Ausgabe

Rückkehr in ein gebrochenes Leben

Christoph Tepperberg

Inhalt

Anat Feinberg: Wieder im Rampenlicht.

Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945.

Göttingen: Wallstein-Verlag 2018

336 Seiten, 10 Abb., 29,90 Euro

ISBN: 978-3-8353-3245-4

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Die Autorin:

Prof. Dr. Anat Feinberg, geb. 1951 in Tel Aviv, ist eine deutsch- israelische Literaturwissenschafterin. Sie studierte Anglistik und Philosophie an der Universität Tel Aviv und wurde 1978 an der London University mit einer Dissertation über das Theater zur Zeit Shakespeares promoviert. 1981 heiratete sie den Historiker Robert Jütte und war danach bis 1988 Dozentin für Englische Literatur- und Theaterwissenschaft an der Ben-Gurion-Universität in Beersheva und an der Universität Tel Aviv. Seit 1990 lebt sie in Deutschland und lehrt als Honorarprofessorin hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Zwischen 2004-2007 war sie die verantwortliche Fachberaterin für neue hebräische Literatur der Neuauflage der Encyclopedia Judaica und für Kindlers Literaturlexikon.

Das Buch:

Das Buch enthält eine ausführliche Einleitung und ein allgemeines Kapitel „Theatermigration“, worin die Autorin die Thematik, ihre Forschungsmethoden und Quellenproblematik darlegt. Daran schliessen vier interessante Remigrantenbeispiele: Ernst Deutsch, Steffie Spira, Herbert Grünbaum und Claudius Kraushaar. »Remigration. Die Rückkehr in ein gebrochenes Leben« war lange Zeit ein unterbelichtetes, Thema der zeitgeschichtlichen Forschung. Das gilt in besonderer Weise für eine Berufsgruppe, die »im Rampenlicht« der Öffentlichkeit stand: jüdische Theaterkünstler. Das Buch »Wieder im Rampenlicht« ist wohl als Feinbergs Hauptwerk zu betrachten, schliesslich hatte sie die vorliegende Studie durch Jahrzehnte in zahlreichen Einzeluntersuchungen vorbereitet. Anat Feinberg unternimmt erstmals den Versuch einer Gesamtdarstellung. Sie untersuchte die Schicksale von 200 Theaterkünstlern, die nach 1945 entweder auf Dauer oder vorübergehend aus der Emigration in einen der beiden Teile Deutschlands zurückkehrten. Zwar gelang es der Mehrzahl der dauerhaften Rückkehrer im deutschen Theaterleben wieder Fuss zu fassen, doch erwies sich für viele Remigranten die Rückkehr als eine Herausforderung, mitunter auch als eine Überforderung. Nicht selten war es unmöglich, dort anzuknüpfen, wo die Karriere 1933 ein jähes Ende gefunden hatte. Erschwerend hinzu kamen die Narben der Vergangenheit: Ausgrenzung, Emigration und die langen Jahre im Exil hatten viele Remigranten gezeichnet, wobei manche Wunden niemals verheilten.

Die Autorin erzählt, erläutert und analysiert ihre Forschungsthematik exemplarisch anhand von vier markanten Persönlichkeiten des Bühnenfachs. Die Atmosphäre zu den vier Persönlichkeiten anhand derer die deutschsprachige jüdische Remigration nach dem Holocaust abgehandelt wird, ist durch die „feuilletonistischen Kapitelüberschriften“ trefflich eingefangen:

Ernst Deutsch (1890 Prag–1969 in West-Berlin)

„Er spielt diesen Nathan nicht, er ist Nathan“: Ernst Deutsch; Erste Begegnungen; Der „Theater- und Film-Jude“; In seiner Paraderolle Nathan der Weise; Shylok, zum Nathan avanciert; Ein unpolitischer Künstler?

Ernst Deutsch spielte vor 1938 in Berlin, Wien und Prag, Zürich, Brüssel und London. 1938 emigrierte er nach New York, spielte kurz am Broadway und wechselte 1939 nach Hollywood, wo er auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Zunächst aber war er in den USA für mehrere Jahre fast ohne Beschäftigung, sodass er die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen musste. Der begnadete Bühnenkünstler weigerte sich zeit seines Lebens über die schweren Jahre seiner Emigration zu sprechen. Gerade deshalb dachte er früher als andere Kollegen über eine Rückkehr nach Deutschland nach. Bei der Remigration von Theaterleuten waren gute Netzwerke unabdingbar. Jüdische Netzwerke umfassten Juden und Nichtjuden, unter letzteren auch prominente ehemalige Nazis. Dies wird bei Ernst Deutsch besonders deutlich: Nach einem Gastspiel in Buenos Aires kehrte er 1947 über Paris und die Schweiz nach Europa zurück. Mithilfe der zurückgekehrten Helene Thimig (Witwe von Max Reinhardt) spielte er in Salzburg für mehrere Jahre den Tod in Hofmannsthals Jedermann. In der Titelrolle war Attila Hörbiger zu sehen, der (anders als sein Bruder Paul) Mitglied der NSDAP war und an mehreren antisemitischen Propagandafilmen mitgewirkt hatte. Mit Attila Hörbiger und dessen Frau Paula Wessely, die auf Hitlers „G‘ttbegnadeten-Liste“ stand und als “Staatsschauspielerin“ protegiert worden war, trat Deutsch 1949 wieder in Wien auf. Seit 1951 wohnte er wieder in seiner Wahlheimat Berlin. Ernst Deutsch war einer der herausragendsten Bühnenkünstler des deutschen Sprachraums.

Steffie Spira (1908 in Wien–1995 in Berlin)

„Das Theater ist eine kollektive Kunst“: Steffie Spira; Nach Deutschland zurück – oder: „Wir haben das Schwierigste ausgesucht“; Volksschauspielerin; Zwei Schwestern, zwei Welten; „Die Frau vom Alex“; „Träume meiner Jugend“ und späte Rückschau.

Steffie Spira war die Tochter des Schauspielers Fritz Spira, der 1943 im KZ Ruma in der Vojvodina ums Leben kam und Schwester der Schauspielerin Camilla Spira, die durch ihre Verbindungen in der NS-Verwaltung zur „Vollarierin“ erklärt, bis Kriegsende unbehelligt in Amsterdam lebte. Steffie war Kommunistin (KPD-Mitglied) und Schauspielerin in Berlin. 1933 emigrierte sie in die Schweiz, von dort nach Paris. Nach ihrer Inhaftierung im Frauenlager Camp de Rieucros gelang ihr die Flucht nach Mexiko, wo sie mit anderen deutschen Schauspieler-Emigranten in Berührung kam. 1947 kehrte sie nach Deutschland zurück und spielte ab 1948 am Deutschen Theater Berlin. Anders als Ernst Deutsch wirkte sie im Osten und prägte als Volksschauspielerin die sozialistische Theaterkultur der DDR. Bei der Wende 1989 hielt sie als Hochbetagte eine viel beachtete Rede auf dem Berliner Alexanderplatz, dem „Alex“.

Herbert Grünbaum (1902 in Berlin–1981 West-Berlin)

Theater als (Ersatz-)Heimat: Herbert Grünbaum: „Er war ein typischer Jecke“; „Es ist richtig, dass ich unaufgefordert in Deutschland erschienen bin“; „Vater – Wister, Kind – Grünbaum“: Die Volksbühne; „Der grosse Grünbaum. Eine Molière-Figur“: Auf der Westberliner Bühne.

Herbert Grünbaum spielte zunächst in Halle an der Saale, Hamburg und Berlin. 1939 ging er über die Niederlande nach Palästina. Dort arbeitete er mit Laienschauspielern und war 1944 einer der Mitbegründer des „Theatron Kameri“ in Tel Aviv. Er wurde von den Kulturschaffenden als „typischer Jecke“ wahrgenommen (so nannte man die deutsch-sprachigen Einwanderer), wegen seines starken deutschen Akzents, seiner Pedanterie und Detailbesessenheit. 1953 kehrte Grünbaum nach Europa zurück. Er spielte unter dem Intendanten Fritz Wisten an der Volksbühne in Ost-Berlin, später in West-Berlin.

Claudius Kraushaar (1878 in Wien–1955 in Stuttgart)

Der Aufstieg des Herrn K.: Claudius Kraushaar; Jude? Protestant? Der Schlüssel zum Erfolg oder: Theaterkunst und Gesellschaft; „Jud bleibt Jud. Es muss verkauft werden!“ Herr K. in den Niederungen der Nachkriegsjustiz.

Der österreichische Theaterintendant Claudius Kraushaar besass und leitete bis 1933 das Theater in der Kleinen Königstrasse in Stuttgart. Kraushaar war Protestant, wegen seiner jüdischen Abkunft wurde er 1934 von der Stadt Stuttgart genötigt, sein Theater zu verkaufen. Er und seine Frau wurden hin und her geschubst, seine Kinder gingen in die Emigration, ein Teil seiner Verwandtschaft in die Vernichtung. Ab 1945 kam es wegen seines Theaters zu mehrjährigen Auseinandersetzungen um Rückerstattung und Wiedergutmachung. Kraushaar bekam zwar sein Theater zurück, verpachtete es aber 1950 – durch ständige (antisemitische) Anfeindungen zermürbt – an die Württembergischen Staatstheater.

Die Ergebnisse von Feinbergs Forschungen beruhen zwar auf wissenschaftlich-statistischen Methoden. Dennoch ist »Wieder im Rampenlicht. Rückkehr in ein gebrochenes Leben« eine ungemein spannende Lektüre! Mehrere praktische Handreichen: eine ausführliche Bibliografie, ein Verzeichnis der zurückgekehrten Theaterkünstler mit Kurzbiografien und ein Namensregister ergänzen den Band.