Ausgabe

Ein schwieriges Verhältnis

Thomas Soxberger

Zur Ausstellung „Genosse.Jude“ im Jüdischen Museum Wien

 

Inhalt

Darf es eine Ausstellung wie „Genosse.Jude“ des Jüdischen Museums Wien (JMW) überhaupt geben? 

 

Geht es nach manchen, dann nein. Für sie beruht die Ausstellung, die Gabriele Kohlbauer-Fritz und Sabine Bergler gestaltet haben, auf einer grundlegend falschen Prämisse. Schlimmer noch, so meinte gar ein erboster älterer Herr in einer Diskussionssendung auf Ö1: Hier werde einem alten antisemitischen Klischee vom „jüdischen Kommunismus“ Vorschub geleistet. Kommunistinnen und Kommunisten jüdischer Abstammung besonders hervorzuheben, wäre anstössig. Wer würde daran denken, eine Ausstellung über katholische oder russisch-orthodoxe Kommunisten zu gestalten? Wer sich der kommunistischen Bewegung anschloss, war aus der jüdischen Religion ausgetreten und hatte das Judentum hinter sich gelassen. 

 

Das klingt schlüssig, aber es gibt ein kleines Problem: Es ignoriert historische Fakten. Vielleicht war für die KPÖ „Jude“ nie eine Kategorie, aber ihn ihren Reihen waren viele Menschen jüdischer Herkunft – und alle wussten es. Was hat gerade Jüdinnen und Juden bewogen, ihre Hoffnungen auf die kommunistische Bewegung zu setzen? 

 

Mit zahlreichen Exponaten und in einem umfangreichen zweisprachigen Katalog „Genosse.Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ versucht das JMW eine oft tragisch verwickelte Beziehung zu beleuchten. 

 

Selbstverständlich ist der „jüdische Bolschewismus“ genauso ein Hirngespinst wie die „weltweite Verschwörung der Freimaurer“. Aber die grossen politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts sahen sich zweifellos gefordert, auf die „jüdische Frage“ eine Antwort zu geben, so auch Marxismus und die Sozialdemokratie. 

 

Hier setzt die Ausstellung an: Welches Angebot machten die sozialistischen Bewegungen nicht nur Jüdinnen und Juden als Individuen, sondern dem jüdischen Kollektiv – ob nun als „Volk“ oder als „historische Schicksalsgemeinschaft“ verstanden? 

 

Sozialismus und Judentum

 

Die Einwände gegen eine Thematisierung des Verhältnisses von Judentum und Kommunismus sind ein verspätetes Echo einer Debatte, die der österreichischen wie der russischen Sozialdemokratie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts grosses Kopfzerbrechen machte. Der Stalinismus spitzte sie nur mehr zu: Wie sollte sich eine revolutionäre Bewegung zu Nationalbewegungen verhalten – und gibt es etwa überhaupt eine jüdische Nation? 

 

Lenin jedenfalls sah den Nationalismus als klaren Widerspruch zum Marxismus. Zur Klärung der Position seiner Partei beauftragte er einen georgischen Genossen, Parteiname Stalin, der gerade in Wien weilte, die „nationale Frage“ zu behandeln. Bis heute erinnert eine Gedenktafel in der Schönbrunner Schlossstrasse 30 daran, dass hier im Winter 1912/13 der Aufsatz „Marxismus und nationale Frage“ entstand!

 

Ein grosser Teil der Ausführungen Stalins beschäftigt sich mit „ideologischen Verirrungen“, die bereits dazu geführt hatte, dass die österreichische Sozialdemokratie auf die „Kulturautonomie“ setzte und sich damit 1897 in nationale Sektionen geteilt hatte. Für die russische Sozialdemokratie komme das nicht in Frage. Ein eigenes Kapitel ist nur den jüdischen Sozialdemokraten gewidmet, den „Bundisten“, die diesem Beispiel gefolgt waren.

 

Als noch grössere „ideologische Verirrung“ musste Hütern der reinen marxistischen Lehre eine Verbindung von Sozialismus und Zionismus erscheinen. Auch der Theoretiker des „Arbeiterzionismus“ Ber Borochow hielt sich in diesem Winter in Wien auf. Er konnte nicht ahnen, welch tragische Romanze die Linken Poale-Zionisten mit dem revolutionären Russland verbinden würde.

 

Sowjetisches „Nation Building“

 

Aus marxistischer Sicht war die „jüdische Frage“ in erster Linie eine sozioökonomische Frage. Nach der Oktoberrevolution brauchte man praktische Antworten: wie sollte eine soziale Gruppe, die vor allem in Berufszweigen tätig war, die nach der Revolution obsolet werden sollten – Handel, Kleingewerbe – in die neue proletarische Gesellschaft eingegliedert werden? Die Zerstörungen des Bürgerkriegs und der Kriegskommunismus machten die Frage zu einer Überlebensfrage für die Bewohner der Schtetlech, die oft bitterarm, aber als „bürgerliche Elemente“ diskriminiert waren. 

Ein jiddisches Sprichwort sagt: „az men darf dem ganev, nemt men im afile arop fun der tliye – Wird der Dieb gebraucht, nimmt man ihn sogar vom Galgen“. Die Bolschewiki begleiteten ihre Revolution im Oktober 1917 mit dem Versprechen einer Unabhängigkeit bisher unterdrückter Nationen und bauten ihre Union auf „nationale Republiken“ auf. Es galt Stalins Formel „Eine Nation ist gemeinsame Sprache, ein Territorium, Wirtschaftsraum und Kultur“.

 

Auf die jüdische Minderheit angewandt hiess es, dass sie zwar manche Züge einer Nation hatte (Sprache und Kultur) und als „Nationalität“ gelten konnte. So wurden in der (damals wesentlich kleinere) Weissrussische Sozialistische Sowjetrepublik insgesamt vier offizielle Sprachen anerkannt – Weissrussisch, Polnisch, Russisch – und Jiddisch. Mit der Anerkennung des Jiddischen als „jüdischer Nationalsprache“ in der Sowjetunion schien eine wesentliche Forderung der Jiddischisten umgesetzt. 

 

Jüdische Kommunisten meinten auch, dass sich nun Ideen umsetzen liessen, die sie noch als Bundisten, Poale-Zionisten oder Mitglieder anderer jüdischer Linksparteien entwickelt hatten, etwa die Kulturautonomie. Die Formel Stalins schien sogar Spielraum für „Nation Buidling“ zu eröffnen, wobei „sowjetisch-jiddische“ Kultur die Religion ablösen sollte.

 

Anknüpfen konnte man etwa an die jüdischen landwirtschaftlichen Kolonien, die bereits im 19. Jahrhundert in der südlichen Ukraine entstanden waren. In Fortsetzung der Neulanderschliessung des Zarenreiches förderte man jüdische Kolonien auf der Krim. Die Suche nach dem letzten Baustein der „leninistischen Nationalitätenpolitik“ – dem Territorium – führte schliesslich ins mittlere Amurtal im Fernen Osten der Sowjetunion. Hier war ein für Landwirtschaft geeignetes Gebiet mit Natur- und Bodenschätzen, das als Grenzgebiet Besiedlung brauchte. 

 

Entgegen dem, was heute oft angenommen wird, war aber die Idee einer „Jüdischen Sowjetrepublik“ nie ein Anliegen Stalins. Sie passte nur zeitweise ins Konzept der Sowjetführung. Gerade von Stalins Geheimdiensten wurde alles mit grösstem Misstrauen betrachtet. Die „Säuberungen“ ab 1935 zerstörten fast alles, was in wenigen Jahren aufgebaut werden konnte. Das „Jüdische Autonome Gebiet“ war kaum mehr als ein Name, den man hin und wieder für „antizionistische“ Propagandazwecke hervorholen konnte.

 

Der zerstörte Traum

 

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Strick um den Hals der jiddischen Kultur nochmals etwas gelockert. Für die Integration der jüdischen Bevölkerung in den neu annektierten Gebieten Ostpolens wurde der Begriff „Jiddische Sowjetkultur“ gebraucht. Das „Jüdische Antifaschistische Komitee“ durfte offiziell im Namen der jüdischen Sowjetbürger den Kampf gegen die faschistischen Invasoren unterstützen. Einige Jahre später würde die prominent besetzte Mitgliederliste dann eine schwarze Liste des NKWD. Die „Schwarzen Jahre“ ab 1948 endeten erst mit Stalins Tod 1953.

 

Die Ausstellung versucht, die langsame Desillusionierung über den kommunistischen Traum nachzuzeichnen. Schön illustriert wird das durch zahlreiche interessante Kunstwerke: Vom experimentellen Aufbrauch der 1920er Jahre über die formelhafte Erstarrung im „sozialistischen Realismus“ bis zur (teilweise bitteren) Ironie der Postmoderne reichen die Beispiele, die in Ausstellung und Katalog zu sehen sind. 

 

Was ist also geblieben vom „Traum von einer Sache?“ Vielleicht die Einsicht, dass die Welt kompliziert ist – und veränderungsbedürftig, nach wie vor. 

 

Der Autor: Mag. Thomas Soxberger (geb. 1965) studierte Judaistik und Geschichte an der Universität Wien und Yiddish Studies an der SOAS/London University. Er arbeitet als Redakteur im „Pressedienst“ des Parlaments.

 

Die Ausstellung „Genosse.Jude“ im Jüdischen Museum der Stadt Wien läuft noch bis 1. Mai 2018