Ausgabe

„Österreich ist kein Nazi-Land“

Marianne ENIGL und Tina WALZER

Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, im Gespräch

 

Inhalt

Der heute 54jährige Unternehmer Oskar Ossi Deutsch ist seit 2012 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien sowie des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. Seit Bildung der Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ Ende 2017 ist Deutsch im In- und Ausland gefragter Interviewpartner.

h116_11.jpg

Präsident Oskar Deutsch, Ehrenpräsident Dr. Ariel Muzicant und Bundeskanzler Werner Faymann bei der Grundsteinlegung am Wiener Rabensteig, 2012. Foto: Mit freundlicher Genehmigung IKG Wien.

 

DAVID: Was war Ihre bisher schönste Erfahrung als IKG-Präsident?

 

IKG-Präsident Oskar Deutsch: Es gab viele schöne Erfahrungen. Die schönste war unsere Neueinführung des Tages der Offenen Tür im Gemeindezentrum in der Seitenstettengasse. Beim ersten Mal 2012 hatten wir insgesamt fast 5.000 Besucher. Dieses Interesse, uns kennen zu lernen, ist faszinierend, und es hat seitdem nicht nachgelassen. 

 

DAVID: Und Ihre schwierigste Amts-Erfahrung?

 

Deutsch: Frustrierend ist der lange Prozess, den Wünsche der IKG an die Politik durchlaufen müssen. Etwa, dass es dreissig Jahre bis zur Restitution der Hakoah-Gründe gedauert hat. Umso schöner ist es, zu sehen, was wir in der Wehlistrasse bzw. Simon-Wiesenthal-Gasse geschaffen haben.

 

DAVID: In der Restitution hat Ihr Vorgänger Ariel Muzicant viel erreicht.

 

Deutsch: Ja, und nicht nur in der Restitution. Auch, dass wir als Kultusgemeinde zwar eine kleine Gemeinde aber selbstbewusst sind, stolze jüdische Österreicher oder österreichische Juden. Und, dass wir das auch nach aussen zeigen können.

h116_10.jpg

Präsident Oskar Deutsch und Vizepräsident Dezoni Dawaraschwili bei einem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres, 2014. Foto: Mit freundlicher Genehmigung IKG Wien

 

DAVID: Zum heurigen Gedenkjahr, vor allem dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland: Was verbinden Sie persönlich mit dem März 1938?

 

Deutsch: Ich bin 1963 geboren. Aber in den vergangenen Wochen, speziell nach den Enthüllungen der Burschenschafter-Liederbücher, habe ich oft mit Gemeindemitgliedern gesprochen, inklusive meiner Mutter, die wirklich sehr aufgeregt sind und mich fragen, „Kann das wieder passieren?“

 

DAVID: Was ist Ihre Antwort?

 

Deutsch: Ich versuche zu beruhigen. Ich glaube nicht, dass etwas in der Art wieder passieren kann. Aber es ist schlimm genug, dass bei Menschen, die das NS-Regime überlebt haben, in ihrem hohen Alter nun solche Gedanken ausgelöst werden – das ist keine Auszeichnung für Österreich.

h116_47.jpg

Präsident Oskar Deutsch bei seinem Treffen mit Papst Franziskus, 2017. Foto: Mit freundlicher Genehmigung IKG Wien.

 

DAVID: Die Familien Ihrer Eltern haben viele Mitglieder in der Shoa verloren. Was bedeutet das für Sie?

 

Deutsch: Mir wurde sehr wenig erzählt. Mein Vater ist in Klausenburg, heute Cluj in Rumänien, geboren. Er hatte fünf Geschwister und beinahe die ganze Familie konnte sich in Cluj durch Geldgaben an die Aufseher am Leben erhalten. Doch die Mutter meines Vaters wurde abgeholt, während alle anderen draussen arbeiten mussten – sie ist in Auschwitz ermordet worden. Mein Vater hat sich zeitlebens deswegen Vorwürfe gemacht. Meine Mutter ist 1939 in Lemberg, heute Lwiw in der Ukraine, geboren und ihre Eltern waren so vorausschauend, sie als Dreijährige in ein Kloster zu geben. Ihre ganze Familie wurde getötet. Freunde ihrer Eltern haben meine Mutter dann adoptiert.

 

DAVID: Ehrenpräsident Muzicant und auch Sie haben zum Holocaust-Gedenktag ausgedrückt, dass Sie in Anwesenheit von FPÖ-Politikern nicht um Ihre Familien trauern können.

 

Deutsch: Ich repräsentiere die Kultusgemeinde und weiss, was viele unserer Gemeindemitglieder fühlen. Und ich sage offen: Wir können gedenken, wann und mit wem wir wollen. Wenn es hohe Funktionäre der FPÖ gibt, die eine Geschichte voll des Rassismus, Antisemitismus, der Ausländerfeindlichkeit haben – und das nicht nur historisch ist, sondern vierzig Prozent FPÖ-Nationalräte Burschenschafter sind, wir eine Unterwanderung der Ministerien haben, wo Burschenschafter an den wichtigen Positionen sitzen, wo wir seit Bildung der Regierung bis heute (6. März, Anm. d. Red.), also in zweieinhalb Monaten mindestens 17 antisemitische, rassistische oder rechtsextreme Vorfälle in der FPÖ haben: mit diesen Leuten müssen wir nicht gedenken. Und ich möchte es noch einmal sagen: wir führen mit diesen Leuten keinen Krieg und daher brauchen wir auch keinen Frieden, wir müssen mit denen einfach nicht.

 

DAVID: Öffentliche österreichische Institutionen wie die ÖBB oder auch die Universitäten sind machtlos, wenn nun Burschenschafter in ihre Vorstände und Gremien gesetzt werden. Die Israelitische Kultusgemeinde hat mit dem einstimmigen Beschluss im Kultusrat, jeden Kontakt mit FPÖ-Ministern abzulehnen, einen klaren Trennstrich gezogen. Wie sind die Reaktionen ausserhalb der jüdischen Gemeinde?

 

Deutsch: Wir bekommen positive wie negative Kommentare. Im Gegensatz zu früher werden negative Meinungen namentlich gezeichnet. Vieles ist wirklich antisemitisch, und die Leute stehen dazu. Das ist zur Normalität geworden, das ist das Erschreckende.

h116_37.jpg

Die Namen der deportierten österreichischen Juden sind auf Gedenktafeln im Vorraum des Wiener Stadttempels geschrieben. Foto: T. Walzer 2018.

 

DAVID: Haben Sie Anzeigen erstattet?

 

Deutsch: Wo wir es notwendig finden, haben wir das getan und tun es. 

 

DAVID: Wie ist das Verhältnis zu Bundeskanzler Sebastian Kurz? Er hatte sich als Aussenminister als Freund der Juden und Israels gezeigt, hat zu Rosh Hashanah im Aussenamt zum Empfang geladen, Israel mehrmals offiziell besucht. Jetzt lässt er seinen Regierungspartner und dessen Umfeld agieren und schweigt zu vielem.

 

Deutsch: Das Verhältnis zwischen Kanzler Kurz sowie Politikern seiner Partei und der Kultusgemeinde und mir ist ein positives. Gleichzeitig habe ich an Herrn Kurz vor der Wahl und während der Koalitionsgespräche appelliert, keine Koalition mit der FPÖ zu machen. 

 

DAVID: Und was war seine Antwort?

 

Deutsch: Er sagte, dass es keine andere Option gab.

 

DAVID: In Deutschland hat die SPD, wie in Österreich die SPÖ, anfangs auch eine Koalition ausgeschlossen.

 

Deutsch: In Berlin sind die Koalitionsgespräche mit den anderen Parteien gescheitert. Interessant ist aber, dass der deutsche Bundespräsident Frank Walter Steinmayer dann ein Machtwort gesprochen hat.

 

DAVID: Sie haben gesagt, „Wir werden bei der Normalisierung der FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht mittun. Wenn wir die Befreiung Europas von Nazi-Deutschland feiern, beklagen FPÖ-Parlamentarier das Ende des Dritten Reichs.“ Heisst das, die IKG bleibt bleibt allen offiziellen Zeremonien fern?

 

Deutsch: Wir sind Teil der österreichischen Gesellschaft und wollen uns nicht absentieren. Hand-shakes und Fotos mit FPÖ-Politikern wird es aber sicher nicht geben. Und: zu unserer Befreiungsfeier im jüdischen Teil des KZ Mauthausen haben wir erstmals den Nationalratspräsidenten und Politiker aller Coleurs, mit Ausnahme der FPÖ, eingeladen.

 

DAVID: Bei der offiziellen Befreiungsfeier ist in der Regel der Innenminister anwesend, das ist Herbert Kickl, FPÖ.

 

Deutsch: Soweit ich informiert bin, wird er nicht anwesend sein. 

 

DAVID: Philosoph Bernard-Henri Lévy hat bei der Antisemitismus-Konferenz gefordert, „Wenn die Regierung das Gedenken ernst nimmt, warum baut man nicht eine Mauer, mit den in Stein gravierten Namen aller ermordeten österreichischen Juden?“ Das Kanzleramt hat den Initiator des Memorials Kurt J. Tutter zum Gespräch eingeladen. 

 

Deutsch: Es gibt bereits Gedenktafeln mit allen Namen der Opfer im Foyer des Stadttempels in der Seitenstettengasse. Ich kann nicht gegen ein solches Projekt sein, aber ein Parlament ohne Burschenschafter und eine Regierung ohne Antisemitismus und Fremdenhass sind mir wichtiger. Darum geht es, nicht um Tafeln.

 

DAVID: Der frühere Kultusrat Martin Engelberg hat sich in „Ha’aretz“ als „erster aktiver jüdischer österreichischer Abgeordneter der Nachkriegszeit“ bezeichnet. Als solcher argumentierte er für die Koalition mit der FPÖ, die sei „ungeachtet ihrer nationalsozialistischen Wurzeln längst zu einer einwanderungsfeindlichen, populistischen Bewegung geworden“. Sie haben geantwortet, auch wenn jüdische Nationalratsabgeordnete die FPÖ zu kaschern versuchten, die jüdische Gemeinde werde der FPÖ kein Koscher-Zertifikat ausstellen.

 

Deutsch: Nun, Bruno Kreisky, Stella Klein-Löw und Gabrielle Traxler waren jüdische SPÖ-Parlamentarier, Alfred Gerstl war ÖVP-Bundesrat, David Lazar ist schon länger FPÖ-Abgeordneter. Jedes Gemeindemitglied kann tun und lassen was es will. Magister Engelberg hat entschieden, bei der ÖVP mitzumachen. Wenn er gerne mit Herrn Rosenkranz von der FPÖ ein Kulturprogramm ausarbeitet, soll er das. Er muss wissen was er tut.

 

DAVID: Mit Ihnen ist in der IKG eine selbstbewusste neue Generation angetreten, willens, sich mit Österreich positiv zu identifizieren. Ist dem weiter so?

 

Deutsch: Ich habe auch in Interviews in Israel und Deutschland gesagt, ich bin überzeugt, Österreich ist kein Nazi-Land. Die FPÖ in der Regierung ist ein Problem. Aber ich bin sicher, die Österreicher werden das Problem lösen. Die Mehrheit von ihnen sind keine Fremdenhasser und Antisemiten, sie werden sich durchsetzen.

 

DAVID: Gibt es für die IKG-Arbeit neue Schwerpunkte?

 

Deutsch: Ein Schwerpunkt wird sein, uns mehr darum zu kümmern, jüdischen Kindern jüdisches Selbstbewusstsein, jüdische Geschichte und ihr Judentum näher zu bringen. Mein Adoptiv-Grossvater hat aufgrund der Gräuel des NS-Regimes seine tiefe Religiosität verloren. Aber er hat immer gesagt, man soll Jüdischkeit, die Thora mit Geboten und Verboten, kennenlernen – und dann soll man selbst entscheiden. Priorität haben auch die Sicherheits- und Zedanka, also Sozialpolitik. Und wir wollen mehr Möglichkeiten der Mitsprache schaffen.

 

DAVID: Sehen Sie eine Entwicklung hin zu mehr Orthodoxie?

 

Deutsch: Ich zähle mich zum Mainstream-Judaism. Dieser Mainstream-Judaism wird immer weniger, weil die Leute entweder immer religiöser werden oder sich total abwenden. Diese gesellschaftliche Entwicklung gibt es überall, so auch bei uns.

 

DAVID: Das Interesse am Judentum hat sich auch in der grossen Online-petition gegen die Kündigung von Dorly Singers Buchhandlung durch die Direktion des Jüdischen Museums Wien gezeigt. Ist es möglich, dass achtzig Jahre nach 1938 die einzige jüdische Buchhandlung geschlossen wird?

 

Deutsch: Dorly Singer wird ihre Buchhandlung – mit einem Café – im Foyer des Wiesenthal-Instituts am Rabensteig eröffnen.

 

DAVID: Die Kultusgemeinde gibt ihr Asyl?

 

Deutsch: Dorly Singer und ihre Buchhandlung bekommen nicht Asyl sondern eine neue Heimat. Und es wird da auch einen Jewish Infopoint geben, einen interessanten Treffpunkt mit dem Judentum in Wien, ein wenig so, wie der g´ttselige Leon Zelman ihn in der Stadt hatte.

 

DAVID: Zum jüdischen Wien gehört auch der einzigartige Jüdische Friedhof Währing. Ist es nicht hoch an der Zeit, seine Restaurierung als Schwerpunkt anzugehen?

 

Deutsch: Ich darf Ihnen versichern, dass wir uns der Aufgabe sehr bewusst sind und sich sehr viele Menschen mit uns gemeinsam engagieren.

 

DAVID: Herr Präsident, vielen Dank für das interessante Gespräch.