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Die jüdische Gemeinde Lackenbach

Rafaela STANKEVICH

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Die ersten Nachrichten über die Anwesenheit von Juden im Gebiet der burgenländischen Gemeinde Lackenbach stammen aus dem 16. Jahrhundert. 1 Ein Jahr nach dem Tod des ungarischen Königs Ludwig in der Schlacht von Mohacs (1526), liess seine Witwe Maria die Juden aus Pressburg und Ödenburg ausweisen. Ein grosser Teil der Vertriebenen liess sich in Mattersdorf und Lackenbach nieder, wo sie der Herr von Weisspriach in seinen Schutz nahm. Das erste urkundliche Zeugnis über die Anwesenheit von Juden in Lackenbach stammt aus dem Jahre 1558. Zu einer eigentlichen Gemeinde entwickelte sich Lackenbach zwischen den Jahren 1575 und 1588, als eine grössere Anzahl von Juden aus dem benachbarten Neckenmarkt hierher übersiedelte. Von der grossen Judenvertreibung aus Wien, Niederösterreich und Oberösterreich unter Kaiser Leopold I. in den Jahren 1670/71 war auch die junge Lackenbacher Gemeinde betroffen. Die Vertriebenen liessen sich in Mähren, Böhmen, Polen und Deutschland nieder, konnten allerdings bereits kurze Zeit später erneut nach Lackenbach zurückkehren. Die Gemeinde stand von nun unter dem Schutz des Hauses Esterhazy.

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Blick auf den jüdischen Friedhof Lackenbach. Der Friedhof ist mit 1770 Grabsteinen der grösste jüdische Friedhof im Burgenland.

Der Rechtsstatus der Juden war vom 18. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts von den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen einer absolutistischen Feudalherrschaft bestimmt. Die Juden waren zwei Obrigkeiten untertan: dem König bzw. Kaiser und der Feudalherrschaft. Privilegien legten die Bedingungen ihrer Ansässigkeit fest und ebenso Rechte und Pflichten gegenüber dem Grundherrn. Der Landesherr wiederum machte seine Rechte durch Besteuerung und Erlassen von Verfügungen geltend.

Die erwähnten Rechtsgrundlagen boten den Lackenbachern wie den burgenländischen Juden überhaupt eine stabile Basis für langjährige Ansässigkeit und eine langsame, aber stetige Entwicklung. Im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert bildeten die Gemeinden im österreichisch-ungarischen Grenzland die grösste Konzentration von Juden im habsburgischen Herrschaftsbereich. Während den Wiener Juden die Gründung einer offiziellen Gemeinde bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein untersagt war, genossen ihre Lackenbacher Glaubensgenossen die Vorzüge eines etablierten Gemeinwesens schon am Ende des 17. Jahrhunderts. Der Schutzbrief verlieh ihnen vollkommene Autonomie in internen Angelegenheiten. Desgleichen erhielten sie Grundstücke zur Errichtung einer Synagoge und eines Friedhofs zugewiesen. In Lackenbach entwickelte sich infolgedessen ein blühendes Gemeindeleben.

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Interessant und aufschlussreich ist die demographische Entwicklung der Gemeinde. Zwischen den Jahren 1735 und 1857 wuchs die Gemeinde von 449 auf 1155 Seelen an, den höchsten jemals erreichten Stand von Mitgliedern. Von den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts an nahm dann die Zahl der Juden in Lackenbach, wie auch in den übrigen Gemeinden Burgenlands, durch Abwanderung kontinuierlich ab. Die Demographie der Lackenbacher Gemeinde weist von diesem Zeitpunkt an alle Kennzeichen einer modernen Gesellschaft auf: steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenzahlen.

Es darf angenommen werden, dass die erste Synagoge in Lackenbach vor etwa 450 Jahren erbaut wurde, d. h. zwischen 1560 und 1570. Nach der Rückkehr der Lackenbacher Juden aus ihrem unfreiwilligen Exil nach der Vertreibung von 1671 wurde mit der Unterstützung des Hofjuden Samson Wertheimer das Gotteshaus wieder aufgebaut. Das Synagogengebäude existierte bis 1941. Am 20. Februar dieses Jahres wurde es von den Nazis gesprengt.

Der Lackenbacher Judenfriedhof bestand von 1729 bis zur Vernichtung der Gemeinde 1938. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahre 1730. Der Lackenbacher Friedhof war der grösste jüdische Friedhof im Burgenland und einer der grössten in ganz Österreich. Glücklicherweise blieb der Friedhof im Zweiten Weltkrieg unbehelligt. Die Aufarbeitung des jüdischen Friedhofs stellt eine wichtige Quelle zur Erforschung der Sozialgeschichte und des Alltagslebens der Lackenbacher Juden dar.

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Das innere Leben der jüdischen Gemeinde wurde durch Statuten geregelt, die auf der Halachah (dem jüdischen Religionsgesetz) basieren. Diese Gesetzgebung erfolgte durch Mehrheitsbeschluss der Gemeindemitglieder und wurde in religiöser Hinsicht durch Zustimmung sowie Unterschrift des Rabbiners sanktioniert. Die Gemeindestatuten umfassen sämtliche Gebiete des Lebens und waren für die Gemeinschaft ebenso wie für jedes einzelne Mitglied verpflichtend.

In jüdischen Gemeinden, und so auch in Lackenbach, wurde von jeher grosses Gewicht auf die Erziehung der Jugend gelegt. Die Vermittlung der Torah sowie der jüdischen Lehre gilt als eine religiöse Pflicht von überragender Wichtigkeit. Die traditionelle jüdische Grundschule war der sogenannte Cheder, an dem ausschliesslich jüdische Fächer unterrichtet wurden. Auf Anordnung der Regierung mussten später auch säkulare Fächer in den Stundenplan integriert werden, mit dem Ziel, auch den jüdischen Schülern die verordnete Minimal-Allgemeinbildung zu vermitteln. Aus diesem „reformierten Cheder" entstand später die vierklassige jüdische Volksschule, in der eine harmonische Vereinigung von traditionell-jüdischer und weltlicher Bildung angestrebt wurde. Die Unterrichtssprache war Deutsch. Die Lackenbacher Gemeinde investierte in die ständige Verbesserung der Schule viel Geld und Mühe. Eng verbunden mit dem Erziehungswesen war das Vereinswesen der Gemeinde Lackenbach. In jüdischen Gemeinden gab es traditionellerweise volontäre Vereinigungen und Gesellschaften, die das religiöse Leben fördern sollten, so etwa den Bestattungsverein. Angesichts der Wichtigkeit, die dem Torahstudium beigemessen wurde, darf es nicht verwundern, dass es auch Vereine zur Förderung jüdischer Erziehung und der Vermittlung der Tradition gab. Ausserdem gab es zahlreiche Zusammenschlüsse zur Unterstützung von Armen und  Bedürftigen. Die Verbundenheit der Lackenbacher Juden zu Eretz Israel manifestierte sich durch Spenden für die jüdischen Bewohner und religiösen Einrichtungen im Heiligen Lande. Mit zunehmender Akkulturation entstanden neue, nichtreligiöse Vereine, in denen von den Mitgliedern verschiedene kulturelle Tätigkeiten gepflegt wurden.

Im Laufe der Jahre erfuhren Struktur und Aufgabenbereiche der jüdischen Gemeinde etliche Veränderungen. Bis 1848 war die Gemeinde sowohl eine religiöse als auch eine politische Körperschaft. Als Kultusgemeinde bestimmte sie die religiösen, erzieherischen und karitativen Tätigkeiten; als politische Gemeinde erfüllte sie sämtliche Aufgaben einer Stadtverwaltung. Mit dem Ende der Feudalherrschaft erlosch die politische Autonomie der Gemeinde; von nun an galt sie nur noch als Kultusgemeinde.

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Tor von den jüdischen Friedhof

Mit dem Revolutionsjahr 1848 setzte ein weitgehender Modernisierungsprozess ein, der einschneidende Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Erziehung mit sich brachte. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren die esterhazyschen Schutzjuden, und darunter die Lackenbacher Juden, fast ausschliesslich in einigen wenigen Wirtschaftssparten tätig: Hausiererei, Handel und Handwerk. Nach dem Ende der Feudalherrschaft durften sie sich in den königlichen Städten niederlassen und dort Handel treiben: zwei Bereiche, die ihnen früher verwehrt waren. Das Fallen der meisten wirtschaftlichen Beschränkungen hatte zahlreiche andere Veränderungen zur Folge. Eine Abwanderungsbewegung setzte ein, vor allem nach Wien und auch in andere Städte. Auch die Beschäftigungsstruktur der Lackenbacher Juden wandelte sich. Hatte es in der Gemeinde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts hauptsächlich Hausierer und Händler gegeben, fanden sich nun auch diverse Handwerker und einige wenige Akademiker. Die jüdische Bevölkerung von Lackenbach gehörte grösstenteils der unteren Mittelschicht an, war aber selten so arm, dass sie auf Almosen angewiesen war. Die Wirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen sowie strukturelle Probleme im Burgenland verschlechterten die wirtschaftliche Lage der Gemeinde. Hier ist zu betonen, dass die Lackenbacher Juden trotz aller Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten ihre Gemeinde bis zuletzt erhielten - ein Zeichen dafür, wie lieb und teuer ihnen dieses Gemeinwesen war. Noch zur Feudalzeit schlossen sich die esterhazyschen Judengemeinden zu einem regionalen Interessensverband zusammen, den sogenannten „Siebengemeinden". In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts schlossen sich die Gemeinden, und darunter auch Lackenbach, der autonomen-orthodoxen Landeskanzlei Ungarns an, d. h. dem Verband der orthodoxen Gemeinden in diesem Land. Nach der Annexion des Burgenlandes durch Österreich 1921 gründeten die burgenländischen Gemeinden ein österreichisches Gegenstück dazu.

Eine antijüdische Einstellung innerhalb der christlichen Bevölkerung existierte schon lange vor dem 20. Jahrhundert. Diese Stimmung sowie eine jahrhundertelange Diskriminierung der Juden bildeten den Nährboden für die bislang nie dagewesenen Verbrechen, die in der Schoah begangen wurden. Kurz nach der „Machtergreifung" der Nazis im März 1938 setzte eine Politik ein, die das Burgenland so schnell als möglich „judenrein" machen sollte. Mittels organisiertem Raub von jüdischem Eigentum, Enteignungen von Häusern, Geschäften und Gewerbebetrieben und der daraus resultierenden Ausschliessung der Juden aus der Wirtschaft hoffte man, die Juden zur Auswanderung bewegen zu können. Es folgte der Entzug der Bürgerrechte. Diese Politik zeigte bald Erfolg. Bis Ende April 1938 wurden 330 Lackenbacher Juden vertrieben. Ein Teil davon konnte ins Ausland ausreisen, der Rest wurde in Vernichtungslager deportiert und umgebracht. So fand eine jahrhundertelang blühende jüdische Gemeinde ein jähes Ende.

1 Stankevich, Rafaela: The Community of Lackenbach In Burgenland (Austria). Preserving its religious and social uniqueness In the Early Modern and Modern Era (1671-1938), Ph.D. Diss., Bar Ilan University, Ramat-Gan, Israel