Hubertus Fischer/ Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.): Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933. (= CLG Studies 5)
München: Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung 2008.
610 Seiten, Euro 71,90.-
ISBN: 978-3-89975-144-4
Der informative Band geht auf ein Symposium des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibnitz Universität Hannover im Jahr 2006 zurück. Damals fand die Veranstaltung auf dem Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem statt. Die Auseinandersetzung mit dem Tagungsort führte zu fruchtbaren neuen Forschungsansätzen, wenn auch die Frage nach dem „Jüdischen" eines Gartens oder des Gärtnerns ebenso fehl gehen musste wie jene nach einer genuin „jüdischen" Kunst. Jüdische Kultur ist immer vor dem Hintergrund der und in enger Beziehung zur umgebenden Gesellschaft und den daraus resultierenden Lebensbedingungen zu sehen und entsprechenden Einflüssen ausgesetzt. Der Tagungsband spiegelt deutlich, welche zentrale Rolle das Thema Verfolgung gerade für die deutsche Forschung bei der Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte spielt. Vor allem die Zugänge der israelischen und amerikanischen Forscher kontrastierten diesen Aspekt in der Betonung des Überlebens - was war vor der Vertreibung und Vernichtung im Holocaust, und wie ging und geht jüdisches Leben seither weiter?
Gärten, Grünanlagen und Erholungsgebiete wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts für Juden zu verbotenen Orten, in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch schon davor - man denke an den „Bäder-Antisemitismus". Der Impuls zur Fragestellung der Veranstaltung ging auf eine Bemerkung des ehemaligen Leiters der Abteilung Historische Gartenanlagen des österreichischen Bundesdenkmalamtes in Wien, Géza Hajos zurück: „Die präzise und systematische Aufarbeitung der Freiräume des Zwanges - die zwischen 1933 und 1945 für die jüdische Bevölkerung keine ‚freien' Räume mehr waren - ist sehr wichtig, um die heutigen Freiräume der Demokratie besser schätzen und verstehen zu können." (S. 29) Der Eingriff des nationalsozialistischen Staates in jüdisches Privateigentum und Privatleben machte auch vor Gärten und Parks nicht halt. Am Schluss waren jüdische Friedhöfe die einzigen Orte, an denen jüdische Kinder noch spielen durften. Nach erfolgter Deportation wurden selbst die Friedhöfe zerstört. Jede Spur jüdischen Lebens wurde beseitigt, aus dem Gedächtnis der Orte und der Menschen ausradiert. Ein Schwerpunkt des Tagungsbandes beschäftigt sich denn auch mit der Funktion von Grünanlagen im Kontext von Ausgrenzung und Verfolgung, jüdische Friedhöfe als Orte der Verfolgung bilden einen zweiten Schwerpunkt.
Die Hauptleistung des vorliegenden Buches liegt aber im minutiösen Nachzeichnen von Biografien. Einen Kontext zwischen konkreten Lebensgeschichten und der Beschäftigung mit dem Thema Gärten und Grünräume herzustellen, brachte eine Fülle bisher unbeachteter und unbekannter, hochinteressanter Details ans Licht. So wurde dem Aspekt des Gartenbaues im Zusammenhang mit dem Zionismus, und seiner tragenden Rolle bei der Auswanderung nach Palästina (Alija) und dem Aufbau des Staates Israel breite Bedeutung eingeräumt. Vor allem die Biografien der vielen bedeutenden Gartenarchitekten, Gartengestalter und Gartenbauschüler, Theoretiker und Praktiker, die beinahe völlig in Vergessenheit geraten waren, nachzuzeichnen, den Einfluss dieser Persönlichkeiten in Erinnerung zu rufen und deutlich zu machen ist das große Verdienst dieses Bandes. Ein weiterer Schwerpunkt versucht sich der Frage nach der Bedeutung von Gärten und Grünanlagen für jüdische Identitäten anzunähern - eine Frage, deren Beantwortung, der Komplexität der Fragestellung gemäß, subjektiv ausfällt.
Die Israelitische Gartenbauschule Ahlem war eine berufsbildende Schule, 1893 als Israelitische Erziehungsanstalt vom hannoverschen Bankier Alexander Moritz Simon gestiftet. Viele der dort Ausgebildeten trugen später zum Aufbau des Staates Israel bei. 1941 wurde das Schulgelände zu einem Sammellager gemacht, von wo aus die Deportation der jüdischen Bevölkerung Hannovers stattfand, 1943 folgte ein Gestapo-Gefängnis, bis 1945 wurden in der zur Hinrichtungsstätte umfunktionierten ehemaligen Sukka (Laubhütte) der jüdischen Gartenbauschule 86 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ermordet. Nach der Befreiung führten DPs (Überlebende der Lager, offiziell als displaced persons bezeichnet) den landwirtschaftlichen Betrieb der Gartenbauschule weiter und gründeten dort einen Kibbuz, der auf das Arbeitsleben in Palästina bzw. Israel vorbereiten sollte (Hachschara). Im Frühjahr 1947 ging die erste Gruppe auf Alija, die letzte Gruppe verließ am 7. Mai 1948 Ahlem, und der Kibbuz „Zur Befreiung" wurde geschlossen. Marlies Buchholz, Claus Füllberg-Stolberg und Hans-Dieter Schmid zeichnen in ihren Beiträgen die Geschichte des Gartenbau-Instituts minutiös nach. Ruth Enis und Shmuel Burmil rekonstruieren die Geschichte der Schüler von Ahlem und rücken deren Beitrag zur Landschafts- und Raumgestaltung Israels nach 1933 in ein neues Licht. Besonders die detaillierten Plandarstellungen verdienen Beachtung. Ulrich Knufinke widmet sich der Architekturgeschichte jüdischer Friedhöfe im 20. Jahrhundert, während Rüdiger Fleiter die Rolle der lokalen Behörden bei der „Arisierung" und weiteren „Verwertung" der jüdischen Friedhöfe genau beleuchtet. In ihrem profunden Aufsatz über die Gärten von Shave Ziyyon zeichnet Ruth Enis den Einfluss der Yeckes (deutschen Juden) auf die Gestaltung von Gärten in Israel nach und ermöglich damit Einblicke in ein faszinierendes Kapitel israelischer Geschichte: die Verwandlung der Wüste. Elisabeth Meyer-Renschhausen zeichnet das Schicksal von Henny Rosenthal und ihrem Immenhof nach. Die junge Frau aus gutbürgerlichem jüdischen Elternhaus hatte 1913 in Dessow eine Obstplantage angelegt, im Geiste der sozialpädagogischen Reformbewegung der 1920er Jahre, wie sie unter anderem auch von Frauen-Gärtnerinnen-Schulen weitergegeben wurden. In der NS-Zeit wurde der Immenhof enteignet, die Familie schaffte die Flucht nach Palästina. Peter Fibich zeichnet die Biografie eines Lehrers der Gartenbauschule Ahlem, Georg Pniower nach. Ulrike Krippner und Lilli Licka widmen sich Leben und Werk der Gartenarchitektin Anna Plischke (verheiratet mit dem bekannten Architekten Ernst Plischke), die unter anderem den Garten von Adolf Loos' Haus Moller in der Wiener Starkfriedgasse plante. Der Garten der Familie Warburg in Hamburg steht im Zentrum von Joachim Schnitters Beitrag. Nils Franke schildert die Verdrängung jüdischen Lebens aus dem öffentlichen Raum nach 1933 anhand von Schrebergärten und Friedhöfen in Leipzig. Und in einem bemerkenswerten Artikel, der zu Unrecht am Schluss des Bandes versteckt steht, liefert Rainer Schomann einen auch methodisch äußerst bereichernden Diskussionsbeitrag zur Frage des Umganges mit dem Thema jüdische Privatgärten aus der Perspektive der Denkmalpflege, der auf die persönlichen Lebensumstände der jüdischen Eigentümer-Familien eingeht und sie in die umgebende Gesellschaft einbettet. Das Impulsreferat der Tagung ist als Beitrag der beiden Herausgeber, Places of Refuge, Places of Persecution: Gardens and Parks During the Nazi Era A Neglected Area of Research abgedruckt und gibt einen differenzierten Überblick über Forschungsbereiche und Fragestellungen. Insgesamt bietet der Tagungsband eine ausgezeichnete Einführung in die vielfältigen Perspektiven eines viel zu lange vernachlässigten Themas.