Ausgabe

„Die Richtung stimmt“

Marianne Enigl

Die Buchhändlerin Dorly Singer im ­Gespräch über das intensive erste Jahr ihres neuen Buch-Cafés, in dem es einen Jiddisch- Stammtisch, spannende Literaturabende und bald eine eigene Ausstellung gibt.

Inhalt

DAVID: Braucht es Leidenschaft oder Leichtsinn, um eine Buchhandlung neu zu eröffnen?

Dorly Singer: Es braucht Leidenschaft, Leichtsinn kann ich mir nicht leisten. Es ist Leidenschaft und die Solidarität von vielen, die mich gestärkt hat.

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Dorly Singer bei einem
Abend mit Autor Philippe Sands und Historiker Robert Knight
(re. sitzend)

Foto: M. Enigl, mit freundlicher Genehmigung

 

DAVID: Für den Erhalt Deiner Buchhandlung im Jüdischen Museum Wien hatten beinahe 2.500 Menschen unterschrieben. Wie lange bist Du an dem Standort gewesen?

Dorly Singer: Ich war seit Gründung des Museums 1993 dort, mit Unterbrechung waren es fast 24 Jahre, bis Ende 2017. Diese Online-Petition war eine wunderbare Geste, nicht von mir initiiert. Und die Unterstützung ist nicht abgerissen. Es kommen viele, die erzählen, dass sie unterschrieben haben.

 

DAVID: Hier am Rabensteig konntest Du vor genau einem Jahr in geschichtsträchtigen, stimmig restaurierten Räumen der Israelitischen Kultusgemeinde eröffnen. Wie hast Du den Neuanfang des Bookshop Singer erlebt?

Dorly Singer: Es war eine sehr, sehr intensive Zeit. Ich fühle mich immer noch ein bisschen neu, es tut sich so vieles. Im Geist bin ich immer noch in einem Eröffnungsmodus, doch ich bin angekommen.

Mein Plan war, in diesem Jahr einmal anzuschauen, wie es läuft. Mein Geschäft ist ja nicht mehr nur Buchhandlung und hat nun ein viel persönlicheres Gesicht als meine vorherige. Zum anderen ändert sich ja auch das Buchgeschäft rasant. Es gibt Verschiebungen in den Verlagen, eine zunehmend israelkritische Einstellung scheint mir zu bedingen, dass weniger hebräische Bücher ins Deutsche übersetzt werden. Doch heute suchen mehr Lesende in ihrer Buchhandlung wieder Auswahl und Orientierung und ich bestelle jedes lieferbare Buch, auch englische. Viele meiner Kunden sind nicht Gemeindemitglieder, haben aber eine Verbundenheit mit dem Jüdischen, und so sind wir ein offener Ort geworden, wo man sich austauschen kann.

 

DAVID: Bei Dir findet man jetzt auch ein Café. Wächst da zusammen, was zusammen gehört?

Dorly Singer: Ein Buch-Café das sich so anfühlt, dass ich selbst gerne darin sitzen würde, war schon lange mein Traum. Und plötzlich hat er sich erfüllt, mit Hilfe einer grossen Förderin.

DAVID: Die Künstlerin Eva Beresin hat für die historischen Räume ein sehr mobiles Konzept entworfen, die Buchhandlung kann in wenigen Minuten zu einem Veranstaltungsort werden.

Dorly Singer: Das Design hat sich sehr bewährt. Die Publikumsveranstaltungen entwickeln sich wunderbar, inzwischen haben wir auch schon Stammtische. Der Jiddisch-Stammtisch immer am Dienstagnachmittag ist eine sehr lebendige Gruppe für alle geworden, die sich auf und über Jiddisch unterhalten möchten. Es gab viele Anfragen nach einer Möglichkeit, Hebräisch zu sprechen, und so freue ich mich auch auf den hebräischen Kommunikationstisch ab Jänner.

 

DAVID: Du trägst zu einer lebendigen Jüdischkeit in Wien bei.

Dorly Singer: Ja, irgendwie schon. Da kam zum Beispiel jemand aus New York, kaufte Bücher und erzählte mir, dass er gerne Jiddisch sprechen möchte – jetzt ist er regelmässig dabei. Sonntag in der Früh haben wir einen von einem Wohltäter gestifteten Bibellehrgang. So beginnt die Woche sehr schön. Dazu kommen Workshops wie z. B. vom Wiesenthal-Institut, das ja unser Nachbar ist.

 

DAVID: Hoch interessant fand ich den Abend über Die Königin von Saba, eine vergessene Oper von von Carl Goldmark, von der Paul Gulda nicht nur Auszüge am Klavier gespielt, sondern auch spannend erzählt hat.

Dorly Singer: An der Reaktion meiner Besucher merke ich, dass sich an solchen Abenden immer wieder etwas Besonderes ereignen kann. Mit dem Café ist auch der Geschäftsalltag viel lebendiger geworden. Jetzt kann ich meine Überzeugung, dass ich als Buchhändlerin in erster Linie vom Gespräch mit meinen Kunden lebe, umsetzen. Man entwickelt sich gemeinsam, tauscht Literaturtipps aus, lebt ein Stück weit miteinander. Momentan habe ich grosse Sorge um einen Kunden, der taubstumm ist. Er hatte eine Operation und jetzt vermisse ich ihn schon längere Zeit.

 

DAVID: Wie hast Du es geschafft, an einem Abend den bekannten Historiker Robert Knight im Gespräch mit dem ebenso geschätzten Autor von Rückkehr nach Lemberg Philippe Sands zusammen zu bringen?

Dorly Singer: Philippe Sands war Gast beim Kreisky-Forum, und zu meiner grossen Freude war er mit Robert Knight auch bei mir. Er hat mir gesagt, dass er gerne unabhängige Bookstores unterstützt, Anfang Dezember ist er wieder da. Bei uns geht es nicht um Reich und Schön, sondern um die verborgenen, wichtigen, scheinbar kleinen Geschichten. Berührend war etwa, als Pablo Rudich mit Familienangehörigen sein bei Mandelbaum erschienenes Buch Dazwischendasein über jüdisches Leben zwischen Czernowitz, Wien und Montevideo vorgestellt hat. Das Gesprächskonzert zu Jiddish Glory mit Anna Shternshis und dem russisch-jüdischen Sänger Psoy Korolenko wiederum hat eine kostbare Initiative präsentiert: Mit Jiddish Glory ist bis 1942 in Kiew der jiddische Liedschatz der Roten Armee und des Widerstands gesammelt worden, das Konzert war eine schöne Kooperation mit Glatt & Verkehrt in Krems.

 

DAVID: Du hast ein sehr ambitioniertes Programm, gibt es dafür Förderungen?

Dorly Singer: Subventioniert wird nur der Jewish Infopoint in meinem Geschäft. Wichtig sind daher Kooperationen wie etwa mit dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen oder der Israelischen Botschaft und
Buch Wien bei der Präsentation von Yishai Sarids Buch Monster. Zur Unterstützung haben wir kürzlich den Verein TARBUT (= Kultur) gegründet, denn meine Schultern sind nicht stark genug, das alles zu stemmen. Meine Schwester Mirjam, die mich in der früheren Buchhandlung mehr als gestützt hat, fehlt mir, und so bin ich doppelt alleine. Viele fördernde Vereinsmitglieder erhoffen wir auch für das spannende Projekt einer Ausstellung im Untergeschoss. Hier hat sich Wiens erste Synagoge befunden und von 1903 – 1938 war da die jüdische Buchhandlung Belf. Felicitas Heimann-Jelinek, die langjährige Chefkuratorin des Jüdischen Museums Wien, wird in einer Fortsetzung des Buchs Unser Wien von Tina Walzer und Stephan Templ eine Ausstellung über die Geschichte von Wiens jüdischen Buchgeschäften und Verlagen gestalten. Seit Ariella Sobel und Monika Schreiber von der Universitätsbibliothek mich über die jüdische Buchhandlung Belf genau hier am Rabensteig 3 informiert haben, schliesst sich für mich ein Kreis. Und so wächst das Ganze, langsam, aber schön. Die Richtung stimmt. Es macht Sinn.

 

Bookshop Singer

Rabensteig 3, 1010 Wien

So.–Do., 9–19 Uhr, Fr., 9–14 Uhr

Tel.: +43/(0)1/512 45 10