Ausgabe

„Das Leben nimmt keine Rücksicht auf uns, es schreibt in gleicher Weise hart gegen alle…“

Gregor GATSCHER-RIEDL

Zum Jubiläum der Wiederentdeckung des jüdischen Mödlinger Schriftstellers  Albert Drach

 

Inhalt

1987 kauft sich der Dissertant André Fischer eine Fahrkarte nach Mödling (Niederösterreich). Das Ziel des Germanistik-Studenten und Journalisten ist das Haus Hauptstrasse 44, der „Drach-Hof“ und dessen Bewohner, der 85jährige Rechtsanwalt und Schriftsteller Albert Drach. Seine Eindrücke verarbeitet Fischer für die renommierte Süddeutsche Zeitung in einem Artikel Die Eintracht des Vergessens. Der Fall Albert Drach und setzt damit eine späte, jedoch fulminante Rezeption des Autors in Gang. 

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Albert Drach. Porträtfotografie aus „Heimatkundliche Beilage zum Amtsblatt der BH Mödling“. 

 

Fischer kam im Leben und Werk Drachs jene  Rolle zu, die sechs Jahrzehnte zuvor  James Joyce bei Italo Svevo gespielt hatte: Der Ire bewirkte das „Wunder der Wiedererweckung des Lazarus“ und der Triestiner erlebte mit Mitte sechzig seine Entdeckung als Jungschriftsteller, die ihn selbst wohl am meisten zu überrascht haben schien. Auch bei Drach ging es nun Schlag auf Schlag: Der Verlagsleiter des Hanser-Verlags kommt zur Vertragsunterzeichnung persönlich nach Mödling. Im Folgejahr erscheint der autobiographische Roman Unsentimentale Reise  neu und wird ein durchschlagender Erfolg, die Zuerkennung des Büchner-Preises 1988 in Darmstadt ist späte Anerkennung.  

 

Drach wurde 1968 im Spiegel als „kultiviert-konservativer k.u.k.-Autor“ bezeichnet, wobei dieses Urteil in seiner Biographie durchaus zugrunde gelegt ist. Vater Wilhelm Drach stammte aus der Bukowina, hatte an der Franz-Josephs-Universität in Czernowitz (Chernivtsi, Ukraine), der östlichsten und jüngsten Stadt der Monarchie, Mathematik und Philosophie auf Lehramt studiert und arbeitete als Gymnasialprofessor in Wien. Später wechselte er in das Bankgeschäft und rückte in der Länderbank bis in den Vorstand auf. Früh verwitwet, heiratete er Jenny Pater aus einer aschkenasischen Wiener Familie. Der gemeinsame Sohn Albert wurde am 17. Dezember 1902 geboren und wuchs in der für assimilierte Familien typischen Anhänglichkeit an die deutsche Kultur und Sprache auf. Albert besuchte ab 1913 das Akademische Gymnasium und 1917 übersiedelte er mit seiner Familie in den späteren „Drach-Hof“ in der Mödlinger Hauptstrasse. Nach einem Ferienerlebnis reifte der Entschluss, Autor zu werden; 1917 erschienen Gedichte im Wiener Journal, sein Vater finanzierte den Druck des Gedichtbandes Kinder der Träume (1919). Nach der Matura 1921 bezog er die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien und promovierte 1926. Unterstützung für seine lyrische Tätigkeit fand Drach beim Mödlinger Anton Wildgans, der selbst Jus studiert hatte. 

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Der „Drach-Hof“ in der Mödlinger Hauptstrasse. Foto Herbert Josl. 

 

Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit betrieb Drach eine Anwaltskanzlei in Mödling, wurde jedoch von seinem Vater, der 1929/30 der Mödlinger Kultusgemeinde als Präsident vorstand, bis zu dessen Tod 1935 finanziell unterstützt. Nach dem „Anschluss“ am 13. März 1938 und dem kurz darauf auch in der nunmehrigen „Ostmark“ geltenden Berufsverbot für jüdische Anwälte, wollte Drach zunächst nicht emigrieren. Er wehrte sich sogar mit rechtlichen Mitteln gegen den kommissarischen Verwalter seines Hauses und schloss Ende April 1938 seine Kanzlei. Seine bereits nach Polen geflohene Schwester konnte ihn schliesslich von der Notwendigkeit zur Emigration überzeugen. Am 25. Oktober 1938 verliess Drach Mödling und gelangte über Triest und Split nach Paris, von wo aus er vergeblich versuchte, seine Mutter nachzuholen. Im Frühjahr 1939 wurde er nach Nizza gebracht, in der Folgezeit wurde er vom Vichy-Regime mehrfach interniert. Im Lager kam es zu einer Freundschaft mit Walter Hasenclever. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Eiskunstlauf-Lehrer, Pilzesammler oder als Dolmetscher für den französischen Widerstand und nach Kriegsende, das er verborgen in Valdeblore an der italienischen Grenze erlebte, für die US Army. Drach ist in dieser Zeit unschlüssig darüber, Frankreich zu verlassen und stellt am 26. August 1947 ein Einbürgerungsansuchen. 

Im Juni 1948 konnte er nach Mödling zurückkehren und eröffnete im Oktober in von der sowjetischen Besatzungsmacht geräumten Zimmern des „Drach-Hofs“ seine Anwaltskanzlei. Der zermürbende juristische Kampf um den Familienbesitz in Mödling dauerte – trotz Unterstützung durch den Bezirksvorsteher Otto Petznek – bis 1955. Mobiliar und Bibliothek blieben dabei grösstenteils verloren. 1951 lernte er seine spätere Frau Gerty Rauch kennen, 1952 kam Sohn Wilhelm zur Welt, kurz nach der Hochzeit 1954 Tochter Jenny.

 

Gerty Drach sollte 1962 in München auch den Kontakt zur bundesdeutschen Verlagsszene her. Eine achtbändige Werksausgabe steht am Ende der Verhandlungen mit dem Langen Müller-Verlag, wo fortan vor allem seine in verfremdetem Stil gehaltene Prosa, die er als „Protokolle“ bezeichnet, erscheinen. Schon 1929 hatte Drach erklärt, dass er die  sachlich-knappe, an den Duktus der Behördentexte seiner juristischen Praxis angelehnte „protokollarische Darstellung aus Gründen einer wertfreien Bestandaufnahme“ gewählt habe. Das bekannteste Beispiel dieser Werksgattung ist das Grosse Protokoll gegen Zwetschkenbaum, dessen Niederschrift bis ins Jahr 1939 zurückreicht.  Der Hamburger Zeit erschien das Werk wie von „Martin Buber mit der Feder Hašeks erzählt“.

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Zeitungsannonce zur Wiederaufnahme der rechtsanwaltlichen Tätigkeit aus der „Mödlinger Zeitung“1948. 

 

Im Herbst 1965 kommt das Skurrilspiel Sowas in Augsburg auf die Bühne, zwei Jahre später das Anti-Hitler-Stück Kasperlspiel vom Meister Siebentot in Darmstadt. Diese Erfolge können aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Werksausgabe die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt, obwohl die Londoner  Times Drach neben Elias Canetti als „der deutschsprachige Avantgardeautor der Gegenwart“ bezeichnet. 1971 erscheint das verstörende Kriminalprotokoll Untersuchungen an Mädeln, das einen vorläufigen Höhepunkt der öffentlichen Wahrnehmung darstellt.

Zehn Jahre später ist Drach beinahe vollkommen erblindet und gezwungen, seine anwaltliche Praxis zurückzulegen. 1986 verarbeitet er die Erfahrung der mangelnden Sehkraft in Die Blinde Kuh. Mit dem Glockenklingeln Fischers ändert sich aber die beschauliche Ruhe im „Drach-Hof“. Sowas wird in Esslingen neu inszeniert, Lesereisen führen nach Deutschland, Zwetschkenbaum wird wieder aufgelegt und findet breite Resonanz, 1990 kommt das autobiographische Werk Z. Z. – Das ist die Zwischenzeit in München neu heraus, wofür der Manès-Sperber-Preis und das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst winken. 

 

Die Stadt Mödlling bietet 1991 den Hintergrund für die Aufführung des Satansspiels vom Göttlichen Marquis, im Folgejahr beschäftigt sich ein hochkarätig besetztes Symposium in Wien unter Beteiligung Konrad Paul Liessmanns und Elfriede Jelineks mit Drach und André Fischers Drach-Dissertation geht in Druck. 1993 wird der Mödlinger Autor für den Literaturnobelpreis nominiert. Im Wiener Zsolnay-Verlag ist eine auf zehn Bände gerechnete Werkausgabe der „Mischung von Kafka und Thomas Mann“ geplant. Sie wird verantwortet von Ingrid Cella, Bernhard Fetz, Wendelin Schmidt-Dengler und Eva Schobel. Drachs Tod am 27. März 1995 hat Drach, den man auf Grund seiner Eigenständigkeit und persönlichen Unzugänglichkeit kaum als Teil des sogenannten Literaturbetriebs bezeichnen könnte, noch stärker in den Fokus der Forschung gerückt. Günter Kaindlstorfer schrieb für die Presse im Dezember 1992: „In allen seinen Arbeiten erweist sich Drach als mitleidloser, als abgrundtief zynischer Chronist eines mitleidlosen und abgrundtief zynischen Jahrhunderts“, dessen Bandbreite dem österreichischen Juden aus eigener Anschauung nur allzu intensiv bekannt war.