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Die Suezkrise und der Krieg von 1956

Erwin A. SCHMIDL

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Der Krieg von 1948 hatte dem neuen Staat Israel zwar beachtliche Gebietsgewinne gegenüber dem UN-Teilungsplan von 1947 gebracht, nicht aber einen stabilen Frieden. In den arabischen Nachbarstaaten warteten rund 600.000 palästinensische Flüchtlinge auf die Heimkehr; es kam immer wieder zu Anschlägen und Zwischenfällen. 1956 brachte die innenpolitische Krise in Ägypten eine neue Verschärfung der Lage im Nahen Osten. 1952 hatte eine Offiziersrevolte König Faruk I. (1920 - 1965) zur Abdankung gezwungen; Ägypten wurde Republik. 1954 stürzte General Gamal Abdel Nasser (1918-70) den eher liberalen Präsidenten General Muhammed Nagib (1901 - 1984). Unter den Vorzeichen des „Kalten Krieges" verstärkte sich die Zusammenarbeit mit dem Ostblock: Die Tschechoslowakei, die noch 1947/48 Waffen an Israel geliefert hatte, unterstützte jetzt Ägypten, während die Westmächte ihre Wirtschaftshilfe reduzierten. Die letzten in der Suezkanal-Zone stationierten britischen Truppen verliessen im Juni 1956 das Land. Im Juli 1956 kündigte Nasser die Verstaatlichung der Suezkanal-Gesellschaft an - der 1869 (unter anderem im Beisein Kaiser Franz Josephs) eröffnete Kanal befand sich im Besitz einer internationalen Gesellschaft, an der vor allem britisches und französisches Kapital beteiligt war. Daraufhin planten Grossbritannien und Frankreich die Operation „Musketeer", die gewaltsame Inbesitznahme der Kanalzone durch amphibische Landungen und Luftlandungen in Port Said. Israel sollte diese Unternehmung durch einen Vorstoss im Sinai unterstützen, der vom Generalstabschef Moshe Dayan (1915 - 1981) geplant wurde (Operation „Kadesh").

Operation „Kadesh" - der israelische Vorstoss im Sinai

  

Der Krieg begann am 28. Oktober 1956 mit dem Abschuss einer ägyptischen Ilyushin Il-14, die hochrangige Offiziere an Bord hatte. Am 29. Oktober griffen israelische P-51 „Mustang" ägyptische Stellungen auf der Sinai-Halbinsel an und zerstörten Telegraphenleitungen. Israelische Fallschirmjäger landeten beim Mitla-Pass - sie gehörten zur Einheit 202, deren Kommandanten, Oberst Ariel „Arik" Sharon (1928-2014) später vorgeworfen wurde, dass er die leicht bewaffneten Fallschirmjäger unter schweren Verlusten frontal gegen ägyptische Stellungen angreifen liess. Die 1. Infanterie- und die 27. Panzer-Brigade rückten in den Gaza-Streifen vor, von dem aus palästinensische Partisanen immer wieder Angriffe auf Israel verübt hatten. Die 7. Panzer- und die 10. Infanterie-Brigade nahmen indessen den Strassenknotenpunkt Abu Uwayulah ein. Nach teils heftigen Kämpfen gelang es den Israelis bis zum 4. November, grosse Teile der Sinai-Halbinsel zu besetzen und Sharm El-Sheikh (Scharm asch-Schaich) zu erreichen - für Israel ein wichtiges Ziel, weil von hier aus die Ägypter seit 1953 israelischen Schiffen den Zugang zum Indischen Ozean verwehrt hatten. Der ägyptische Zerstörer „Ibrahim-El-Awal" (ursprünglich 1939/40 als H.M.S. „Mendip" für die Royal Navy gebaut) beschoss Haifa, wurde aber von israelischen Flugzeugen und Schiffen beschossen und zur Übergabe gezwungen, später als „Haifa" in die israelische Marine übernommen.

Operation „Musketeer" - die alliierte Landung bei Port Said

  

Am 30. Oktober richteten Frankreich und Grossbritannien an beide Seiten ein Ultimatum, ihre Truppen aus der Kanalzone zurückzuziehen (welche die Israelis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erreicht hatten). Nasser liess daraufhin 40 Schiffe im Kanal versenken und so die Wasserstrasse sperren. An der folgenden Räumung war das Unternehmen des ehemaligen k.u.k. Linienschiffsleutnants und Theresienritters Gottfried von Banfield (1890-1986) führend beteiligt. Am 31. Oktober griffen rund 300 britische und französische Flugzeuge die ägyptischen Flugplätze an und schalteten damit die bis dahin wirkungsvollen ägyptischen Luftstreitkräfte aus. Am 5. November begann schliesslich die britisch-französische Landung bei Port Said; die Truppen rückten rasch vor. Nasser rief darauf zum „Volkskrieg" auf, liess Waffen an die Bevölkerung ausgeben und befahl seinen Soldaten, in Zivilkleidern zu kämpfen, um möglichst grosse Verluste unter Zivilisten zu provozieren. In dieser Lage drohte allerdings die Sowjetunion mit einem Eingreifen und US-Präsident Dwight D. Eisenhower setzte Frankreich und Grossbritannien massiv unter Druck. Sie mussten schliesslich einem Waffenstillstand mit 7. November 1956 zustimmen und die Kanalzone bis Jänner 1957 räumen. Auch Israel zog sich bis April 1957 auf die Grenzen von 1948 zurück.

Die Verluste der Alliierten (Israelis: 231 Tote und 899 Verwundete; Briten: 16 Tote und 96 Verwundete; Franzosen: 10 Tote und 33 Verwundete) waren deutlich geringer als jene der Ägypter - es werden Zahlen von bis zu 3500 Toten und 5000 Verwundeten genannt, dazu 1000 zivile Opfer.

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Die Geburt der „Blauhelme"

Zur Ablösung der britisch-französischen Interventionstruppen etablierte der höchst engagierte UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1905-61) unter Mitwirkung des kanadischen Aussenministers Lester Bowles „Mike" Pearson (1897-1972) eine eigene UN-Truppe, die „United Nations Emergency Force" (UNEF). Diese erste „Friedenstruppe" der Vereinten Nationen umfasste Kontingente aus zehn Staaten und war an die 6000 Mann stark. Sie blieb bis 1967 an der israelisch-ägyptischen Grenze stationiert. Ähnlich wie die schon davor im Nahen Osten und in Kaschmir eingesetzten UN-Beobachteroffiziere trugen die Soldaten der UN-Truppe ihre nationalen Uniformen mit UN-Abzeichen, zusätzlich aber neu eingeführte blaue Kopfbedeckungen (Helme, Barette und Kappen), die schnell zum Markenzeichen der „Friedenssoldaten" wurden: die „Blauhelme" waren geboren. Für seine Rolle in der Suezkrise erhielt Pearson 1957 den Friedensnobelpreis. Ein weniger erfreuliches Ergebnis des Suezkonflikts war allerdings, dass der Nahe Osten stärker als zuvor in den Ost-West-Konflikt einbezogen wurde - mit Folgen, die bis heute nachwirken. Eine Anekdote am Rande verknüpft die Suezkrise mit der gleichzeitigen Ungarnkrise: Dort hatte die sowjetische Führung - nach langem Zögern und wohl vor allem als Reaktion auf die Lynchmorde an Offizieren und Parteifunktionären am 30. Oktober, beim Sturm auf das KP-Hauptquartier in Budapest - beschlossen, militärisch zu intervenieren. Nicht alle an der Intervention ab dem 3. November 1956 beteiligten Soldaten aber wussten, wo sie zum Einsatz kamen - und einige fragten in Budapest neugierig, ob sie jetzt am Ufer des Suezkanals stünden...

Zum Autor

Hofrat Univ.-Doz. Dr. Erwin A. Schmidl (geb. 1956) ist Historiker im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport und leitet das Institut für Strategie und Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie in Wien. Er lehrt am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze; u.a. erschien 2014 bei Böhlau seine Studie über „Habsburgs jüdische Soldaten 1788-1918.