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Es gibt keine „jüdische Kunst“

Felice Naomi WONNENBERG

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Die Ausstellung jüdischer Künstler aus Berlin im Jahres 1907 ist Thema und Ausgangspunkt der Ausstellung Zerbrochener Spiegel, die derzeit im Tel Aviver Kunstmuseum gezeigt wird. Kuratiert von Batsheva Goldman-Ida, rekonstruiert die israelische Ausstellung das Berliner Original und fügt zudem noch in dekonstruktivistischer Art neue Aspekte, die in der Ausstellung von 1907 bewusst ausgeblendet wurden, hinzu. Die Bilder hingegen, die schon damals zu sehen waren sind markiert. Bilder, die den vor hundert Jahren gezeigten ähnlich sind, werden ebenfalls präsentiert und sind als solche gekennzeichnet. Eine nachvollziehbare Lösung, denn natürlich ist es unmöglich, eine Ausstellung nach einem Jahrhundert identisch wieder zusammen zu stellen.

Vertreten waren damals wie heute die Grössen der Kunstlandschaft: Lesser Ury, Josef Israëls, Camille Pissarro, Maurycy Gottlieb, Samuel Hirszenberg und viele andere. Auffällig ist in dieser Aufzählung natürlich, dass Max Liebermann nicht unter den gezeigten Künstlern ist. Nicht nur, dass der Berliner Malerfürst damals wie heute nicht gezeigt wurde, im Tel Aviv Museum mussten die berühmten Liebermann Gemälde der permanenten Sammlung sogar eigens abgehängt werden, da die Räumlichkeiten für diese Wechselausstellung gebraucht wurden. Batsheva Goldman-Ida kommentiert diese augenfällige Auslassung:

„Gewiss ist es nicht deshalb dazu gekommen, weil Liebermann nicht als Jude gesehen werden wollte, er war ja im Gegenteil stolz, ein Jude zu sein, wie sich aus überlieferten Zitaten ersehen lässt. Ich denke vielmehr, dass sein Status als Vorstand der Berliner Seccession zu oppositionell war. Die Kommission bestand ja aus Vertretern der akademischen Malerei, die den konservativ eingestellten Kaiser nicht provozieren wollten."

Lesser Ury Moses 1907 Colle

Lesser Ury, Moses besteigt den Berg Sinai, 1907, Öl auf Leinwand, 126x82.5 cm, Sammlung Mauricio und Monique Hatchwell Toledano. Mit freundlicher Genehmigung Tel Aviv Museum.

Was wollten die Ausstellungsmacher zeigen? Josef Israëls Brief auf eine Anfrage nach Mitwirkung bei dieser Ausstellung ist erhalten geblieben, und ihm scheint der Gedanke an eine „jüdische Kunstausstellung" sehr zu widerstreben. So schreibt er am 9. Juli1907:

„Geehrte Herren, Zur Beantwortung Ihrer Anfrage, ob ich in das Comite für jüdische Kunst eintreten will, muss ich Sie aufmerksam machen, dass ich keine jüdische Kunst annehme. Es gibt jüdische Künstler, will sagen Künstler, die von Geburt jüdischer Abkunft sind, aber das ist noch keine jüdische Kunst."

Und tatsächlich lässt sich in der Kunstgeschichte kein „jüdischer" Stil festmachen. Zu allen Zeiten und in allen Ländern haben jüdische Künstler in den Stilrichtungen der Zeit und ihrer Umgebung gearbeitet. Dass man jüdische Themen künstlerisch verarbeiten kann, ist eine andere Sache, aber eine jüdische Ästhetik hat es nie gegeben. Allerdings merkte Israëls an:

„Ich will gerne meine Zustimmung geben, wenn Sie Bilder von mir irgendwo auszustellen beabsichtigen, möchte aber mich nicht mit dieser Sache bemühen."

Und tatsächlich stellten seine Gemälde letztlich in der Ausstellung von 1907 einen wichtigen Anteil. Sein Meisterwerk Mutter und Kind, zeigt eine Bäuerin, die mit ihrem Kind auf dem Arm und einem Korb an der Hand über die Felder geht. Das Motiv, die Darstellung der Bauernwelt, entsprach nun so gar nicht den Klischees über jüdische Lebenswelten. Eine bewusste Wahl des Malers, der sich dezidiert weigerte, seine Arbeiten mit jüdischen Themen für diese Ausstellung bereit zu stellen.

Wo zwei Juden sind, findet man drei Meinungen, besagt ein Sprichwort, und in dieser jüdischen Tradition stehend entschied sich denn auch sein Malerkollege Lesser Ury für die entgegengesetzte Haltung. Er drängt die Mitglieder des Kommittees geradezu, seine Bilder mit biblischen Motiven, wie Moses auf dem Berge Sinai von 1907  auszustellen. Die Kuratorin aus Tel Aviv dekonstruiert das Bild, das Ury in jener Ausstellung von seinem Werk entwarf, indem sie in der israelischen Ausstellung bewusst seine Strassenszenen des urbanen Lebens in Berlin kontrastierend ins Gesamtbild einsetzt.

Die Ausstellung von 1907 zeigt im Gesamtbild eine sehr breite Palette von Kunst jüdischer Künstler, und nicht etwa eine Auswahl nach einer naiven Vorstellung von „jüdischer Kunst", wie Israëls annahm. Trotz des nicht eindeutig belegbaren Ausblendens des deutschen Wegbereiters der Moderne, Max Liebermann, präsentierten die Ausstellungsmacher die Werke der jüdischen Grössen der damaligen Kunstwelt. Ganz im Bemühen der selbstbewussten assimilierten Berliner Juden der Jahrhundertwende war wohl vielmehr darzustellen, welch grossen Anteil jüdische Künstler in der vielfältigen europäischen Kunstlandschaft hatten. Der Anteil der Darstellung von rein jüdischen Themen wie Synagogen und Pogromen wurde bewusst gering gehalten, diese Darstellungen machten nur circa ein Viertel der gezeigten Werke aus. In ihrer Vielfalt und besonders in ihrer Wiedersprüchlichkeit, die sich auch in dem derAusstellung vorangehenden Schriftverkehr mit den einzelnen Künstlern deutlich wiederspiegelt, ist die Ausstellung am Ende dann vielleicht eben doch typisch jüdisch.

Die Ausstellung The Fragmented Mirror - Exhibition Of Jewish Artists, Berlin 1907 ist noch bis zum 10. Oktober 2009 in Tel Aviv zu sehen.

Jozef Israels Mother and Ch

Jozef Israels, Mutter und Kind, undatiert, Öl auf Leinwand, 91x61 cm, Sammlung des Museums Ein Harod. Mit freundlicher Genehmigung Tel Aviv Museum.