Simon Dubnow, eigentlich Semjon Markowitsch Dubnow, war zweifelsohne einer der grössten jüdischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts
Dubnow war äusserst produktiv, schrieb er doch oftmals an mehreren Büchern gleichzeitig. Der überzeugte Demokrat geriet dabei mehrmals in die Mühlen des „Jahrhunderts der Extreme“ (Eric J. Hobsbawm). Dubnow floh vor den Bolschewiken wie auch vor den Nationalsozialisten, welche ihn indessen in Riga aufspürten und ermordeten. Das Leben des Einundachtzigjährigen endete also gewaltsam. Dieser Artikel soll nun den grossen Mann ehren und sein Leben und sein Werk kurz vorstellen.
Der berühmte Forscher
Simon Dubnow (1860 – 1941)
Quelle: Simon Dubnow,
„Mein Leben“,
Berlin, 1936
Geboren wurde Simon Dubnow im Jahre 1860 im weissrussischen Mstislav als Sohn eines kleinen Holzhändlers. Das kleine Shtetl wurde dem aufgeweckten jungen Mann bald zu eng, so dass er sich in die Hauptstadt Sankt Petersburg, dann nach Odessa und später nach Wilna aufmachte, freilich ohne Aufenthaltsbewilligungen. Im Jahre 1881 begann Dubnow für jüdische Zeitungen zu publizieren, unter anderem für „Rasswet“ und für „Woschod“. Der junge Autodidakt betätigte sich auch als Übersetzer, indem er die „Volkstümliche Geschichte der Juden“ von Heinrich Graetz ins Russische übersetzte und dazu eine kritische Einleitung schrieb. Wie der deutsche Osteuropahistoriker Karl Schlögel hervorhebt, wurde diese Einleitung aber vom zaristischen Zensor verboten, so dass sie nur im Ausland als gesonderte Publikation erscheinen konnte. Um 1890 begann Dubnows leidenschaftliche, lebenslängliche Beschäftigung mit dem Chassidismus.
Noch vor der Jahrhundertwende, im Jahre 1898, begann der Historiker und Gelehrte sein Lebenswerk, die „Weltgeschichte des jüdischen Volkes“ in zehn Bänden. Den ersten Teil publizierte er bereits 1901, der vierte Band erschien 1914 in Sankt Petersburg. Nebenbei schrieb Dubnow für jüdische ausländische Zeitschriften und übersetzte ins Deutsche und ins Englische.
Simon Dubnow war aber nicht nur Wissenschaftler und Publizist, sondern auch politischer Aktivist. Er trat für eine aktive jüdische Selbstverteidigung ein, namentlich nach dem Pogrom von Kischinjow (Bessarabien; heute Chișinău, Moldau) im Jahre 1903. Er beteiligte sich an den Duma-Wahlen von 1905 nach der Ersten Russischen Revolution, indem er bei den „Konstitutionellen Demokraten“ eine eigene jüdische Sektion einzurichten half. Ein Jahr später gründete Simon Dubnow eine eigene Partei, die „Jüdische Volkspartei“, die trotz Erfolgslosigkeit bis 1918 bestehen blieb.
Die Russische Revolution von 1917 begrüsste der bereits namhafte Gelehrte, die Gewalt der Oktoberrevolution aber lehnte er ab. Zwischen 1917 und 1922 arbeitete Dubnow an der „Erneuerung des jüdischen Lebens“ (Schlögel), bis er keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr sah und das Land im Jahre 1922 fluchtartig in Richtung Berlin verliess.
In Berlin lebte damals eine riesige russische Diaspora: an die 300.000 Frauen und Männer aus allen Ständen und Schichten sollen sich damals in der deutschen Hauptstadt aufgehalten haben. Monarchisten, „Weisse“, Menschewiken, Sozialrevolutionäre oder Liberale wie Simon Dubnow versuchten, sich über die Runden zu bringen, was alles andere als einfach war. Die Berliner Zeitungen berichteten obsessiv von Grossfürsten, die sich nun als Taxifahrer verdingten. Das mochte übertrieben sein, enthielt aber doch ein Körnchen Wahrheit.
Ein Zentrum der riesigen russischen Diaspora war die Grenadierstrasse. Dort wohnten viele russische Juden, die auch Läden, Leihbibliotheken oder Buchhandlungen führten. Für die Exilrussen, die es oft weiter zog nach Paris oder nach Amerika, existierte eine eigene Presse, entsprechend der politischen Ausrichtung.
Simon Dubnow arbeitete in Berlin weiter, obwohl er zuerst auf seine grosse und kostbare Bibliothek verzichten musste. Der Gelehrte und Historiker arbeitete nun auch vermehrt als Schriftsteller, indem er an seiner Autobiographie und an seinen Tagebüchern schrieb. Innerhalb der jüdisch-russischen Diaspora war er eine Respektsperson. Seine Wohnung war ein Treffpunkt für Wissenschaftler, Literaten und Künstler.
Oft hielt Dubnow Reden und Vorträge bei privaten und öffentlichen Feierlichkeiten. Den Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten beobachtete er mit Besorgnis. Die antisemitischen Ausschreitungen des Jahres 1923 an der Grenadierstrasse sah er als erstes Berliner Pogrom. Dubnow war, wie gesagt, besorgt, doch war er noch zu sehr ein Mann des 19. Jahrhunderts, um den genozidalen Charakter der neuen rechtsextremen Bewegung vorauszusehen. So verpasste er die Gelegenheit, um rechtzeitig nach Zürich zu emigrieren. Die Schweiz sollte sich im Nachhinein als ein sicherer Hafen entpuppen.
Ganz ohne Vorkehrungen für den Eventualfall wollte Simon Dubnow nicht bleiben. Er bereitete sich auf eine Flucht vor und verliess Berlin in Richtung Lettland, wo er sich in Riga niederliess. Auch dort litt die jüdische Bevölkerung unter einem mehr oder weniger offenen Antisemitismus. Nachdem die deutschen Truppen die ehemals unabhängigen, nun sowjetischen baltischen Staaten überrannt hatten, wurden die lettischen Juden im Rigaer Ghetto zusammengetrieben.
Den Mord an ihnen hat der deutsche Historiker Bernhard Press sorgfältig dokumentiert. Der Kommandant war ein ehemaliger Student Dubnows, der seinen ehemaligen Professor beleidigte und schikanierte, wo er nur konnte. Dubnow blieb auch im Ghetto ganz Historiker, zeichnete im Geheimen auf, was im Ghetto passierte.
Im Jahre 1941 wurde der hochbetagte, grosse Gelehrte Simon Dubnow in einem Wald nahe Riga erschossen.
Literatur
Maurer, Trude. Ostjuden in Deutschland
1918 – 1933. Hamburg 1986.
Press, Bernhard. Judenmord in Lettland.
Berlin 1992.
Schlögel, Karl. Das russische Berlin.
Eine Hauptstadt im Jahrhundert der Extreme.
Aktualisierte, erweiterte Neuausgabe.
Berlin 2019.
Schlögel, Karl (Hg.). Der grosse Exodus.
Die russische Emigration und ihre Zentren
1917 bis 1941. München 1994.