„Ich beschloss, dass ich diejenigen Opfer, die Gott nicht beachtete und die irgendwo in den Wäldern verscharrt, in den Gasöfen verbrannt, an den Mauern erschossen wurden oder in den Ghettos verhungert waren, dass ich diejenigen, die keine Gesichter mehr haben und die man nur durch Zahlen vermerkte, für immer unvergessen machen muss."1
Wenn in den letzten Wochen der Blätterwald anlässlich der Filme Defiance2 und Inglorious Bastards3 rauschte und wieder einmal über die Darstellung des jüdischen Widerstands während der Shoah debattiert wurde, möchte ich an einen Mann erinnern, der selbst zum Widerstand gehörte und dessen Filme über die Shoah mittlerweile geradezu „Klassiker" geworden sind. Vier davon sind vor wenigen Wochen bei der Filmretrospektive - Mauthausen Memorial gezeigt worden.
Hitlerjunge Salomon.
Artur („Atze") Brauner, der am 1. August 91 Jahre geworden ist, wird auch heute noch vor allem mit seinen zahlreichen Filmproduktionen in Zusammenhang gebracht, die man schon in den 60ern abschätzig als „Opas Kino" bezeichnete. Sicherlich war seine 1946 in Berlin gegründete Central Cinema Company (CCC) die wichtigste deutsche Produktionsstätte der Nachkriegszeit und produzierte Grossproduktionen wie Old Shatterhand.4 Aber zu Brauners 295 Filmen zählen eben nicht nur Schlager-, Heimat-, Abenteuer-, Kriminal- oder Westernfilme - auch wenn er in diesen Sparten Bedeutendes geleistet hat - keineswegs nur trashige B-Filme. Braun arbeitete mit den damaligen Stars des deutschen Kinos wie Heinz Rühmann, O.W. Fischer, Curd Jürgens, Peter Van Eyck, Martin Held, Maria Schell, Ruth Leuwerick, Gert Fröbe, Hardy Krüger, Lilly Palmer oder Romy Schneider, er holte unbekannte Schauspieler aus den USA wie Lex Barker und machte sie erst zu Stars. Daneben aber schaffte er es, Emigranten wie Fritz Lang und Robert Siodmak nach Deutschland zurückzuholen, wo sie Der Tiger von Eschnapur / Das indische Grabmal5, Die 1000 Augen des Dr. Mabuse6, Der Schut7 oder Kampf um Rom8 drehten. Engagierte Literaturverfilmungen wie Die Ratten9, Vor Sonnenuntergang10 oder Der brave Soldat Schwejk11 sind genauso in seiner Filmografie zu finden. Daneben jedoch produzierte er rund 20 Filme, die sich mit der Shoah und der Geschichte des Dritten Reichs auf spannende Weise auseinandersetzen, darunter Morituri12, Der 20. Juli13, Lebensborn14, Bittere Ernte15, Hanussen16, Hitlerjunge Salomon17, Der Gehetzte18, Von Hölle zur Hölle19, Babij Jar20 oder Der letzte Zug21. Vier davon, Bittere Ernte, Hanussen, Hitlerjunge Salomon und Von Hölle zur Hölle wurden für den „Oscar" nominiert. Der Garten der Finzi-Contini erhielt 1970 den „Goldenen Bär" und 1972 den „Oscar" für den besten nicht-englischsprachigen Film. Unter dem Pseudonym Art Bernd schrieb Brauner unter anderem für Babij Jar selbst das Drehbuch. Oft wird Brauners Engagement falsch gedeutet. So setzt Bernd Matthes in einem Artikel Brauners Filme über die Shoah erst mit 1980 an. Er erwähnt zwar Morituri, stellt es aber so dar, als hätte Brauner aufgrund des finanziellen Flops des Films zwischen 1946 und 1980 das Thema beiseite gelassen:
„Brauner möchte seine Lebensgeschichte aufarbeiten und beginnt mit den Arbeiten an einem Zyklus von „jüdischen Filmen" über das Schicksal der Nazi-Opfer, die zum Teil sehr kontrovers aufgenommen werden - am bekanntesten wurde „Hitlerjunge Salomon", ein Film über einen jüdischen Jungen, der sich unter falscher Identität als Übersetzer bei der Wehrmacht durchschlägt. Durch diesen ambitionierten Zyklus erreicht Brauner immerhin nach 40 Produzentenjahren die Anerkennung, die ihm die Filmkritik bis dahin versagt hatte - 1990 widmet ihm das Filmmuseum Frankfurt eine Ausstellung und erhält sein Archiv zur Auswertung."22
Bittere Ernte.
Hier übersieht Matthes nicht nur eine ganze Reihe von Filmen, sondern auch, dass Brauner sich seit Morituri kontinuierlich mit der Shoah in diversen Produktionen bis zur Gegenwart beschäftigt hatte, zu denen u.a. Der Garten der Finzi-Contini23, Sie sind frei, Doktor Korczak24, Die Zeugin aus der Hölle25 und Eichmann und das Dritte Reich26 zählen. Die Auseinandersetzung mit der Shoah und dem Dritten Reich ist nämlich für Brauner keineswegs eine Art „Alterssport", sondern lebenslanges Engagement. Mit dem Gewinn, den Grossproduktionen wie Der Tiger von Eschnapur eingespielt hatten, konnte er Filme wie Zeugin aus der Hölle erst realisieren.
Artur Abraham Brauner wurde 1918 in Lodz geboren. Als er und seine Familie ins Ghetto „umsiedeln" sollten, entschloss sich Brauner zu Flucht und Widerstand. Er überlebte die Shoah als Partisan in den Wäldern. Die Geschichte seines Überlebens wird man vergeblich in seiner 1976 erschienenen Autobiographie Mich gibt's nur einmal suchen. Nur wenige, ergreifende Zeilen fassen die Shoah zusammen.
„Ich sagte zu meinen Eltern: ‚Wenn ihr ins Ghetto geht, werde ich euch nicht wiedersehen. Denn ich bleibe nicht [...] Und ausserdem [...], ausserdem will ich nicht, dass wir einen gelben Stern tragen.' [...] Bald aber tauchten auch in den Dörfern die Häscher auf. [...] Als im benachbarten Dorf die ersten Familien denunziert und abtransportiert wurden, sagte ich: ‚Wir müssen weg von hier. In die Wälder an der deutsch-russischen Demarkationslinie. Ihr wisst, dass dort Tausende von uns leben. Ich will als erster gehen und ein Versteck suchen. Dann hole ich euch nach.'"27
Artur Brauner
Brauner wird von der SS aufgegriffen, kann sich jedoch retten. Wie er das schaffte, erzählte er Gary Cooper während einer Premierenfeier:
„ ,Sie haben da einen Western gemacht. In einer Szene stehen Sie am Ufer eines Flusses. Unbewaffnet. Ihnen gegenüber ein Killer, der den Colt gezogen hat. Sie wissen, dass Sie in der nächsten Sekunde tot sein werden. Und da [...], [...] und da senke ich meinen Schädel und stosse ihn dem Killer in den Bauch.' Cooper übernahm das Wort. ,Der Bursche kippt aus den Socken, fällt ins Wasser, ich mit einem Hechtsprung hinterher, ich schwimme unter Wasser, 20 Meter, 30, tauche auf, sie ballern wie die Verrückten, ich tauche wieder, komme hoch, und diesmal schiessen sie nicht mehr. Sie glauben, dass ich längst abgesoffen bin.' ,Und genauso war es bei mir‘, sagte ich langsam. [...] ‚Ich weiss nur, dass ich den Film in einer Jugendvorstellung in Lodz gesehen habe. Und dass die Szene mit dem Kopfstoss blitzartig vor mir ablief. Ich handelte wie ein Schlafwandler.' [...] Gary Cooper sagte nachdenklich: ‚Da dreht man irgendeine Westernklamotte, wendet einen uralten Trick an und ahnt um alles in der Welt nicht, dass da irgendwo ein Mensch lebt, dem dieser Film das Leben retten wird.'"28
Brauners Erinnerungen über die Zeit der Shoah, die er ebenfalls niedergeschrieben hat, sind bis heute leider unveröffentlicht.
Seit Morituri wurden und werden Brauners Shoah-Produktionen mit Häme und Spott überschüttet. Bei Morituri wurden damals sogar Kinos demoliert. Später blieben sie einfach leer. Edelkitsch über das Dritte Reich, die Landserschicksale oder Bombennächte thematisierten, zogen stets das grössere Publikum in Deutschland an.
Oft war die Finanzierung von Filmen wie Babij Jar mehr als mühevoll. Gerade dieses ergreifende Drama in Schwarz-Weiss wurde als „Seifenoper" beschimpft. Während ein hollywoodianisches Edeldrama wie Schindlers Liste zum Pflichttermin für Schulklassen wurde, verschwinden Brauners Shoah-Filme recht schnell aus den Kinos. Brauner setzt niemals auf „Holocaust light" mit sanften Bildern, untermalt von einfühlsamem Geigenschluchzen. Extreme Bilder der Gewalt prägen nicht nur seine neueren Filme zur Shoah, wie Babij Jar oder Der letzte Zug. So schrieb Daniel Haas im Spiegel über den Letzten Zug:
„Brauners Kino erzählt nicht gegen, sondern begleitend zu den Filmen Claude Lanzmanns und den Texten Primo Levys und Jean Amérys vom Leid der Juden; seine Dramaturgie beschwichtigt nicht, sondern ist agitatorisch mit den Mitteln der Fiktion."29
Wir dürfen auch weiterhin gespannt sein, was aus Brauners CCC-Filmschmiede noch kommen wird.
„Wenn alle Opfer und Zeitzeugen schon tot sind, werden die Filme von dieser Zeit erzählen. Noch in hundert Jahren."30
1 Artur Brauner in der Rede bei der Premiere seines Filmes Der letzte Zug; zitiert nach Die Welt, 7.11.2006.
2 USA 2008, Regie: Edward Zwick
3 USA 2009, Regie: Quentin Tarantino
4 1963, Regie: Hugo Fregonese
5 1958, Regie: Fritz Lang
6 1960, Regie: Fritz Lang
7 1964, Regie: Robert Siodmak
8 1968, Regie: Robert Siodmak
9 1955, Regie: Robert Siodmak
10 1956, Regie: Gottfried Reinhardt
11 1960, Regie: Axel von Ambesser
12 1948, Regie: Eugen York
13 1955, Regie: Falk Harnack
14 1961, Regie: Werner Klingler
15 1984, Regie: Agnieszka Holland
16 1987, Regie: Istvan Szabo
17 1989, Regie:Agnieszka Holland
18 1993, Regie: Vladimir Savelliew
19 1996, Regie: Dimitri Astrachan
20 2002, Regie: Jeff Kanew
21 2006, Regie: Joseph Vilsmaier
22 Bernd Matthes/ Artur Brauner: Sein letztes Kapitel. In: Der Tagesspiegel, 20.4. 2008.
23 1970, Regie: Vittorio de Sica
24 1974, Regie: Aleksander Ford
25 1965, Regie: Zika Mitrovic
26 1961, Regie: Erwin Leiser
27 „Atze" Brauner: Mich gibt's nur einmal. München 1976, S.41-42.
28 Brauner, Mich gibt's nur einmal, S.44.
29 Daniel Haas: Erzählen gegen das Vergessen. In: Der Spiegel, 7.11.2006.
30 Artur Brauner, zitiert nach: Süddeutsche Zeitung, 5. Juni 2002.
Alle Bilder: CCC Film Berlin mit freundlicher Genehmigung K. Davidowicz.