Viele Franzosen stellen sich die Frage, weshalb die islamistischen Terroristen so oft in Frankreich zuschlagen. Sehr oft werden als Gründe die kolonialistische Vergangenheit, die Teilnahme französischer Soldaten am Kampf gegen die Barbarei des Islamischen Staates (IS) und der Islamisten in Afrika genannt. Doch Frankreich hat Algerien 1958 geräumt, den jungen Dschihadisten sagt das nicht mehr viel, und auch andere Staaten bekämpfen den IS. Bedeutend öfter wird die Frage in Frankreich gestellt, weshalb die Sicherheitskräfte seit 2012, seitdem die letzte Welle des islamistischen Terrors begann, so wenig erfolgreich sind.
Gleichzeitig mit dem Beginn des „arabischen Frühlings" 2010, der bald zu einem „arabischen Winter" mutierte, wurden Lehrstühle zur Erforschung der arabischen und muslimischen Welt aufgelassen und heute sind nur wenige junge Forscher in der Lage die salafistische und dschihadistische Propaganda in der Originalsprache zu lesen. Gegenwärtig beherrschen Wörter wie „Radikalisierung" und „Islamophobie" die Gesellschaftswissenschaften. Das spezifische Phänomen der Radikalisierung muslimischer Jugendlicher wird hauptsächlich durch den Vergleich mit den linksextremistischen Terrorgruppen „Roten Brigade" und „Action directe" relativiert. In vereinfachender Manier wird die RAF in Deutschland mit der Bande von Coulibaly und Abaaoud gleichgesetzt, und postuliert, gestern war die Farbe solcher Gruppen rot, heute ist sie grün für islamistisch. Wozu noch schwere Sprachen lernen, in den Wohnvierteln forschen und ergründen, weshalb die salafistische Bewegung solchen Erfolg hat, wenn man schon die Antwort mit den Schlagwörtern, „Islamisierung der Radikalität" geben kann.
Bereits 2005 publizierte Abu Musab Al-Suri im Internet seinen1600 Seiten umfassenden Appell an einen „weltweiten islamischen Widerstand", eine Mixtur zwischen einer militanten Enzyklopädie und Anleitung zum Dschihad. Der vierzigjährige Ingenieur Suri, kritisierte die Schwäche der von Osama Bin Laden angeführten Al-Kaida, deren Infrastruktur nach 9/11 von der USA zerschlagen wurde. Er schlug vor, einen Bürgerkrieg in Europa auszulösen, der sich auf Teile der muslimischen Jugend, die schlecht integriert sind, stützen sollte. Diese Jugendlichen sollten indoktriniert und am Schlachtfeld militärisch ausgebildet werden, so dass der Feind es vorher gar nicht bemerke. Suri resümierte: „Nizam, la tanzim" (Ein System, keine Organisation).
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begannen die französischen Geheimdienste, Arabisten zu rekrutieren, die an französischen Universitäten ausgebildet waren sowie Kenner der islamistischen Netzwerke. Den französischen Behörden gelang es in der Folge terroristische Gruppen zu zerschlagen und es kam in Frankreich bis 2012 zu keinen Terroranschlägen. Obwohl die französischen Behörden seit Anfang des 21. Jahrhunderts mehrfach über islamistische Radikalisierung in den Gefängnissen gewarnt wurden, zeigte der Staat sich unfähig darauf zu reagieren. Für diese Blindheit sollten die Franzosen im zweiten Jahrzehnt einen hohen Preis bezahlen.
Mohamed Merah, ein im Gefängnis radikalisierter Kleinkrimineller ermordete im März 2012 in Toulouse jüdische Kinder und einen Rabbiner und in Montauban „abtrünnige" muslimische oder als solche gesehene Soldaten, Anfang 2015 wurden in Paris als „islamophob" stigmatisierte Journalisten (Charlie Hebdo), Polizisten und Juden in einem koscheren Supermarkt von Dschihadisten ermordet. Im Sommer 2015 wurde ein Unternehmer von einem seiner islamistischen Angestellten geköpft. Heuer wurden ein Polizeioffizier und seine Lebensgefährtin in ihrer Wohnung erstochen. Im November 2015 in Paris und am Abend des14. Juli 2016 in Nizza kam es zum Massenmord.
Am gleichen Tag, um 13 Uhr erklärte Francois Holland, es sei nicht notwendig den Notstand nach dem 26. Juli aufrechtzuerhalten, denn man hätte genug Gesetze und Verordnungen, um der terroristischen Herausforderung zu begegnen. Nun wird der Notstand doch verlängert, die Wachen vor möglichen Zielen sollen bleiben, d.h. ca. 10.000 Männer und Frauen die dafür bereitgestellt werden. Einige Dschihadisten haben einen weichen Zielpunkt gesucht, ein Kleinkrimineller, der nicht einmal den Sicherheitsbehörden aufgefallen war, konnte - weil die Polizei fast total versagte - in Nizza ein Massaker begehen. Am 26. Juli durchschnitten Islamisten einem zum Niederknien gezwungenen katholischen Priester die Kehle. Der Mörder pflegte in der lokalen Moschee zu beten und zu hetzen, deren Grundstück von der katholischen Kirche den Muslimen geschenkt wurde.
Einer der ökonomisch und militärisch wichtigsten Staaten Europas wird von wenigen Islamisten bedroht und steht vor der Wahl, so weiterzumachen wie bis jetzt, energische Massnahmen gegen die Verbreitung des Dschihadismus zu ergreifen oder sich zu unterwerfen. Das letztere schlug Farhad Khosrokhavar (FK), Soziologe an der Ecole des hautes études en Sciences Sociales (EHESS) und Autor des 2014 publizierten Buches "Radicalisation" in der New York Times (Jihad and the French Exception) vor. Er griff das universalistische Ideal und den Säkularismus der französischen Republik an, die seiner Meinung nach die Schuld an den vielen Anschlägen in Frankreich tragen; er schlägt vor, in Frankreich die Multikultur einzuführen. FK spricht von einem ausgesprochenen „Verdacht gegenüber jede Religion", die „eine streng private Sache" wurde und beanstandet, dass die „Vollverschleierung und das kollektive Beten im öffentlichen Raum" nicht gestattet ist und meint „viele Ausländer und ihre Nachkommenschaft fühlen sich in ihrer arabischen und muslimischen Identität beleidigt".
„Der unbeugsame Säkularismus scheint ihnen die Würde zu verweigern", behauptet FK. Doch seine Behauptung, die Multikultur würde Frankreich sicher machen wurde gerade Ende Juli in Deutschland ad absurdum geführt, in dem es einige islamistische Anschläge gab. Doch wenn der französische Säkularismus zur Zielscheibe der Islamisten wird, dann weil er gerade den Vormarsch des Islamismus verhindern könnte, denn er sollte alle Bürger schützen gegen religiösen oder kulturellen Gruppendruck und Gruppenzwang. Wenn heute die Islamisten in gewissen Gebieten Frankreichs das Sagen haben und zugelassen wird, dass im öffentlichen Raum die Muslime aufgerufen werden „ihren Ursprung zu respektieren", wobei die Prediger klar machen, man soll die Prinzipien der Republik ablehnen, die Emanzipation, die Gleichheit zwischen Frau und Mann und den Säkularismus. Dann zeigen sie den Machthabern ihre Muskeln, denn ihr Diskurs wird vom Staat und den Lokalpolitikern, die dazu schweigen, legitimiert. So wird die Demokratie untergraben.
Es gibt in Frankreich keinerlei Begrenzung der philosophischen oder religiösen Überzeugung, solange nicht die Freiheit und die Rechte anderer verletzt werden. Laut FK ist „die nationale Identität Frankreichs" problematisch, denn sie ist die Ursache des „Unbehagens der Jungen" die hauptsächlich aus Nordafrika kommen, einer Region, „die in Schmerzen und Demütigung entkolonialisiert wurde". Das ist natürlich ein Lieblingsthema aller Islamisten, die nach fünf-sechs Jahrzehnten versuchen, vergessen zu machen, dass Frankreich eben den Kindern der früher Kolonisierten die Gleichheit gibt. Wenn es wirklich um die koloniale Vergangenheit Frankreichs ginge, dann müssten ja die vielen Vietnamesen, die sich in Frankreich niedergelassen die gleichen Probleme haben, doch davon kann keine Rede sein.
Er erklärt wider besseres Wissen, dass es allein in Frankreich „das Phänomen der Vororte in derartigem Ausmass" gibt und dass in England die Lage wegen der Multikultur besser ist als in „einer mono-kulturellen" Gesellschaft. Doch in England, wo mit Zustimmung eines Richters, ein Scharia Gericht funktionieren kann, ohne körperliche Züchtigung versteht sich, werden die Prinzipien des Patriarchats, die juristische Benachteiligung der Frau, bis zur Zwangsehe die einer legalisierten Vergewaltigung entsprechen, legitimiert. FK geht nicht darauf ein, dass es sowohl in England als auch in Deutschland junge Islamisten gibt, die sich sozusagen als „Scharia Polizei" ausgeben und es ganze „Zonen unter der Aufsicht der Scharia" gibt.
Islamisten und ihre Verbündeten sind von der Idee besessen, dass Frankreich rassistisch sei. Doch im letzten Bericht über den Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Xenophobie, der beratenden Kommission für Menschenrechte für das Jahr 2015 wurde festgestellt, dass Frankreich noch nie so tolerant gegenüber Ausländern war, wie jetzt. Laut einem jüngsten Bericht des Pew Research Center, haben nur 29% der Franzosen eine ungünstige Meinung über Muslime, was der niedrigste Prozentsatz in der EU ist. Die ungünstige Meinung bezieht sich hauptsächlich auf die Selbstisolation der Muslime. Die französische Bevölkerung ist gewohnt sich zu mischen, denn sie hat Vertrauen in ihr Model der Integration, aber sie lehnt prinzipiell ab, dass eine Minderheit ihren Lebensstil und ihre Freiheit gefährdet.
Die Anerkennung einer gewissen Verschiedenheit impliziert nicht die Multikultur oder was die Franzosen den communautarisme nennen. Diese versucht Frankreich eine andere Aussenpolitik aufzuzwingen, damit es seine Truppen aus Libyen, Syrien und Mali zurückzieht. Sie versuchen davon abzulenken, weshalb sich die französischen Soldaten dort befinden, nicht aus Feindschaft gegenüber einer Religion, sondern um zu verhindern, dass Barbaren dort Köpfe abschlagen weil jemand ein Gebot nicht gehalten hat und der muslimischen Bevölkerung ihren Willen aufzwingen.
Plötzlich werden grundlegende Annahmen der Prinzipien der Republik gefährdet, weil man diese nicht schützt. Viele Bürger sehen sich von den Politikern, die sie vertreten sollten, verlassen. Es breitet sich eine „kulturelle Unsicherheit" aus und ein Teil der Franzosen sieht seine Lebensgestaltung gefährdet und unterstützt deswegen den Front National (FN), der allerdings genauso wenig übrig hat für Werte der Republik, wie die Islamisten.
Mit dem Argument, man würde das Geschäft der Front National besorgen, wenn man den Islamismus bekämpft, d.h. man würde den Handschuh aufheben, den die islamistischen Provokateure ins Gesicht der Gesellschaft werfen, glaubt man, das Problem Islamismus verleugnen zu können. Als schwerstes Geschütz kommt dann der Vorwurf der „Islamophobie", der hauptsächlich aber nicht ausschliesslich von den Islamisten erhoben wird, um jede Kritik an ihren Aktionen verstummen zu lassen.
Vor der Präsidentschaftswahl 2012 hat Terra Nova, ein der sozialistischen Partei nahestehender Think tank vorgeschlagen, die bisherige Taktik, die breite Masse der Franzosen zu erreichen, aufzugeben und anstatt dessen eine Koalition der „Minderheiten", die Jungen, die Frauen und die Bewohner der „quartiers sensibles", also der Viertel, die mehrheitlich von Muslimen bewohnt werden, zu erreichen. Der Sieg von Francois Hollande wurde als Sieg dieser Strategie gesehen. Man schätzt, dass 86% der Muslime ihn gewählt haben. Als dann Lokalwahlen stattfanden, kam der Think tank Terra Nova mit dem Schlagwort heraus „Der republikanische Säkularismus hilft den Moscheen".
Diese Politik will nicht mehr diese Menschen integrieren, sondern durch die Einführung einer Günstlingswirtschaft den sozialen Frieden erreichen. So hat man in den Vorstädten mit den „Kaids" (Bandenführer) einen Pakt geschlossen, der offen die Schwäche der Republik aufzeigt. In Bagnolet, einer Kleinstadt (36.000 Einwohner) fand man im technischen Lager der Gemeinde, ein Drogenlager, Waffen und kugelsichere Westen. Der Bürgermeister hatte einen ehemaligen Boxer als Gemeindepolizist angestellt, der bekannt war, weil er ein ganzes Wohnviertel terrorisierte und sich rühmte politische Gegner des „Bürgermeisters mit Faustschlägen" einzuschüchtern. Nach dem Drogenfund gab sich der Bürgermeister überrascht, doch viele Bürger der Stadt wussten davon.
Hier gelten nicht die Gesetze, die Frauen sind den Männern ausgeliefert, hier gilt das Wort des Vaters. So können die Anführer strenge gesellschaftliche Kontrolle ausüben, alle diejenigen, die sich nicht fügen wollen haben keine andere Wahl als wegzuziehen. Die Kaids arbeiten in der Regel Hand in Hand mit den Islamisten zusammen. Das gleiche Phänomen kann man auch bei den Gewerkschaften beobachten, die seit Jahrzehnten an Mitgliederschwund leiden und mit der Infiltration von Islamisten zu kämpfen haben. Laut einer Studie eines Gleichbehandlungsinstitutes waren 2015 23% der Personalchefs in Firmen mit diesem Problem konfrontiert, doppelt so viel wie 2014. Oft genug wird die Arbeitsplanung in den Betrieben gestört, denn die Islamisten gehen gegen die Zusammenarbeit von Männern und Frauen am Arbeitsplatz vor, oft weigern sie sich mit Nichtmuslimen zusammenzuarbeiten und fordern Gebetsmöglichkeiten am Arbeitsplatz, was auch in Schulen, Spitälern und der öffentlichen Verwaltung erfolgt. Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit wird der Zusammenhalt der französischen Gesellschaft, der auf Säkularismus gründet, angegriffen Das Ziel ist es die Muslime am Arbeitsplatz durch religiöse Agitation und energischer Proselytenmacherei zu zwingen, die islamistischen „Werte" zu respektieren.
Sammy Amimour, einer der Terroristen vom 13. November war - bevor er nach Syrien ging - Fahrer bei den Pariser Verkehrsbetrieben (RATP). Nach dem 13. November interessierten sich viele Journalisten für die islamistischen Umtriebe in den Betrieben und erhielten überall von den Verantwortlichen die Antwort, dass es nur wenige solche Vorfälle in ihren Betrieben gab, was den Eindruck eines Herunterspielens der Realität hinterliess. Die Islamisten haben verstanden, wie wichtig es ist, als Betriebsrat gewählt zu werden. Rund um den Flughafen Charles de Gaulle, in der Gegend von Paris entstanden ethnisch geprägte Gewerkschaften und sogar islamische Hilfsorganisationen wurden in Gewerkschaften umgewandelt. Die Leitung der RATP und anderer Verkehrsbetriebe leugnete in der Regel und behauptete nichts davon bemerkt zu haben. Doch Frauen werden oft genug von Busfahrern nicht beachtet und ihre Fragen nicht beantwortet. Nach dem 13. November wurde bekannt, dass in RATP Autobussen gebetet wurde und sich Fahrer geweigert hatten einen Bus zu fahren, der vorher von einer Frau gefahren wurde.
Islamisten versuchen auch in Sicherheitsfirmen Fuss zu fassen, so erklärte Michel Mathieu, Präsident von Securitas nach dem 13. November „Es gibt 160.000 Sicherheitsleute in Frankreich. Wir sind mit dem Risiko der Infiltration konfrontiert. Wir haben während der letzten paar Monaten einige Dutzende Fälle gehabt. Oft handelte es sich um langzeitig Beschäftigte, die sich in wenigen Monaten radikalisiert haben und den Djihadismus preisen."
Das Problem in Frankreich ist nicht das System des Säkularismus, sondern dass die politische Klasse vor dem Islamismus kapituliert. Niemand sage, was in Frankreich passiert, kann bei uns nicht stattfinden. Das Beispiel Frankreich sollte für alle Europäer ein Warnsignal sein.