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Die zweite Generation der Holocaust-Überlebenden

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 Cecile Wajsbrot: Aus der Nacht. Roman.

München: Liebeskind 2008.

219 Seiten, Euro 19,80.-

ISBN 978-3-935890-51-9

Die französische Schriftstellerin Cecile Wajsbrot spürt in diesem Roman der Frage nach, wie die Kinder der Holocaust-Überlebenden ihr Leben bewältigen können, wie sie es schaffen, die Mauer des Schweigens ihrer Eltern zu durchbrechen und einen inneren Kontakt zu schaffen zu dem, was doch auch ihre Geschichte ist. Cecile Wajsbrot schreibt aus einer französischen Perspektive. Ähnlich wie die Autorin selbst, lebt auch die junge Protagonistin des Romans in Paris. Sie hat lange mit ihrem Vater und dessen Schwester gelebt, auch noch dann, als beide im Nebel der Alzheimer-Krankheit verschwanden; eine überzeugende Metapher für das konsequente Vergessenwollen dessen, was geschehen ist. „Sie", wie die beiden immer genannt werden, sind schon vor Beginn des Holocaust aus ihrer polnischen Heimat geflohen und haben sich in Frankreich niedergelassen, „begannen ein normales Leben zu führen und hielten sich für Bürger des Landes, das sie sich ausgesucht hatten. Und dann kamen wir, die Kinder, und trugen von Geburt an ihre Hoffnungen, denn wir sollten vollbringen, was sie nicht mehr hatten tun können, und sie verfielen auf den Gedanken, dass sie unsretwegen fortgegangen seien, da sie wussten, dass die Zeit eines Lebens nicht mehr ausreichen würde, um alles aufzuholen, sie konnten sich niederlassen, aber sie konnten keine Wurzeln fassen, keine neue Heimat finden, das mussten wir, und so tragen wir von Geburt an die Last ihres Lebens, sowohl die ihrer Enttäuschungen wie die ihrer Illusionen, und mussten Wünsche erfüllen, die nicht unsere waren. Aber die Wunde blieb."

Es ist diese schmerzende Wunde, die die junge Frau dazu treibt, nach Osten zu reisen, dorthin nach Polen, von wo ihre Eltern vertrieben worden sind. Schon als sie auf dem Bahnhof steht und auf den verspäteten Nachtzug nach Warschau wartet, gerät sie in einen inneren Dialog mit den elterlichen Stimmen der Vergangenheit. Sie hofft, mit ihrer Reise endlich Licht in die von unendlichem Leid geprägte und später komplett verdrängte Geschichte der Vergangenheit ihrer Familie zu bringen. Und noch bevor sie losgefahren ist, melden sie sich mit ihren Bedenken und Sorgen in ihrem Inneren und tragen, wie schon Jahrzehnte vorher, ihre Ängste und ihre  Rechtfertigungen vor. Dieser innere Dialog ist schmerzhaft und drückt die ganze Problematik der zweiten Generation aus. Im Zug von Berlin nach Warschau trifft die Protagonistin dann auf eine Frau, die nach Auschwitz fährt, weil sie dort wohnt. Cecile Wajsbrot schildert, was diese nach 1945 in Auschwitz geborene Frau erlebt, wie sie ihre Stadt wahrnimmt. Neben den inneren Kämpfen der jungen Frau sind diese Seiten einer Begegnung im Zug mit dem Gespräch über die Folgen der Vernichtung bei der zweiten Generation der Täter, Helfer und schweigenden Zeugen die stärksten des ganzen Buches. Die junge Frau findet den Ort, von dem ihre Vorfahren vor dem Krieg aufgebrochen waren, sie sieht auch den Fluss, indem ihr Onkel ums Leben gekommen ist, und sie besucht den Friedhof des Dorfes, in dem einige jüdische Grabsteine erhalten geblieben sind. Die einzelnen Abschnitte des Romans werden mit Reflexionen über die Schneeeule und ihre Lebenswelt eingeleitet. Gegen Ende formuliert die Autorin, wie um die Schneeeule zu ihrem Vorbild zu erwählen:

„Die Schneeeule flieht vor nichts, denn nichts kommt an sie heran, sie ist das Wesen und die Gegenwart- das Ganze." Ein beeindruckender Roman aus dem zweiten Generation, der zeigt, dass die Vergangenheit nicht abgeschüttelt werden kann, sondern zur permanenten Auseinandersetzung zwingt.