Moyshe Kulbak: MONTAG. Ein kleiner Roman
Edition.fotoTAPETA, Berlin 2017
Aus dem Jiddischen von Sophie Lichtenstein
110 Seiten, Broschür. 12,80 €
ISBN 978-3-940524-61-4
Auf seinem Gemälde „Versöhnungstag“ von 1878 stellt sich der jüdisch-polnische Maler Maurice G-ttlieb gleich dreimal dar – und auf der Thora-Rolle im Vordergrund gibt er ausserdem sein Sterbedatum an.
Ähnlich voraussehend gibt sich Moyshe Kulbak in seinem „kleinen Roman“. Er erzählt darin die Geschichte des bescheidenen Hebräischlehrers Mordkhe Markus. Der lebt still und zurückgezogen in der Stadt „der revolutionären“, wie er im ersten Satz betont, in einem Dachstübchen. Er sitzt dort bis in den Tag hinein über dicken Büchern und denkt in aller Ruhe über den Lauf der Dinge nach. Hin und wieder besucht ihn Fräulein Gnesye, der Mordkhe Markus dann seine tiefsten Gedanken offenbart. Sein Vater, Reb Yude, hat einen kleinen Laden für Gemischtwaren. Gerne sitzt der Vater schlafend vor seinem Laden mitten auf der Veranda. Dass er einen Sohn hat, hat er dabei fast vergessen. Das sind nur einige der Personen, die Kulbak beschreibt – neben den „Armenleuten“, den „Batlonim“ und später den sowjetischen Soldaten.
Die Rote Armee überfällt die Stadt. Vorher kommt Mordkhe Markus aber ins Gefängnis. Warum? Das ist nicht ganz klar. Auf jeden Fall fühlt er sich wohl. Ein paar Wochen später wird er wieder frei gelassen. Am liebsten würde er im Gefängnis bleiben. Das geht aber nicht. Am Ende wird er aus seinem Dachstübchen geholt, angeschossen und liegt im Krankenhaus in einem sauberen Bett mit weiss gestärkter Wäsche. Seine Freunde sind da. Er stirbt, still und leise wie er gelebt hat.
In diesem schmalen Band geht es um nicht weniger als um die grossen Menschheitsfragen: Woher komme ich? Was ist mein Ziel? Wie zeitgemäss ist Religion? Was ist Liebe? Welchen Idealen möchte ich mein Leben widmen? Es geht in dem 1926 auf Jiddisch erschienen Buch auch um die Revolutionen von 1917 und darum, was diese für das jüdische Leben bedeuten.
„Montag. Ein kleiner Roman“ ist ein stilles Buch, das zum Nachdenken anregt.
Moyshe Kulbak schrieb auf Jiddisch und gehörte zu den herausragenden Talenten der jiddischen Poesie in der nachklassischen Zeit. Er war nicht nur ein erfolgreicher Dichter, Schriftsteller und Theaterautor, sondern arbeitete auch als Lehrer und Übersetzer, zeitweilig war er Vorsitzender des PEN-Zentrums für jiddische Literatur.
Er lebte in Berlin, Vilnius und Minsk. Die „Minsker Gruppe“ jiddischer Literaten, der er sich 1928 angeschlossen hatte, wurde ab 1936 im Rahmen stalinistischer Agitation aufgelöst, er selbst 1937 verhaftet.
Moyshe Kulbak wurde laut Angaben seiner Familie am 20. März 1896 im Städtchen Smorgon zwischen Minsk und Vilnius im Russischen Zarenreich im heutigen Weissrussland geboren und am 29. Oktober 1937 zu Minsk hingerichtet, laut anderen Quellen wurde er am 29. Oktober 1937 in einem stalinistischen Schauprozess in Minsk verurteilt und starb 1940 in einem sibirischen Arbeitslager des GULAG.
Miriam Magall s.A.