Ausgabe

Ein Garten der Erinnerung

Ingrid NOWOTNY

Die jüdische Gemeinde Frauenkirchen

 

Inhalt

Frauenkirchen – ein Dorf, nein,  eine kleine Stadt, an der östlichen Grenze unseres Landes, in der Mitte  eine imposante Kirche, eine Ecclesia Triumphans  des Hochbarock, nach der Wende 1989 wieder ein Magnet für Pilgerzüge und Kunstinteressierte, ein kleines wirtschaftliches Zentrum  jenseits des Neusiedler Sees, guter Boden für Weinbau und Gemüse, jung und lebendig durch Schulen und Bildungseinrichtungen,  kurz: ein Ort der Zufriedenheit und des bescheidenen Wohlstands. Zeit, allerhöchste Zeit, zur Rückbesinnung und Mahnung zum Nachdenken darüber, wie und warum alles so geworden ist wie es jetzt ist. Man könnte meinen, die Geschichte sei hier geradlinig verlaufen. Dem ist aber nicht so: Der homogene und dörflich-kleinstädtische Kosmos Frauenkirchens unserer Tage täuscht – 1938 hat hier eine der bedeutendsten jüdischen Gemeinden des Burgenlandes ihr gewaltsames und grausames Ende gefunden. Schnell und radikal wurde ausgelöscht, was zuvor jahrhundertelang ruhig und kontinuierlich wachsen konnte.

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Das Mahnmal „Garten der Erinnerung“. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Verein „Erinnern“.

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Der „Garten der Erinnerung“. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Constanze Kren.

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Die freigelegte Windrose am Eingang des Tempels. Foto: mit freundlicher Genehmigung Verein „Erinnern“.

Im Dezember 2011 fanden sich einige Personen aus dem Umfeld Frauenkirchens zusammen und gründeten mit dem Historiker Herbert Brettl als Spiritus Rector und dem sehr engagierten Architekten Martin Promintzer den Verein „Initiative Erinnern Frauenkirchen“. Noch konnte nicht im Detail abgesehen werden, was diese Initiative „Erinnern“ letztlich erreichen sollte. Eines war jedoch allen klar: Frauenkirchen hatte einst eine blühende jüdische Gemeinde, ihr Leben und ihr Ende sollte nach Jahrzehnten des Schweigens aus dem Vergessen geholt werden. 

Die Rechnung ist aufgegangen: Vergessene jüdische Relikte bekamen als greifbare Zeichen wieder ihren sichtbaren Platz und – was fast noch wichtiger ist – die eigene Geschichte ist der Bevölkerung wieder ins Bewusstsein gedrungen, und zwar in einem Mass, das – ehrlich gesagt – nicht erwartet worden war. Menschen haben Interesse gezeigt, die bisher den Kopf in den Sand gesteckt hatten und vom Schicksal der jüdischen Frauenkirchner nichts wussten oder nichts wissen wollten. Ehrliche Betroffenheit und eine damit einhergehende kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Gemeinde haben jedoch unerwartet so manchen Frauenkirchner bewogen, den Verein ideell und materiell zu unterstützen, selbst wenn bisweilen dunkle Punkte  die eigenen Vorfahren betreffend ans Tageslicht kamen. Das muss man respektieren. Die, die sich nicht der Aufarbeitung gestellt haben, sind zumindest ruhig geblieben. Man mag ihnen Schweigen aus  schlechtem Gewissen zugestehen. Die Ausgangslage war traurig: Das Grundstück, auf dem inmitten des Judenviertels der ehemalige Tempel stand, war als Parkplatz eines Supermarktes zubetoniert (Ironie der Geschichte: Das traurige Ende auch dieses  „Zielpunkt“ ist bekannt!). Bewusst sollte hier – trotz oder wegen der nunmehr befremdlichen Umgebung – ein Mahnmal entstehen. Nichts ist so symbolhaft für den Untergang wie die Banalität des Ambientes – wo einst eine Gemeinde lebte, hässliche, fast heruntergekommene Hinterhofatmosphäre.

 

Die Planungen wurden gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und der Stadtgemeinde Frauenkirchen in Angriff genommen. Martin Promintzer setzte architektonisch den Gedanken um, genau an der Stelle des zerstörten Tempels einen begehbaren Hof zu errichten; Dwora Barzilai erarbeitete das künstlerische Gestaltungskonzept des „Gartens der Erinnerung“. 

 

Juristische Fragen mussten geklärt – so zunächst die Ungenauigkeiten im Grundbuch – und Geld aufgebracht werden. Nach dem Spatenstich 2013 gab man sich der Hoffnung hin, bald eröffnen zu können. Diese Hoffnung wurde bald zerstört, und zwar aus durchaus erfreulichen Gründen: Bei den ersten Erdarbeiten stiess man auf Gebäuderelikte. Archäologen mussten zugezogen werden, was natürlich eine zeitweilige Einstellung der Bauarbeiten und auch zusätzliche Kosten bedeutete. Unter dem Parkplatzbeton wurde das Mosaik der Windrose am Eingang des zerstörten Tempels sichtbar; bald traten auch die Reste des Vorgängerbaus, der alten barocken, durch Brand zerstörten Synagoge zutage. Alles musste entsprechend wissenschaftlich dokumentiert und gesichert werden. 

 

Völlig unverhofft ergab sich eine weitere Verzögerung: In einem Privathaus wurden zwei Säulen des zerstörten Tempels ausgegraben. Sie  sind dem Denkmal eingegliedert, davon eine in zerbrochenem Zustand, symbolhaft als Mahnung. Als letztes Problem erwies sich noch der nachträgliche Fund einer dritten Säule – aber auch diese konnte noch harmonisch in die fast fertige Gedenkstätte eingebaut werden. 

 

Das Mahnmal ist als geschlossener Hof konzipiert. Er soll den Ort und den Raum des zerstörten Tempels physisch ins Bewusstsein bringen; ist man eingetreten, vermitteln die klaren Materialien – Sichtbeton, Stein und Glas – und die einfachen geometrischen Formen Ruhe und fordern auf zum Verweilen, Gedenken und Innehalten. Die Eingangswand aus Beton spiegelt stilistisch die ehemalige Tempelfront wider. Dwora Barzilai hat in das Zentrum der Anlage eindrucksvoll und mächtig eine abstrahierte Thorarolle aus Bronze auf einen kubischen Steinsockel – symbolisierend die Bima – gestellt. In einem Glaskubus befinden sich ein Modell des ehemaligen jüdischen Viertels von Frauenkirchen und die archäologischen Fundgegenstände als Zeugnis der langen Geschichte der Juden in Frauenkirchen. Ein weiteres wichtiges Element des Gedenkparks sind die Tafeln mit den Namen der vertriebenen jüdischen Familien. Der Besucher kann sich in einem digitalen Informationssystem in vier Sprachen über die Geschichte der Juden in Frauenkirchen informieren. Eine Sitzgelegenheit soll die Betrachter zum längeren Aufenthalt einladen. Der „Garten der Erinnerung“ will sowohl informieren und erinnern als auch zum Gedenken und Verweilen anregen. 2016 konnte die Gedenkstätte fertiggestellt und mit einem eindrucksvollen Festakt eröffnet werden. 

 

Historische Entwicklung 

Es ist hier nicht der Ort, weit in die Geschichte des Judentums in Österreich, auch nicht in der Region des ehemals westungarischen Burgenlandes, einzugehen – so aufschlussreich und interessant es auch wäre. Nur so viel: Die Anwesenheit von Juden zur Zeit der Römer im pannonischen Raum kann als gesichert angenommen werden. An einigen Orten wurden sogar Reste von jüdischen Tempeln gefunden. Ein ganz besonderer, für das westliche Pannonien einmaliger Fund soll dennoch erwähnt werden: 2006 wurde nahe Halbturn, der Nachbargemeinde von Frauenkirchen, auf einem antiken Gräberfeld in einem Kindergrab ein Halskettchen mit einer Silberkapsel entdeckt. Sie enthielt ein Goldblech mit einer Inschrift in griechischen Buchstaben in hebräischer Sprache: „Höre, Israel, der Herr ist unser G-tt, der Herr ist einer“. Diese Inschrift  ist ein starkes Indiz für die Anwesenheit von Juden in Pannonien; ob es sich dabei um ganze Gemeinden, oder nur  Einzelpersonen oder  einzelne Familien, das sei dahingestellt. 

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Kaiser Leopold I. und Infantin Margarita Teresa, seine nachmalige Gattin. Alle Rechte: Kunsthistorisches Museum Wien, mit freundlicher Genehmigung.

 

Für das Mittelalter weist eine Reihe von Urkunden auf die Anwesenheit von Juden im Donauraum hin. Für Westungarn soll hier exemplarisch nur eine Urkunde mit typischem Inhalt angeführt werden: 1232 bestätigt König Andreas II. von Ungarn den Verkauf des Dorfes Pöttsching um 500 Mark Silber durch seinen Kammergrafen, den Juden Thehanus, an den Grafen Symon von Mattersdorf. Den Beginn einer nennenswerten dauerhaften jüdischen Besiedlung des nördlichen Burgenlandes darf man mit einiger Sicherheit im 14. Jahrhundert annehmen.  Nach 1349 wurden die Juden in Wien für die Pest verantwortlich gemacht und ausgewiesen; in dieser Zeit ist eine Welle des Zuzugs im pannonischen Gebiet nachweisbar. 1373 wurden in Eisenstadt Juden urkundlich erwähnt. 

1420/21 trieb  eine brutale Vertreibungs- und Verhaftungswelle – als Wiener Geserah bezeichnet – die Juden wegen einer vorgeblichen Kollaboration mit den Hussiten unter Herzog Albrecht V. nach Ungarn. 1500 folgte unter Kaiser Maximilian I. eine Vertreibung aus der Steiermark. Im 16. Jahrhundert bestanden bereits die jüdischen Gemeinden von Lackenbach, Kobersdorf und Mattersdorf, denen man mangels Quellen keine genauen Gründungsdaten zuordnen kann. Im 17. Jahrhundert kamen dann Deutschkreutz, wahrscheinlich 1648 Kittsee und 1678 eben Frauenkirchen dazu. Alle erwähnten Ortschaften gehörten zum Besitz der Forchtensteiner Linie der Familie Esterházy, bzw. wurden irgendwann von ihr erworben. 

Für das Burgenland am bedeutendsten war der Zuzug 1670 aus der Wiener Leopoldstadt, 1671 aus den übrigen Ländern Österreichs. Kaiser Leopold I. und seine fromme spanisch-habsburgische Ehegattin Margarita Teresa vertrieben mit Unterstützung des Bischofs Leopold Graf Kollonitz die jüdischen Gemeinden aus Wien und Niederösterreich 1670 gewaltsam. Margarita Teresa ist übrigens die unschuldig blickende blonde kleine Infantin im blauen Kleid auf dem uns allen bekannten Velasquez-Gemälde im Kunsthistorischen Museum Wien.

Ein Teil der unter Kaiser Leopold I. Vertriebenen ging nach Brandenburg. Berlin verdankte seinen wirtschaftlichen und intellektuellen Aufstieg auch dem Zuzug aus Wien, es sei nur an die wichtigen Familien Mendelssohn, Arnstein, Meyerbeer, etc. erinnert. Ein grösserer Teil ging nach Mähren, ein weiterer Teil wurde von den ungarischen Adeligen und Grundherren aufgenommen – nicht ganz  uneigennützig, waren sie doch für die Wiederbesiedlung und die wirtschaftliche Belebung des durch die Türken verwüsteten Landes sehr willkommen und nützlich. 

 

Sieben Gemeinden

Bedeutendes jüdisches Leben entwickelte sich im Burgenland mit der Gründung der Sieben Gemeinden (hebräisch Scheva Kehillot). Während die Juden in Österreich immer wieder Neid, Missgunst sowie empfindlichen Schikanen und Vertreibungen ausgesetzt waren, waren die politischen Rahmenbedingungen in Westungarn toleranter. Über drei Jahrhunderte konnten etwa 3.000 Juden  in den Gemeinden Eisenstadt,  Mattersburg, Kittsee, Frauenkirchen, Kobersdorf, Lackenbach und Deutschkreuz mehr oder weniger ungestört, allerdings mit minderen Rechten, leben. Als weitere, später entstandene Gemeinden, sind im Norden noch Neufeld und Gattendorf sowie im Süden unter den Batthyanys Schlaining, Rechnitz und Güssing zu nennen. Die Sieben Gemeinden entstanden unter dem „Schutz“ der Grundherren, insbesondere der Esterházy, und konnten eine tragfähige jüdische Verwaltung und Gemeindeorganisation mit religiösen Einrichtungen (Synagogen und Friedhöfe), mit eigenen Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Bildungswesen, Gesundheitswesen, (jüdische Ärzte und Hebammen), Lebensmittelversorgung (Schächter), Armenwesen etc. aufbauen. Auch die Niedere Gerichtsbarkeit wurde den jüdischen Gemeinden übertragen. Unter diesen günstigen Rahmenbedingungen entwickelte sich ein ungestörtes jüdisches Kommunal-, Wirtschafts- und Geistesleben. 

In Eisenstadt erwarb sich Samson Wertheimer besondere Verdienste. Die Gemeinde wählte ihn 1693 zum Rabbiner; das Hauptgewicht seines Wirkens legte er jedoch auf seine umfangreichen Handels- und Finanzgeschäfte, von denen im Übrigen auch Kaiser Leopold I. als Kreditnehmer profitierte. Einen bedeutenden Schritt zur Förderung der jüdischen Gemeinden setzte Kaiser Josef II. durch das Toleranzpatent im Jahr 1782, in Ungarn in Kraft getreten 1783. Es verlieh Juden eine Reihe von Rechten, die ihnen die Gewerbeausübung gestatteten und sonstige wichtige Grundlagen für wirtschaftliche Tätigkeiten eröffneten, das volle Bürgerrecht blieb ihnen jedoch weiterhin versagt, so insbesondere die volle Bewegungsfreiheit ausserhalb  der Ghettos.

Erst die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte bedeutende Fortschritte zur Gleichstellung und zur Emanzipierung der Juden in Ungarn, wenngleich mit herben Rückschlägen. Ihre Loyalität zu den Ungarn in der Revolution 1848 bestrafte Habsburg nach der Niederschlagung mit der Einhebung einer hohen finanziellen Kollektivzahlung. Die endgültige Gleichstellung war jedoch nicht aufzuhalten: Sie wurde ihnen nach dem Ausgleich 1867 gewährt. Sie wurden normale Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten und waren ein wichtiger Faktor für den wirtschaftlichen Ausschwung Westungarns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie blieben allerdings von der Magyarisierungspolitik nicht unberührt. So musste auch in den jüdischen Gemeinden der Grundschulunterricht in ungarischer Spreche erfolgen. Hinsichtlich der Religionsausübung waren die Juden Ungarns in Orthodoxe und ungarnfreundliche Liberale gespalten. Die Sieben Gemeinden in Westungarn blieben dem orthodoxen Judentum, so insbesondere auch die Frauenkirchner Gemeinde, verpflichtet. Im Ersten Weltkrieg wurden Juden wie alle anderen Bürger auch zum Kriegsdienst mit allen Konsequenzen eingezogen. Zahlreiche Gemeindemitglieder sind gefallen. 

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Wallfahrtskirche. Foto: Franz Stadlmann, mit freundlicher Genehmigung.

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Moses Krausz und seine Söhne Alexander, Ernst und Markus. Familiennachlass Krausz, Wien. Mit freundlicher Genehmigung Verein „Erinnern“.

 

Die jüdische Gemeinde Frauenkirchen

Die jüdische Gemeinde in Frauenkirchen zählte nicht zu den ältesten. So wie der Ort selbst erst nach der Verwüstung durch die Türkenkriege wieder entstand, geht auch die Gründung der jüdischen Gemeinde auf das Ende des 17. Jahrhunderts zurück.  1678 ist die Anwesenheit von aus Wien vertriebenen Juden in Mönchhof, der Nachbargemeinde von Frauenkirchen, dokumentiert. Eine eigenartige Geschichte: Der zum Besitz des Stiftes Heiligenkreuz gehörende Königshof zu Mönchhof wird in diesem Jahr von einer Übermacht von Husaren überfallen und geplündert. Juden und Christen werden gleichermassen empfindlich geschädigt. Gleich werden die  Schuldigen gefunden: die Juden; der Abt von Heiligenkreuz verfügt „zur Abwendung von Ungemach“ deren „Abschaffung“ –  ihre ungesetzliche Anwesenheit war es wohl, die den Zorn der Husaren erregt hatte. Ein klassischer Fall, wie das Opfer zum Täter gemacht wird.  Paul I. Esterházy (1635 – 1713, Chef des Hauses seit 1652, 1687 gefürstet) erkannte die Chance und ruft die jüdische Gemeinde nach Frauenkirchen. Sehr zum Nachteil von Mönchhof: Es blieb in den folgenden Jahrhunderten ein agrarisches Dorf, während sich Frauenkirchen zu einem wohlhabenden wirtschaftlichen Mittelpunkt entwickelte. Sehr schnell wies Paul Esterházy den Juden eine vorläufige Siedlungsstätte ausserhalb des Ortes auf der „Judenhöhe“ zwischen Frauenkirchen und St. Andrä zu. Wenig später konnten sie sich im Ort ansiedeln und sich eine gute Grundlage für ihren Erwerb und ihre Geschäfte schaffen. Jetzt ging die Rechnung des Paul Esterházy auf: Die halbjährliche Schutzsteuer begann reichlich zu fliessen. 

 

Frauenkirchen als wirtschaftliches Zentrum 

Zum Ort Frauenkirchen: Schon vor der Wiederrichtung der barocken Basilika war Frauenkirchen als vielbesuchter Wallfahrtsort ein kleines geistiges und religiöses Zentrum der Region; die Türkenkriege 1529 und 1683 bereiteten dem ein Ende. 1622 waren die Esterházys in den Besitz der Grundherrschaft gelangt.  Paul Esterházy, dem die Treue zu Habsburg zu Macht und Reichtum verholfen hat, sah nach der Zerstörung seine grosse Chance in der Besiedlung und im Wiederaufbau der „öden und menschenleeren Ortschaft“. Im Brandschutt der früheren Kirche wurde unversehrt eine Marienstatue gefunden. Paul Esterházy gelobte, ihr zu Ehren einen Wallfahrtsort zu errichten. War diese Rechtfertigung auch eine spirituelle und religiöse, so ist die wirtschaftliche Absicht leicht zu erkennen: Wallfahrt ist auch ein gutes Geschäft; wo Menschen aus welchem Grund auch immer zusammenkommen, ist die Entwicklung eines Marktes die logische Folge. 1670 wurden auch die Franziskaner nach Frauenkirchen berufen, für den Betrieb eines Wallfahrtsortes wohl unerlässlich. Ein Meierhof wurde errichtet, 1680 ebenso ein „herrschaftliches Wirts- und Preyhaus“– im Übrigen heute noch ein als „Altes Brauhaus“ bekannter und beliebter Gastronomiebetrieb.  1700 wurde für die Esterházyschen Gebiete östlich des Neusiedlersees eine eigene Grundherrschaft mit Frauenkirchen gegründet. Sie entwickelte sich zum administrativen und kommerziellen Mittelpunkt des „Heidebodens“, der seine Bedeutung bis in das slowakische und westungarische Gebiet hinein ausweitete. An dieser Prosperität hatte die jüdische Gemeinde einen wesentlichen Anteil.

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Der jüdische Friedhof heute. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Constanze Kren.

 

Wenngleich Juden und Christen in Frauenkirchen weniger miteinander als friedlich nebeneinander lebten, so hatte  das Zusammenwirken von Juden und Christen für Frauenkirchen als Wallfahrtort und Marktgemeinde geradezu symbiotische Bedeutung. Der Wallfahrtsort ist immer auch sozialer und wirtschaftlicher Mittelpunkt. Das Geschäft mit Andenken blühte, aber nicht nur das: Der Wallahrtsort  ist Umschlagplatz für Informationen, er ist Mittelpunkt eines ökonomischen Netzwerkes. So gibt es unzählige in Familien tradierte Geschichten: Bei der Wallfahrt am Sonntag wurde im jüdischen Geschäft Stoff für das neue Kleid für den Kirtag oder bei Otto Stern ein neuer Küchenherd bestellt. Auch die Lieferung der gesamten Ernte an die jüdischen Agrarhändler wurde bei der Wallfahrt besprochen. Die jüdischen Händler kamen so in Kontakt mit ihren Kunden, die sie zum geeigneten Zeitpunkt in ihren Orten bis hinein nach Ungarn und in die Slowakei aufsuchten. 

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Zerstörung des Tempels 1938. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Verein „Erinnern“

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Gewaltsame Abtragung von Judenhäusern. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Verein „Erinnern“.

 

Siedlung

Den Juden wurde zur  dauerhaften Siedlung das Gebiet nahe dem herrschaftlich-esterházyschen Meierhof zugewiesen.  Bald nach dieser endgültigen Niederlassung wurden bescheidene Häuser mit einfacher Ausstattung gebaut. Im Jahr 1712 befanden sich in Frauenkirchen 16 Häuser in jüdischem Eigentum. Das Judenviertel bestand noch zum Ende in diesen zugewiesenen Grenzen. Das Viertel wurde am Schabbat mit Schranken abgesperrt, nicht ohne dass die Herrschaft für dieses „Recht“ einen „Schrankenbaumzins“ einhob. Mit Ausweitung der wirtschaftlichen Tätigkeit wurden insbesondere Geschäftshäuser von Juden auch ausserhalb des Judenviertels, so z.B. auf der Hauptstrasse und der damals so benannten Apetlonerstrasse errichtet.

Das religiöse Leben – der Tempel

Der Esterházysche Schutzbrief gewährte den Juden in Frauenkirchen – natürlich gegen Schutzgebühr –  vor allem das Recht, eine eigene Gemeinde mit Rabbinat und Schule zu errichten. In den Anfängen wurde in Esterházyschen Räumen ein Zimmer als Gebetsraum gemietet; 1740 konnte die erste Synagoge errichtet werden. Brände setzten dem Bau arg zu; auch wuchs die Gemeinde stetig an, sodass Mitte des 19. Jahrhunderts ein Neubau dringend notwendig wurde. Nach dem Vorbild der Eisenstädter Synagoge entstand mitten im Judenviertel ein Tempel im klassizistischen Biedermeierstil. Das Erscheinungsbild war elegant-bescheiden und funktional, zeugte aber doch von einem gewissen Selbstbewusstsein der jüdischen Gemeinde. Leider sind kaum Quellen der Entstehungs- und Baugeschichte vorhanden. Der Tempel dürfte aber in der ursprünglichen Form bis zu seiner Zerstörung 1938 erhalten geblieben sein. So haben wir keine Bilddokumente, welche das Innere des Tempels zeigen. Überliefert ist lediglich die wenig begeisterte Beschreibung eines Redakteurs der Zeitung „Wiener Morgenblatt“ der neuen elektrischen Beleuchtung aus dem Jahr 1927 und der ungelenken Malermeisterkünste im Inneren des Tempels.

 

Direkt vor dem Tempel stand die Mikwe, das rituelle Reinigungsbad. Durch die hygienischen Anforderungen musste die alte, mit dem Tempel errichtete Mikwe im 20. Jahrhundert durch ein neues Bad ersetzt werden. Interessant ist, dass es für die Mikwe einen Pachtvertrag gab. Der Pächter konnte Benutzungsgebühr verlangen und bekam Trinkgeld, wovon wieder die Pacht, die Reinigung und der Rauchfangkehrer bezahlt wurden.

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Die Synagoge im Vergleich zum Ortsbild, würde sie heute noch stehen. Abbildungen und virtuelle Rekonstruktion: B. Schwab, mit freundlicher Genehmigung.

 

Wirtschaftsleben

Quellen aus dem 18. Jahrhunderts weisen die Frauenkirchner Juden eher als bescheidene Wanderhändler, Hausierer, Viehhändler, Fellhändler, Flickschneider,  Gelegenheitsarbeiter und auch als Bettler etc., aus. Zunächst brachten es nur drei Familien mit einem Geschäft zu gewissem Wohlstand. Erst die Toleranzgesetzgebung ermöglichte den Aufstieg in Handwerk und Handel mit verschiedensten Waren, einschliesslich landwirtschaftlicher Produkte.  Im 19. Jahrhundert schlug für die jüdische Gemeinde – wie für alle anderen Wirtschaftstreibenden auch – die Stunde: War die Revolution 1848 auch gescheitert, so befreiten  Liberalismus und die technische Revolution  von Grundherrschaft und engem Zunftkorsett. Das feudale System und damit die „Schutzbriefe“ verloren nach und nach ihre Bedeutung. Das Staatsgrundgesetz 1867 zwang der Feudalherrschaft tiefgreifende Konzessionen ab, die die freie Wirtschaft begünstigten und damit den Juden Zugang zu Handel, Gewerbe und Geldwirtschaft eröffneten. Die Beseitigung von feudalen Hoheitsrechten und Monopolen sowie die Liberalisierung der Gewerbeordnung waren hier ein wichtiger Schritt. Ebenso legte der  Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn 1867  den Grundstein für die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Juden. Im Vorfeld hatte sich schon einiges getan: Begünstigt durch die Gewährung eines Wohnrechts für Juden in Frauenkirchen, unabhängig von einem Schutzstatus, stieg die Bevölkerungszahl ab 1850  auf rund 500. Ihren zahlenmässigen Höhepunkt erreichte die jüdische Gemeinde 1876 mit 864 Juden. Danach sank die Zahl kontinuierlich. 1900 lebten 480 und 1934 nur mehr 386 Juden in Frauenkirchen. Das 1852 in Frauenkirchen errichtete Postamt wurde bis 1888 von der jüdischen Postmeisterfamilie Kalisch geleitet. Bis zum Ersten Weltkrieg und auch die kurzen Jahre danach – bis die Weltwirtschaftskrise zuschlug – stieg Frauenkirchen zum wirtschaftlichen Mittelpunkt des gesamten Umlandes auf. Die wirtschaftliche Prosperität ist zu einem beträchtlichen Teil der jüdischen Bevölkerung zu verdanken. Jüdische Handwerker versorgten die Bevölkerung des gesamten Gebietes bis weit nach Ungarn hinein als Schuhmacher, Schneider, Uhrmacher, Spengler , Herderzeuger, Bäcker , Müller und später Elektrotechniker mit ihren Waren und Dienstleistungen. Die Firma Josef Schulzer betrieb ab 1855 eine bedeutende Essigerzeugung und Samuel Schwarz  eine Kaffeerösterei mit Zuckerwarenerzeugung. Später eröffnete Jakob Krausz eine Buchdruckerei. Der Textil- und Schnittwarenhandel lag fast ausschliesslich in den Händen von Juden (Familien Braun, Fried, Hirschler, Kohn, Popper, Gerstl, Neustadt, Österreicher), wohl noch die Nachwirkung des seinerzeit von den Esterházys verliehenen Monopols, ebenso der Handel mit Brenn- und Baumaterialien (Familie Neufeld),  mit Agrarprodukten und Vieh (Familie Politzer) oder  mit Lederwaren (Emanuel und Samuel Löwin). Josef Mandel führte eine Schuherzeugung und –handlung, die Familie Rechnitzer einen Eisenhandel und die Familien Schey, Lunzer, Rechnitzer, Reininger, Steiner und Unger  betrieben einen  Gemischtwarenhandel. Auch der übrige Handel und sogar die Stromversorgung wurde von Juden beherrscht, wenngleich in guter Konkurrenz mit den christlichen Geschäften. 

 

Auch die freien Berufe wurden vorwiegend von Juden ausgeübt: Ärzte, Zahnärzte,  Apotheker und zeitweilig auch ein Rechtsanwalt liessen sich erfolgreich in Frauenkirchen nieder. Besonders hervorzuheben  ist Dr. Johann György, der sich grosse Verdienste um die Bekämpfung von Typhus im Ersten Weltkrieg erwarb und der für seine soziale Einstellung höchstes Ansehen, ja auch Verehrung durch die christliche Gemeinde genoss.  Aus Frauenkirchen gebürtig war Dr. Béla Österreicher, der an der Seite von Theodor Herzl als Sekretär beim Zionistischen Weltkongress eine bedeutende Rolle spielte. Der wirtschaftliche Aufschwung im Zuge der Liberalisierung legte auch den Grundstein für ein florierendes Geldwesen: Um 1900 wurde auf Initiative der jüdischen Geschäftsleute die Frauenkirchner Sparkasse gegründet. Mit den Einlagen wurden Kredite finanziert, die zu einem Investitionsschub und damit zu einem spürbaren regionalen Konjunkturaufschwung führten. Sowohl Handel und Gewerbe als auch die Landwirtschaft profitierten davon.

 

Wir hätten ein falsches Bild von den Juden in Frauenkirchen, würden wir nur die wohlhabenden Handels- und Gewerbetreibenden im Auge haben. Dem Reichtum stand die Armut jüdischer Familien gegenüber. Sie mussten sich mit Hausierhandel, Altwaren- oder Fellhandel sowie als Hilfs- und Gelegenheitsarbeiter ihren kargen Lebensunterhalt beschaffen, meist auch mit Unterstützung sozialer Einrichtungen. Ihre  Lebensumstände  waren dementsprechend schlecht, insbesondere hinsichtlich ihrer Wohnverhältnisse als Mieter völlig unzulänglicher Räume.  Die schlechten hygienischen Verhältnisse ihrer Behausungen gaben der NS-Herrschaft einen guten Vorwand für gewaltsame Abtragungen und Zerstörungen.

 

Schulwesen

So wie das christliche Schulwesen konfessionell gebunden war, lag auch die Verantwortung für die Bildung bei der Israelitischen Kultusgemeinde. Bildung bedeutet hier nur die zunächst sechs-, später achtklassige Volksschule, denn in Frauenkirchen wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine Hauptschule eingerichtet. Die nächste war in Neusiedl am See. Für die höhere Bildung kamen nur auswärtige Internate in Betracht. Manche jüdische Familien ermöglichten, soweit es die finanzielle Situation erlaubte, ihren Söhnen – Mädchen waren weitgehend ausgeschlossen – den Besuch des Gymnasiums in Eisenstadt oder in Wien oder der Hauptschule in Neusiedl am See. Auch christlich-konfessionelle Internate waren hier beliebt. 

Die jüdische Gemeinde in Frauenkirchen führte somit eine eigene Schule, mit dem Schwerpunkt des traditionell religiös orthodoxen Unterrichts. Selbstverständlich bekam jedes jüdische Kind Schulunterricht; mittellose Familien waren vom Schulgeld befreit. Die Schule wurde zweiklassig von jüdischen Lehrern geführt. Nach der Angliederung an Österreich 1921 wurde die Frage der Unterstützung durch die öffentliche Hand virulent, da die Gemeinde mit den Kosten überfordert war. Es wurde hier eine Unterstützung erreicht, allerdings um den Preis einer strengeren öffentlichen Kontrolle.

Fleischerei, Bäckerei, Weinschank

Die Speisevorschriften wurden von der orthodoxen Gemeinde streng befolgt: So war die Verantwortung für die Kontrolle und Verpachtung einer eigenen koscheren Fleischbank zentrale Aufgabe des Gemeindevorstandes. Die Fleischbank mit Verkaufslokal und Eisgrube blieb im Eigentum der Gemeinde, der Pächter hatte den Pachtzins abzuliefern; dafür war er verpflichtet, sich den Anordnungen des Rabbiners zu fügen und stets ausreichend koscheres Fleisch bereitzuhalten. Er hatte quasi ein Monopol auf den Fleischverkauf. Seine Stelle musste ausgeschrieben werden. Der Pachtvertrag mit Moritz Weisz aus dem Jahr 1896 ist überliefert, ebenso Unterlagen über Streitigkeiten der mit Eisenstädter Gemeinde darüber, was noch als koscher gilt. Zur Versorgung mit koscheren Backwaren, insbesondere mit Mazzot zu Pessach, errichtete und verpachtete die Gemeinde ein rituelles Backhaus. Auch hier standen Backstube, Backgeräte und Verkaufsraum unter der Aufsicht des Rabbiners. Theodor und Anna Weisz betrieben ein koscheres Kaffeerestaurant, Judencafé genannt, mit streng ritueller Küche.  Zeitweise wurde auch eine jüdische Weinschank betreiben. 

Der Friedhof

Ausserhalb des Ortes neben der Strasse nach St. Andrä befindet sich noch heute der jüdische Friedhof – symbolhaft für die versunkene Welt. Ein letztes Zeichen der einst lebendigen jüdischen Gemeinde. Im Laufe der Zeit überwuchert, ist er fast unberührt erhalten, wenngleich auch für ihn nach 1938 unsinnige Planungen eine Verbauung vorsahen. Vielleicht hat die Angst vor den Toten auch vor der ärgsten Wut der Plünderer Halt gemacht. Auf rund 3.000 m² finden wir 1.320 Gräber, die meisten in hebräischer Schrift oder in ungarischer Sprache beschriftet. Da es für die wachsende Gemeinde keine Möglichkeit der Erweiterung gab, wurde der älteste Teil immer wieder aufgeschüttet und ist so zu einem kleinen Hügel angewachsen. Nach dem Ende der jüdischen Gemeinde wurde als letztes ein Kind begraben, welches auf der Flucht aus Ungarn 1956 verstorben war.    

 

Das Ende der jüdischen Gemeinde in Frauenkirchen

Auch die jüdische Gemeinde Frauenkirchens blieb im 19. Jahrhundert vom aufkommenden Antisemitismus nicht verschont. War er zuvor noch religiös motiviert, so rückten nunmehr „modernere“, „wissenschaftliche“ und säkulare Elemente in den Vordergrund: Der „Arier“ wurde erfunden und mit „wissenschaftlicher Begründung“ über den „Semiten“ gestellt.  Die Konsequenzen sind bekannt. Wenngleich man nicht gemeinsam in die Schule ging, wenig soziale Kontakte pflegte und schon gar nicht Ehen untereinander einging, so mag man doch glauben, dass das Zusammenleben von Juden und Christen in Frauenkirchen im 19. Jahrhundert und auch noch nach dem Ersten Weltkrieg ein gedeihliches und friedliches war.  

Stellvertretend sei hier der Zahnarzt Dr. Aron Weisz zitiert:

„In Frauenkirchen gab es keinen Antisemitismus wie in Wien. Man war wirtschaftlich verbunden. Die Juden waren durch die Sitten etwas abgesondert, es waren orthodoxe Juden. Ich hatte gute Beziehungen gehabt und ich war beliebt. Eine grosse NS-Einstellung gab es zuvor nur vereinzelt bei einer kleinen Minderheit, eher Jugendliche. Nur drei oder vier dieser Nazis sind nach Deutschland ausgewandert.“  

 

Verdrängung? Allein, die folgenden Ereignisse sprechen gegen eine friedliche Grundstimmung: Nach der NS-Machtübernahme in Deutschland formierten sich auch in Frauenkirchen die illegalen Nazis. Die ständestaatliche Gemeindeverwaltung Frauenkirchens und  die jüdische Gemeinde wollten die Gefahr nicht wahrhaben, obwohl es schon öffentliche Nazikundgebungen und SA-Aufmärsche  gab und Dr. Tobias Portschy, der nachmalige Gauleiter und vorauseilend gehorsame Judenverfolger, schon aktiv war. Die Frauenkirchner Gemeinde musste den Rassenantisemitismus besonders radikal, gewalttätig und grausam erfahren. Am 11. März 1938 begann alles plötzlich und mit voller Wucht: Noch in der Nacht auf den 12. März übernahmen die NS-Funktionäre die örtlichen Gemeindeämter und begannen mit den Verfolgungen, Einschüchterungen und Übergriffen auf Parteigegner und Juden. Hakenkreuze wurden geschmiert, Auslagenscheiben zertrümmert und Geschäfte geplündert. Im Esterházy-Meierhof wurde ein Internierungslager eingerichtet, für Juden, aber auch für politische Gegner. 80 Familien, rund 350 Personen, Männer, Frauen und Kinder wurden eingepfercht, beraubt und geschlagen. In den nächsten Tagen herrschten Terror, Hass, Einschüchterung und Diebstahl, jüdische Geschäfte wurden boykottiert. In der Folge wurde der wilden Plünderung Einhalt geboten und der Raub durch Registrierungen, Konfiszierungen und Beschlagnahmungen, in die – zynisch gesagt – „geordneteren“  Bahnen der systematischen Arisierung gelenkt. Der Gemeindearzt Dr. Aaron Weisz wurde von der NS-Leitung aufgefordert, die jüdische Gemeinde zu führen und für deren Auswanderung Sorge zu tragen. Am 28. März 1938 ordnete die Bezirkshauptmannschaft an, alle Juden zu registrieren und ihnen eine Vermögensverzichtserklärung abzuverlangen, unter dem Vorwand die Auswanderung zu finanzieren. Die Verhöre waren skrupellos und blutig.

Erste Vertreibungen

Bereits am 26. März verhaftete die GESTAPO zehn Familien und trieb sie in das Niemandsland im tschechisch-ungarischen Grenzgebiet. Ende April erhielten weitere 60 Familien die Aufforderung, das Deutsche Reich innerhalb von 14 Tagen zu verlassen; bis Ende Juni wurden den letzten noch verbliebenen Juden die Ausweisungsbefehle zugestellt. Am 13. August meldete die Gendarmerie der Bezirkshauptmannschaft, dass Frauenkirchen „judenfrei“ sei. So wurde in nur vier Monaten die jüdische Gemeinde, die 260 Jahre in Frauenkirchen  existiert und zum wirtschaftlichen Wohlstand beigetragen hatte, ausgelöscht.

Ein Teil der Juden konnte sich vorerst nach Ungarn retten, bevor auch dort  Deportationen und Ermordungen einsetzten; der grösste Teil fand unter schrecklichen Lebensbedingungen Unterschlupf in Wien. Insgesamt haben sich im September 1938 in Wien 1.743 Juden aus dem Burgenland aufgehalten. 142 der 386 Juden aus Frauenkirchen gelang es, aus dem Deutschen Reich zu fliehen und so den Holocaust zu überleben. 97 gelangten nach Palästina, 35 Personen in die USA, vier nach Belgien, einzelne nach China, Australien und Portugal.

Alle anderen wurden Opfer des Holocaust.

Nur einer kehrte zurück: Paul Rosenfeld.

(Seine eindrucksvolle und berührende Geschichte lesen wir bei Barbara Coudenhove-Kalergi, Ein Lesebuch über Juden im Burgenland, Eisenstadt 1997).

 

Quellen:

Herbert Brettl, Die jüdische Gemeinde Frauenkirchen, 3. Auflage, Oberwart 2016

Benjamin Schwab, Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Frauenkirchen, Diplomarbeit TU Wien, Architektur und Raumplanung, Wien 2017

Klaus Derks, Kattondorff. Die vergessene Judengemeinde von Gattendorf, in: Gattendorfer Rückblicke Band 6, Gattendorf 2010

Reiss Johannes (Hg.): Aus den Sieben-Gemeinden. Ein Lesebuch über Juden im Burgenland, Eisenstadt 1997

Burgenländische Forschungsgesellschaft (Hg.) Jüdische Kulturwege im Burgenland Rundgänge durch die „Sieben Gemeinden“ (Scheva Kehillot) und die Gemeinden des Südburgenlandes, 2016

Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934 bis 1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 2. Auflage