Ari Folman/ David Polonsky: Waltz With Bashir. Eine Kriegsgeschichte aus dem Libanon. Übersetzt von Heinz Freitag, Pandora Filmverleih.
Zürich: Atrium Verlag 2009.
120 Seiten, broschiert, Euro 22,00.-
ISBN 978-3-85535-136-7
Waltz with Bashir(IL/D/FR 2008) von Ari Folman ist der erste animierte Dokumentarfilm in Spielfilmlänge. Im Zentrum der semi-autobiografischen Darstellung stehen der erste Libanonkrieg und die Erinnerungen der damals eingesetzten, teilnehmenden israelischen Soldaten daran. Es ist eine Reise in die Jugendkultur der 1980er Jahre, aber auch ins damalige West-Beirut, die hier in Form von Gesprächen und Erzählungen der Kriegsveteranen untereinander, gut ein Vierteljahrhundert später, ähnlich einer psychotherapeutischen Sitzung in Erinnerungsblitzen die Ereignisse des Soldatenalltags wieder aufleben lässt und die Traumata der Beteiligten zum Thema macht. Die Protagonisten müssen sich schliesslich der Frage stellen, welche Rolle sie selbst bei dem Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila gespielt haben. Der Filmtitel bezieht sich auf den mit Israel verbündeten christlich-maronitischen Milizenführer Bashir Gemayel, dessen Ermordung mit dem Massaker gerächt werden sollte. Während der Grossteil des Filmes in Zeichentrickbildern abläuft, werden, als die verdrängten Erinnerungen schliesslich wieder an die Oberfläche des Bewusstseins geholt werden, in den Schlusssequenzen plötzlich Original-Filmaufnahmen mit Bildern der ermordeten Opfer gezeigt. Die dargestellten Trickfilmfiguren stellen real existierende Personen dar, die vor Beginn der Filmproduktion um ihre Mitwirkung gebeten worden sind: Den Regisseur Ari Folman selbst sowie seinen Freund Boaz Rein-Buskila, und andere Kriegsteilnehmer (Ronny Dayag, Carmi Cna'an, Shmuel Frenkel und Dror Harazi) sowie den Kriegsreporter Ron Ben-Yishai. Gemeinsam rekonstruieren sie im Laufe des Films das reale Geschehen. Der packende, aber auch höchst bedrückende Film wurde bei den Filmfestspielen in Cannes 2008 vorgestellt, als bester fremdsprachiger mit dem Golden Globe 2009 und als bester ausländischer Film mit dem César 2009 ausgezeichnet und 2009 für den Oskar nominiert.
Der Zürcher Atrium Verlag hat nun den gefeierten Film als Graphic Novel aufgelegt. Auch wenn das Medium Buch völlig anders funktioniert als ein Film, in dem rasche Schnittfolgen und mitreissende Technomusik Tempo und Intensität der Wahrnehmung bestimmen, ist die Auswahl der Bildsequenzen überzeugend. Schon auf den ersten Seiten wird der Leser in die düstere Stimmung des alptraumgeplagten Boaz hineingezogen. Die Gesprächspassagen, in denen Boaz und Ari sich dem Kern des Problems im ersten Teil des Buches langsam annähern, wirken hingegen irritierend. Die Atmosphäre einer therapeutischen Sitzung, in der die Gesprächspartner sich gemeinsam ganz langsam und mit vielen Umwegen den schmerzenden Erinnerungen annähern, während sie ruhig an einem Ort sitzen und sich äusserlich nichts ereignet, ist durch das Lesen grosser Sprechblasen gegenüber dem akustischen Eindruck der gesprochenen Sprache deutlich im Nachteil, da ja die dazugehörigen Bilder sehr statisch sind und die Stimmung der um ihre Emotionen kämpfenden Sprecher nur schwer vermitteln können. Die ausgezeichnete Anordnung der Texte innerhalb der einzelnen Bilder, die den Leser mühelos durch den Ablauf der Gespräche führt, entschädigt jedoch für die ungewohnte Form der Vermittlung. Die emotionale Entwicklung der Hauptfigur wird durch die Farbe des Seitenhintergrunds, auf dem die Einzelbilder stehen, sehr gelungen zum Ausdruck gebracht. Dunkle Perioden wechseln mit lichten ab, was einerseits auf entspanntere Momente hinweist, andererseits auf Perioden deutlicherer Erinnerungen. Die Ängste und Schrecken des Erinnerten wiederum sind auf tiefdunklen Seiten angeordnet. Die Bildsequenzen des therapeutischen Gesprächs, in dem die Therapeutin Zahaya Solomon erläutert, wie ein junger Mann mit posttraumatischen Belastungsstörungen seine Teilnahme an Kriegsgeschehnissen ertragen konnte, indem er sich vorstellte, der Krieg sei nur ein Ausflug, von dem eine Amateurkamera Aufnahmen mache, sind wie Fotos, die in einem Fotoalbum eingeklebt sind, gestaltet. Im letzten Teil, als die Erinnerung an das Massaker von Sabra und Shatila schliesslich ganz konkret wird, nimmt der Text mit dem Grad der Bewusstwerdung ab, wird spärlich, um schliesslich ganz auszusetzen. Es dominieren Bilder, die Bilder einer Stätte der Zerstörung, des Schreckens des Todes, des eigenen Schreckens, bis sich die Wahrnehmung auf die Verzweiflung und Trauer der Frauen des Lagers verschiebt, plötzlich erscheinen ihre Gesichter - und jetzt ist die Erinnerung real: Die letzte Doppelseite der Erzählung zeigt Dokumentarbilder von Leichen, und von einer weinenden Frau. Wird der Zuseher des Filmes verstört und auch verwirrt zurückgelassen, so hat der Leser der Graphic Novel die Chance, zurückzublättern, durch wiederholtes Lesen ein eigenes Bild vom Ablauf der Ereignisse zu entwickeln und sich mit der Geschichte im Detail vertraut zu machen - ein Akt, der dem Thema mit Sicherheit angemessen ist. Dem Buch gebührt das Verdienst, diese vertiefte Auseinandersetzung zu ermöglichen.