Kinos, 1910.
Als 1882 ein Zirkus mit einer Artistentruppe in der Nähe Station machte, riss Josef, noch nicht einmal neun Jahre alt, kurzerhand von zu Hause aus und schloss sich dieser Truppe an. Er tingelte mit ihr durch Böhmen und Ungarn, lernte kleine artistische Kunststücke und kam erst fünf Jahre später wieder nach Wien zurück. Es folgte auf Anraten seiner Eltern eine Lehre als Dreher in einer Metallwarenfabrik, die er jedoch bald wieder abbrach. Ein „klassischer“ Arbeiter war aus ihm nicht zu machen. Zu gross schien seine Sehnsucht nach der Ferne.
Erneut trat er in das Zirkusleben ein, lernte Trapezkunststücke und Tierdressur und gelangte letztlich bis nach Afrika, Asien und Australien, wo er sich einem Grosstierfänger anschloss. Es war ein unstetes Reiseleben, dessen genaue Stationen und Tätigkeiten bis heute im Dunkeln bleiben.
Fest steht, dass er im April 1901 nach New York fuhr und sich, fasziniert von der Technik der frühen Kinematografie, für die Filmbranche zu interessieren begann. Nach erneuten Europaaufenthalten und seiner Hochzeit mit der Schauspielerin Elisabeth Reimer kehrte er in die U.S.A. zurück. Lernbegierig und voll Begeisterung für die Kraft der amerikanischen Filmindustrie schrieb, drehte und inszenierte er bald selbst publikumswirksame Einakter: kurze Cowboy- und Tierfilme, rasante Abenteuerszenen und Verfolgungsjagden. Er arbeitete sich zum Spezialisten für derartige „Sensationsfilme“ empor, legte sich eine Künstleridentität zu und nannte sich fortan Joseph Delmont. Es waren prägende amerikanische Jahre, in denen er über zweihundert Kurzfilme schuf und sich der Name Delmont bis nach Europa verbreitete.
Als anerkannter Filmpionier folgte er schliesslich dem Ruf zurück in die Heimat. Im Jahr 1910 liess er sich erneut in Wien nieder und versuchte sich einige Monate als Kinobesitzer. Er übernahm die Direktion des gerade eröffneten Rotenturm-Kinos am Fleischmarkt. Daneben arbeitete er als Kameramann am ältesten heute noch vollständig erhaltenen österreichischen Spielfilm, Der Müller und sein Kind (1911) mit. Doch schon bald ging es nach Berlin, wo er endlich seine ersten eigenen Langfilme drehen konnte.
Es folgte eine Phase ungeheurer Produktivität. In den nächsten eineinhalb Jahrzehnten entstanden über sechzig Delmont-Filme, in denen er nicht selten mehrere Funktionen in Personalunion übernahm; oft war er Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler in einem. Es sind Filme voll Tempo und Bewegung, mit interessanten, manchmal fast experimentellen Kameraeinstellungen. Und mit einer Hauptfigur, dargestellt von Delmont selbst, die in teils wilden Verfolgungsjagden ihrem Schicksal zu entkommen versucht.
Mitte der Zwanziger Jahre verliess Delmont das Filmgeschäft und widmete sich fortan seiner schriftstellerischen Leidenschaft. In den nächsten zehn Jahren entstanden, neben unzähligen Kurzgeschichten, insgesamt achtzehn (!) Bücher. Darunter zwei Science-Fiction-Romane (Die Stadt unter dem Meere, Der Ritt auf dem Funken), Schilderungen der Grosstierjagd (Wilde Tiere im Film, 20 Jahre Grosstier-Fang) sowie schliesslich jene Erzählungen, in denen er sein eigenes abenteuerliches Leben verarbeitete. Dabei ist nicht immer alles für bare Münze zu nehmen, doch geben die oft detailreichen Schilderungen uns noch heute interessante Einblicke in das Wien von gestern. Insbesondere seine beiden autobiographischen Bücher Die Sieben Häuser (1927) und Krösus Vagabund (1929) können durchaus als „Wiener Heimatromane“ im besten Sinne bezeichnet werden.
Wilde Tiere im Film. Buchveröffentlichung, 1925.
Die Romane erschienen in millionenfachen Exemplaren, wurden in insgesamt achtzehn Sprachen übersetzt, und so avancierte Delmont zu einem der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Von Kollegen wurde er als „der spannendste Erzähler der Jetztzeit“ (Egon Erwin Kisch) bezeichnet, als ein „Gigant, ein zehnfacher Jules Verne“ (Karin Michaelis), als „Dichter von ungeheurer Phantasie“ (Ludwig Huna). Sogar Vergleiche mit Dostojewskij wurden gezogen, und die Chicago Tribune proklamierte: „Delmont is a man that has a right to write!“
Im Mai 1933, zu seinem sechzigsten Geburtstag, fand in Berlin eine grosse Feier statt – ehe die grosse Politik auch ihn einholte. In Form der „Judenfrage“: Sie wurde in einigen seiner Werke mit deutlich antisemitischen Anklängen diskutiert, in anderen aber durchaus mit Verständnis und Differenziertheit behandelt. Und spielte natürlich tief in seine persönliche Biografie hinein, was letztlich zu einer stark nationalistischen Haltung Delmonts führte. Er, der sich zeitlebens als transkontinentaler Weltbürger verstand, musste Zugehörigkeit bekennen. Zuerst zu Deutschland, und dann – als seine Bücher verboten wurden und aus den Auslagen verschwanden – zu Österreich. Ein juristischer Versuch, seine Waldviertler Herkunft zu verifizieren, scheiterte. So fühlte er sich heimatlos, musste hilflos miterleben, wie seine Werke geächtet wurden und sein Ruhm verblasste.
Als er im Frühjahr 1935 ins tschechoslowakische Bad Pistyan zur Kur ging, erlag er – erst 62 Jahre alt – einer Blinddarmentzündung. Seine letzte Ruhestätte fand er am Wiener Zentralfriedhof.
Zum Autor
Peter Payer ist Historiker und Stadtforscher. Er führt ein Büro für Stadtgeschichte und arbeitet als Kurator im Technischen Museum Wien. Zahlreiche Publikationen, zuletzt „Auf nach Wien. Kulturhistorische Streifzüge“ (Czernin Verlag, 2021).
www.stadt-forschung.at
Alle Abbildungen: Sammlung P. Payer, mit freundlicher Genehmigung.