Alljährlich feiern wir das Chanukka-Lichterfest zur Erinnerung an die altertümliche Säuberung und Einsetzung des Opferdienstes im Jerusalemer Tempel.
Das Heiligtum der Israeliten wurde verunreinigt und entehrt durch den Seleukidenherrscher Antiochus IV. Epiphanes. Er stellte im Tempel, nach seiner Eroberung, die Götzen der Hellenisten auf. Das Chanukka-Fest, das Gedenken an die Befreiung und Wiedereinweihung des Tempels, gibt ein Lehrbeispiel dafür, welche Bedeutung das Heiligtum in Jerusalem im religiösen Leben der Israeliten einnimmt. Daher erinnert uns Chanukka an jene Ereignisse, die es der winzigen Schar von Makkabäern, den altertümlichen, jüdischen Freiheitskämpfern ermöglicht hatten, den Tempel in Jerusalem 160 Jahre vor unserer Zeitrechnung zu befreien.
Im Rahmen der wöchentlichen Schriftlesungen wird am Schabbat der Chanukka-Woche die Geschichte Josefs, jenes Lieblingssohnes des Erzvaters Jakob, aus der Tora gelesen. Es ist verständlich, wenn die Rabbinen versucht haben, Parallelen zwischen der Toralektüre und den damaligen historischen Begebenheiten des Chanukkafestes aufzuzeigen: Josef war allein, als seine neidischen Geschwister ihn verraten und als Sklaven nach Ägypten verkauft hatten. Die kleine Schar der Makkabäer stellte auch eine fast unbedeutende Kraft dar gegen die geübten, erfahrenen Truppen der hellenistischen Angreifer. Neben dieser auffälligen Parallele weist ein Denker auch noch auf folgende Begebenheiten hin: Josef wurde einst von seinem Vater Jakob beauftragt, seine Brüder mit ihren Schafherden aufzusuchen, um ihm über ihr Treiben Bericht zu erstatten. Zunächst fand Josef ihre Spuren nicht. Da erkundigte er sich nach ihnen bei einem Mann auf dem Felde. Dieser wies ihn auf ihre Wegrichtung. Er hatte von den Brüdern gehört, wohin sie wollten. Dieser Übereifer Josefs rächte sich dann. Als er die Brüder entdeckte, überfielen sie ihn und hätten ihn beinahe getötet, wenn nicht einer von ihnen die rettende Idee gehabt hätte: Der Junge ist doch unser Fleisch und Blut! Lassen wir ihn am Leben! So einigten sie sich bei einer deftigen Mahlzeit darauf, Josef an eine Karawane zu verkaufen. Die Karawane von Kaufleuten war nach Ägypten unterwegs. Die Händler nahmen ihren ansehnlichen Erwerb sofort mit.
Wäre Josef also nicht so übereifrig, emsig auf der Suche nach den rachsüchtigen Brüdern gewesen, wäre ihm vielleicht Vieles erspart geblieben… Viele Jahre später, als er in Ägypten, als Vizekönig zu Amt und Würden gelangt war, wertet er die Ereignisse um seinen Verkauf und Verrat durch die Geschwister so: „Nicht ihr habt mich hierher gesandt, sondern G’tt…“ (1.B.M. 45:8)
Daraus entnahm der Kommentator den Grundsatz, der als Lehre dienen sollte: „Hacharitzut Scheker Wehagesera Emet.“ „Das zu sehr pflichtbewusste Bestreben des Menschen, über gewisse Grenzen hinaus, kann auch unredliche Gründe haben“ – wie bei Josef, der die Geschwister beim Vater anschwärzen wollte und daher eine harte Vergeltung erleiden musste. Und dennoch führte seine bittere Strafe nachträglich dazu, dass er zur Zeit der Hungersnot seiner Familie wie ein von G’tt gesandter Erretter aus der Not dienen konnte. So meinte Josef, dass G’tt ihn nach Ägypten geschickt hatte… Die Strafe diente der späteren Gerechtigkeit!
Im Falle der Tempelbefreier, der Hasmonäer, kann man eine Frage aufwerfen, die nach dem gleichen Grundprinzip wie im Falle Josefs beantwortet werden kann: Der Talmud bringt uns eine Erzählung über das Chanukka Lichtfest: Nach der Rückeroberung und Reinigung des Tempels zu Jerusalem von den griechischen Götzen wollte man den siebenarmigen Leuchter anzünden, jedoch fand man für dieses Kultgerät kein „reines, zerstossenes Olivenöl“, das laut der Gebote der Schrift erforderlich gewesen wäre. ... Nach längerem, eifrigen Durchforsten des Areals fand sich doch noch ein kleines Kännchen Öl, das das priesterliche Siegel trug. Damit war es möglich, den Leuchter anzustecken, und die Tempelweihe, auf Hebräisch: „Chanukkat Hamisbeach“ konnte stattfinden. Jedoch die geringe Menge an Öl hätte normalerweise nur für einen einzigen Tag gereicht! Das Pressen der Oliven für den weiteren Ölbedarf aber hätte noch etwa sieben bis acht Tage gedauert. Also wäre das Anstecken des Tempelleuchters, als Symbol für die Wiederaufnahme des Tempelbetriebes, nach einem Tag wieder unterbrochen gewesen. Dies hätten die Frommen im Volke als unnötigen Rückschlag empfunden.
Dennoch wirft man auch in diesem Fall der jüdischen Geschichte die Frage auf: War die emsige Suche nach reinem Öl nicht übertrieben? Wäre es nicht eher angebracht gewesen, den Leuchter „in Betrieb zu nehmen“ mit einem für eine längere Zeitspanne ausreichenden Brennstoff, wenn auch ohne die Qualitätsmerkmale der Reinheit des Öls? Wäre die eifrige Suche nach reinem Öl ergebnislos geblieben, hätten die Hasmonäer den Leuchter, die Menora, doch auch mit gewöhnlichem Öl angezündet. Dies wäre ein „Geserat Emet“, gewesen! Also ein vorübergehendes rabbinisches Dekret, das als vorbeugende Massnahme erlassen wurde, um den Bedürfnissen der Zeit gerecht zu werden. Erfahrene Toragelehrte weisen darauf hin, dass man in jenen besonderen Notsituationen genötigt war, am Altar des Tempels beim Gemeinschaftsopfer nicht immer nur reine Substanzen zu tolerieren. Aber die Hasmonäer wollten das Gebot, das Licht im Tempel zu entzünden, gesetzmässig und einwandfrei erfüllen.
Die Hasmonäer riskierten also gewollt das Wunder, dass der Leuchter mit dem Öl des kleinen Kännchens doch eine Woche lang brennen würde. Sie taten dies, getrieben von den Erfolgen von Jehuda Hamakkabi gegen die hellenistischen Eroberer. Ihr Glaube, und sogar ihre Überzeugung, dass G’tt durch ein Wunder für sein bedrohtes Volk in die Geschichte eingreifen wird, hat sie gestärkt, ihre Ziele durchzusetzen. Ihr Glaube beseelt unser Fest, wenn wir allabendlich die Lichter in der Menora anzünden. Man stellt diese ans Fenster, damit das Licht in der winterlichen Dunkelheit den ungebrochenen Glauben und die Hoffnung auf Frieden verkündet.