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Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Klosterneuburg

Carlos Ferreira MAYERLE

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Bis 1991 befanden sich in Klosterneuburg die Überreste einer Synagoge aus dem Jahr 1914. Dieser Artikel beschäftigt sich mit deren Geschichte und der im Rahmen einer Diplomarbeit durchgeführten virtuellen Rekonstruktion, die sich als Beitrag zur Dokumentation und Erinnerung an das Gebäude und dessen jüdische Gemeinde versteht.

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Virtuelle Rekonstruktion, C. Ferreira Mayerle, mit freundlicher Genehmigung.

Im Mittelalter zählte die jüdische Gemeinde Klosterneuburgs zu den grössten entlang der Donau. Nach deren Vertreibung im Zuge der Wiener Gesera 1421 finden sich erst ab 1845 wieder Belege für eine dauerhafte Neuansiedlung in diesem Gebiet. Die ursprünglich aus Ravenska bei Senitz in der Slowakei stammenden Familien gründeten im Jahr 1852 den Bethausverein Klosterneuburg. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde, auch wegen der geographischen Nähe zu Wien, stetig an. Dem politischen Bezirk entsprechend wurde 1892 die Israelitische Kultusgemeinde Tulln mit Amtssitz in Klosterneuburg ins Leben gerufen. Das Bethaus der neu gegründeten jüdischen Gemeinde in Klosterneuburg befand sich im sogenannten Strasserhaus auf dem Stadtplatz Nr.16.  Dort wurde ein grosser Raum nach orthodoxem Ritus eingerichtet.

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Aussenansicht, C. Ferreira Mayerle, mit freundlicher Genehmigung.

Ab 1890 gab es erste Bemühungen um den Bau einer eigenen Synagoge. Der aus Spenden finanzierte Tempelbau-Fonds ermöglichte 1906 den Erwerb eines Grundstückes an der Kierlingerstrasse 12, ganz in der Nähe des Klosterneuburger Stadtplatzes. Da die Baukosten aber trotz Spenden zunächst nicht zu bewältigen waren, gründete man 1910 auf Anstoss des Kultusvorstandsmitglieds Hermann Erber einen eigenen „Tempelbauverein", der neben dem Sammeln von Spenden auch Veranstaltungen organisierte und Mitgliedsbeiträge einhob. 1913 beschloss die Kultusgemeinde, ein „einfaches, aber würdiges Gtteshaus" nach dem Entwurf des Architekten Jakob Winkler zu errichten. Unter seiner Leitung wurde die neue Synagoge zwischen Herbst 1913 und Juli 1914 errichtet und schliesslich am 20. August 1914 eingeweiht.

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Visualisierung Innenansicht, C. Ferreira Mayerle, mit freundlicher Genehmigung.

Die Synagoge

Der Gebäudekomplex bestand aus zwei Baukörpern und erstreckte sich über die gesamte östliche Grundstücksseite auf einer Länge von rund 30 Metern. Im nördlichen, grösseren Baukörper befand sich das Bethaus. Südlich daran angeschlossen stand der kleinere, als Wohnhaus deklarierte Baukörper. Die Hauptfassade des Bethauses an der Medekstrasse war in drei Teile gegliedert und wurde durch einen Mittelrisalit dominiert. Dieser zeichnete sich durch ein klassisches Tempelmotiv aus. Am spitzen Winkel zur Kierlingerstrasse bildete das Wohnhaus einen markanten Runderker aus, der die Synagoge auch im Stadtbild präsent machte. Im Innenraum bot der Betsaal 120 Sitzplätze für Männer im Hochparterre und 80 Sitzplätze für Frauen auf der Galerie. Auf dem Podest in der Mitte der südöstlichen Wand befand sich der Thoraschrein, dessen Gestaltung ebenfalls an die Portikus-Motive eines antiken Tempels angelehnt war. Er bestand aus zwei flankierenden, dorischen Säulenpaaren und wurde durch ein geschwungenes Giebelfeld abgeschlossen.

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Aussenansicht Kierlingstrasse, C. Ferreira Mayerle, mit freundlicher Genehmigung.

Während des Novemberpogroms 1938 wurde die Synagoge verwüstet und in Brand gesteckt. Dabei wurde der Grossteil der Einrichtung des Betsaals vernichtet. Von den Flammen verschont blieb nur jener Gebäudeteil, in dem sich die Wohnungen des Kantors und Hausmeisters befanden. Danach war hier bis 1942 die Hitlerjugend untergebracht. Später wurde die Synagoge bis zum Ende des Krieges als Betriebsanlage zur Matratzenerzeugung verwendet. Der ehemalige Betsaal wurde in ein Rohstofflager umgewidmet. 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wurden die Überreste des Gebäudes an die Kultusgemeinde restituiert und, da ja längst entweiht, zwischenzeitlich von der Post als Lager benützt.

Viele Jahre lang waren verschiedene Bestrebungen - auch seitens der Klosterneuburger Gemeinde - vorhanden, die ehemalige Synagoge doch noch zu retten. Da es aber zu keiner Einigung kam, wurde das alte Bethaus schlussendlich 1991 abgerissen. Nur der Bereich des Wohnhauses ist erhalten geblieben, es wurde in einen Wohnungskomplex eingegliedert.

Heute steht auf dem Gehsteig an der Kreuzung Kierlingerstrasse 12 und Medekstrasse 1 ein im November 2002 eingeweihter Gedenkstein, dessen Inschrift an die im Nationalsozialismus zerstörte Synagoge und an die jüdischen Opfer Klosterneuburgs erinnert.

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Längsschnitt, C. Ferreira Mayerle, mit freundlicher Genehmigung.

Quellenlage

Als hilfreichster Quellenfundus für die virtuelle Rekonstruktion ist das Stadtarchiv der Gemeinde Klosterneuburg zu nennen. Dessen Mitarbeiter hatten sich bereits für ihre Publikation Die jüdische Gemeinde Klosterneuburg - Geschichte. Schicksale. Erinnerungen intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und waren bei der Recherchearbeit eine grosse Hilfe. Der im Archiv aufbewahrte historische Bauakt beinhaltet auch die im Juni des Jahres 1913 von Architekt Jakob Winkler unterzeichneten Einreichpläne. Diese ermöglichten es, ein in den Proportionen sehr genaues Abbild der gebauten Synagoge zu erstellen.

Für den digitalen Wiederaufbau waren auch Fotografien eine wichtige Quelle. Da die äussere Hülle der Synagoge, wenngleich in schlechtem Zustand, bis 1991 bestand, finden sich auch ausserhalb des historischen Bauaktes Bilder der Synagoge aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese sind in der fotografischen Sammlung des Stadtarchives zu finden. Durch die Menge an archivierten Aussenaufnahmen konnte ein nahezu interpretationsfreies Modell der äusseren Hülle nachgebaut werden, so dass die Rekonstruktion ein recht naturgetreues Ergebnis zeigt.

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Innenansicht Betsaal, C. Ferreira Mayerle, mit freundlicher Genehmigung.

Da die Innenräume des Bethauses während des Novemberpogroms 1938 devastiert wurden, lassen sich aus den danach aufgenommenen Bildern kaum Rückschlüsse auf die eigentliche Ausstattung ziehen. Überliefert ist nur eine einzige Fotografie des Innenraumes vor der Verwüstung. Diese wurde der Redaktion der Jüdischen Kulturzeitschrift DAVID gemeinsam mit einem Brief von Reynold C. Pollak im Jahr 1989 zugesandt, nachdem eine Aufstellung der Synagogen Niederösterreichs von Pierre Genée veröffentlicht worden war. Die Informationen dieses Briefes wurden von Pierre Genée zusammengefasst und gemeinsam mit der bis heute einzigen publizierten Innenraumaufnahme der Synagoge Klosterneuburg in der darauffolgenden Ausgabe des DAVID abgedruckt. Diese Fotografie war die wichtigste Vorlage zur Modellierung des Thoraschreines, der Bima und des Podiumsgeländers.

Zur Vervollständigung des restlichen Innenraumes wurde der Einreichplan herangezogen. Insbesondere im Längs-und Querschnitt finden sich Eintragungen bezüglich der Bestuhlung und des Mobiliars. Zwar ist der Plan hier kein Garant für die tatsächliche Umsetzung in genau dieser Form, jedoch stellt er eine gestalterische Intention dar und ermöglichte es, die Rekonstruktion zu einem stimmigen Ganzen werden zu lassen.

Abschliessend muss festgehalten werden, dass diese Arbeit auch die Wichtigkeit und den Mehrwehrt archivarischer und journalistischer Tätigkeiten belegt, durch die eine virtuelle Rekonstruktion der Klosterneuburger Synagoge in der hier vorliegenden Form erst möglich wurde.
Der Erhalt der uns umgebenden, gebauten Geschichte ist nicht so selbstverständlich, wie er es oft zu sein scheint. Wenn nicht von allen entscheidenden Parteien darauf hingearbeitet wird, unser gemeinsames kulturelles Erbe zu bewahren, kann es leicht geschehen, dass es unwiederbringlich verloren geht.

Weiterführende Literartur:

  

ERBER, Hermann, Aus der Geschichte der Juden in Klosterneuburg (Aus einem Vortrag), In: MOSES, Leopold (Hrs.), Jüdisches Archiv, Zeitschrift für jüdisches Museal und Buchwesen, Geschichte, Volkskunde und Familienforschung, Heft 6,1/2,11/12, 1928.

FERREIRA MAYERLE, Carlos, Virtuelle Rekonstruktion der ehemaligen Synagoge Klosterneuburg, Diplomarbeit TU-Wien, 2016.

GENÉE, Pierre, Die neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich, Ergänzende Bemerkungen, In: David, Jüdische Kulturzeitschrift, Heft 2, September 1989, S. 10-13.

GENÉE, Pierre, Synagogen in Österreich, Wien (Löcker) 1992.

STADTGEMEINDE KLOSTERNEUBURG, et al. (Hrs), Klosterneuburg: Geschichte und Kultur, Die jüdische Gemeinde Klosterneuburg - Geschichte. Schicksale. Erinnerungen., Sonderbd. 4, Klosterneuburg (Stadtgemeinde Klosterneuburg) 2009.