Ausgabe

Der Beginn des 2. Weltkrieges

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Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete.

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2009.

636 Seiten, Euro 24,90.-

ISBN 978-3-498-00661-7

Dieses Buch von Nicholson Baker hat nach seinem Erscheinen in den USA dort eine heftige Diskussion und Entrüstung hervorgerufen. Baker wurde vorgeworfen, sich als Nicht-Historiker an eine Debatte heran gewagt zu haben, die er nicht verstehe, und er sei im Umgang mit den quellen fahrlässig vorgegangen. Der Autor stellt in seinem Buch den common sense der seriösen Geschichtsschreibung in Frage. Diese sagte bis dahin, der Bombenkrieg der Alliierten gegen die deutschen Städte, mit seinen unzähligen, oft unschuldigen Opfern und der massenhaften Zerstörung von Bauten europäischer Kultur (prominentestes Beispiel Liebfrauenkirche Dresden) sei notwendig gewesen, um die Kriegswut Hitlers und seine tatkräftige Unterstützung durch die deutsche Bevölkerung zu brechen.

Das Buch „Menschenrauch" ist kein historisches Sachbuch und auch kein Roman. Es besteht aus einem bunten Mosaik ganz unterschiedlicher Quellen, Zeitungsnotizen und Zeugenberichte, persönlicher Erinnerungen und Briefe. Selten sind die mehr als tausend Texte mehr als eine Seite lang, manche umfassen nur ein paar Zeilen, wie zum Beispiel eine Notiz aus den New York Times 1936, die sehr beeindruckt und nachdenklich macht: „Die US-Regierung veröffentlichte ihre monatliche Statistik von Waffenverkäufen an ausländische Regierungen. Im  Februar war China erneut der größte Waffenkäufer, gefolgt von Chile und Deutschland." Diese und viele andere Notizen zeigen, wie sich die großen Nationen bis an die Zähne bewaffneten, und wie es deshalb nur eine Frage der Zeit sein konnte, wann diese Waffen alle zum Einsatz kommen würden. Wenn der Pazifismus sich hätte durchsetzen können, so Baker, und er war damals eine starke Kraft, hätte vieles verhindert werden können. Doch der Brite Churchill erscheint in diesen Dokumenten als einer, der es gar nicht abwarten konnte, den Befehl zur Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung zu geben, und Roosevelt erscheint als Oberhaupt eines Militärs, das es gar nicht abwarten konnte, das verhasste Japan angreifen zu können. Bei allem, was man Baker vielleicht vorwerfen kann, lässt er nie einen Zweifel daran, dass es Hitler war, der den europäischen Kontinent in den Untergang getrieben hat. Doch seine Collage zeigt, dass es durch ein klügeres Vorgehen der Alliierten vielleicht nicht nur möglich gewesen wäre, den Krieg zu vermeiden, sondern auch, Hunderttausende von Juden retten, vor denen die Alliierten ihre Grenzen schlossen, auch aus einem „Salon-Antisemitismus" heraus, wie Baker das besonders für Roosevelt und Chamberlain nachzuweisen versucht.

Das Buch stimmt nachdenklich, und es wird sicher nicht ohne Wirkung bleiben. Auf die Antworten der traditionellen klassischen Geschichtswissenschaft darf man mit Fug und Recht gespannt sein. Das kann aber aber die Trauer nicht auflösen, mit der einen das Buch zurücklässt. Es hätte anders sein können.