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Erinnerung an den alten jüdischen Friedhof Innsbrucks

Silvia PERFLER

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Nahe der Hungerburg, oberhalb von Innsbruck, befindet sich der sogenannte Judenbühel, der alte jüdische Friedhof der Stadt. Im Mittelalter angelegt, geriet die Begräbnisstätte nach dessen Auflassung fast völlig in Vergessenheit, ein Wiesenplatz, der hauptsächlich von Spaziergängern und spielenden Kindern genutzt wurde.  Einziger Hinweis auf die einstige Bedeutung des Ortes war ein Schild mit der Flurbezeichnung „Judenbühel".

  

Überlieferungen zufolge siedelten sich bereits im 13. Jahrhundert mit den Grafen von Görz die ersten jüdischen Familien in Innsbruck an. Das Verhältnis zwischen der jüdischen und der restlichen Tiroler Bevölkerung war hautsächlich geprägt durch Vorurteile, Skepsis und Distanz. Zeiten der Toleranz wurden gefolgt von Zeiten der Verfolgung, wie beispielsweise 1348, als Tirol von der Pest heimgesucht wurde. Im 16. Jahrhundert werden Juden in Innsbruck hauptsächlich als Bankiers und Vertreter ausländischer Handelsunternehmen erwähnt. Seit 1617 bestand die jüdische Gemeinde Hohenems, die Tirol und Vorarlberg umfasste. Damit lag das Zentrum jüdischen Lebens zu dieser Zeit in Vorarlberg und blieb es bis ins 19. Jahrhundert. Auch wenn sich in Innsbruck nur wenige jüdische Familien angesiedelt hatten, entstand im frühen 16. Jahrhundert östlich des heutigen Alpenzoos, oberhalb der Stadt, eine eigene jüdische Begräbnisstätte. Urkundlich nachgewiesen ist dessen Existenz durch eine Erwähnung 1503. Ein spezieller dokumentarischer Vermerk des Judenbühels findet sich auch im Jahr 1598: Damals bekam Samuel May, ein in Innsbruck ansässiger Jude, von Erzherzogin Anna Katharina die Erlaubnis, seine Nachkommen auf dem Bühel wo „der Juden alte Grabstätte war" beerdigen zu lassen. Jahrhundertelang wurden die jüdischen Einwohner der Stadt an diesem Ort beigesetzt. Der jüdische Friedhof  war ein abgelegener Ort in steilem Gelände, weit ausserhalb der damaligen Stadtgrenze und im Winter so gut wie unzugänglich.  Mit einem Wagen führte man die Toten bis zum ‚Badhaus', und von dort mussten sie über einen schmalen Feldweg zum Judenbühel getragen werden.

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Im Laufe des 19. Jahrhunderts wanderten viele Hohenemser Gemeindemitglieder aus Vorarlberg in die Schweiz, nach Italien und schliesslich auch nach Innsbruck ab. Die österreichische Verfassung von 1867 garantierte der jüdischen Bevölkerung gleiche Rechte und damit die Möglichkeit, ohne bürokratischen Hürden einen ordentlichen Wohnsitz zu beantragen, was zu einer Zuwanderung jüdischer Familien aus Böhmen, Mähren und der Slowakei auch nach Innsbruck führte. Nichtsdestoweniger bestand in Innsbruck nur eine kleine jüdische Gemeinde (1879: 27 Personen, 1880 etwa 20 Familien). Der Zuzug blieb von den restlichen Einwohnern nicht unbemerkt und verstärkte aufkommende antisemitische Ressentiments. Nachdem der Friedhof 1861 und 1863 wiederholt geschändet und sämtliche Grabsteine umgeworfen oder sogar zerstört worden waren, bat die israelitische Gemeinde die Behörden, einen Friedhof an einem adäquateren Ort anzulegen. Ein Jahr später wurde ein Areal am städtischen Westfriedhof zur Verfügung gestellt. Da die jüdischen Bürger wie alle anderen eine Friedhofssteuer entrichten mussten, übernahm die Stadt die Kosten zur Errichtung des neuen jüdischen Friedhofs. 1864 wurden am Judenbühel die letzten Gemeindemitglieder beigesetzt. Die Gräber verlegte man in der Folge vom alten in den neuen jüdischen Friedhof. Nachdem die Begräbnisstätte am Westfriedhof eingerichtet worden war, wurde 1880 die Mauer des alten Friedhofs eingerissen und der Platz eingeebnet. Um auch noch die letzten Spuren zu tilgen, benannten die Nationalsozialisten den Judenbühel in Spitzbühel um.

Damit geriet der alte Friedhof in den folgenden Jahrzehnten zunehmend in Vergessenheit. Es ist vor allem der Initiative von Altbischof Reinhold Stecher zu verdanken, der sich vehement für die Errichtung einer Gedenkstätte eingesetzt hatte, dass die ehemalige Bedeutung des Judenbühels wieder ins Bewusstsein gerückt wurde. Im Frühjahr 2007 wurde das Projekt Erforschung des alten jüdischen Friedhofs am Judenbühel ins Leben gerufen und vom Innsbrucker Stadtsenat genehmigt. Damit begann die Spurensuche der Historiker und Archäologen. Betreut wurde das Projekt unter anderem vom Innsbrucker Verschönerungsverein, dem Historiker Niko Hofinger und dem Archäologen Michael Guggenberger. Finanzielle Unterstützung kam neben der  Stadt Innsbruck auch vom Land Tirol sowie der Landesgedächtnisstiftung. Archäologen führten Grabungen durch, um die ursprünglichen Umrahmungsmauern freizulegen und dadurch die genaue Lage des einstigen Friedhofs festzustellen. Die  Vorarlberger Architekten Ada und Reinhard Rinderer konnten für die Gestaltung der Gedenkstätte gewonnen werden: Heute markieren rötlich braune, mit Davidsternen versehene Stahlplatten den Verlauf der alten Friedhofsmauer. Die Mauerplatten umgeben aber nur drei Seiten, an der Westseite geht der Friedhof in einen leichten Abhang über. Symbolisch wurde im Süden der ehemalige Eingang durch eine Tür wieder kenntlich gemacht. Beim Betreten des Platzes werden die Besucher von einer steinernen Gedenktafel empfangen, die auf die Geschichte des Friedhofs hinweist. Der Judenbühel wurde durch die Neugestaltung nicht nur als Ort der Einkehr und Besinnung reaktiviert, er ist, wie auch schon auf der Gedenktafel angemerkt, gleichzeitig ein sichtbares Zeichen für die lange Geschichte und die frühen Wurzeln des Judentums in Tirol.

Am 16. Juli fand die feierliche Einweihung der Gedenkstätte durch Oberrabiner Paul Chaim Eisenberg statt. An der Feier nahmen neben Vertretern der Stadt Innsbruck und der Tiroler Landesregierung auch Altbischof Reinhold Stecher und Diözesanbischof Manfred Scheuer teil. In ihrer Festrede  hoben Oberrabiner Eisenberg und die Präsidentin der IKG Innsbruck, Esther Fritsch, nochmals die besondere Rolle von Altbischof Stecher  bei der Errichtung einer Gedenkstätte hervor und dankten ihm für seinen Einsatz.  Gleichzeitig erinnerte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in Tirol und Vorarlberg an die Bedeutung dieses Ortes. Er zeige aber auch, dass die Juden im Leben wie im Tod abseits gestanden seien. Denn der Friedhof lag ausserhalb des damaligen Innsbrucker Stadtgebietes. Innsbrucks Bürgermeisterin Hilde Zach sowie Landtagspräsident Herwig van Staa unterstrichen in ihren Grussworten vor allem die gute Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde und würdigten die Bedeutung der Gedenkstätte als ein bedeutendes Andenken an die verstorbenen jüdischen Bürger Tirols wie auch als sichtbares Zeichen für die Öffentlichkeit.

Literaturhinweise:

Salinger Gerhard: Die jüdische Gemeinde in Innsbruck. In: DAVID - Heft Nr. 72, April 2007, S.39 - 41.

Hofinger Niko: Eine kleine Gemeinde zwischen Erinnerung und jüdischem Alltag: Die Israelitische Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck nach 1945. In: Lappin Eleonore (Hg): Jüdische Gemeinden - Kontinuitäten und Brüche. Wien 2002, S. 199-210.

www.ikg-innsbruck.at

www.alemannia.judaica.de/innsbruck_friedhof.htm