Ilan Beresin
Erschienen im Böhlau-Verlag, Wien, 2018.
Herausgeberin: Elana Shapira; 475 Seiten mit zahlreichen meist farbigen Abbildungen, einem ausführlichen Register und Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren. (Begleitband zum gleichnamigen Symposion beim MAK Design Forum Vienna, 13.-14. Oktober 2016)
„Design spielte und spielt eine entscheidende Rolle für das soziale Leben und Umfeld der Juden in Wien… Die teils in Vergessenheit geratene jüdische Kultursprache und das sich florierend entwickelnde moderne Wienerisch (standen und) stehen (noch heute) in wechselseitiger Beziehung zu einander…“ schreibt Elana Shapira in ihrer Einleitung. Der erste Beitrag von Katharina Schoeller befasst sich mit Leben und Werk von Ludwig Förster (1797 - 1863). Sein Förderer und Mäzen war Louis Freiherr von Pereira-Arnstein. Förster war vielseitig begabt und schuf Bauwerke mit innovativen Baustoffen und Stilen sowie technologischen Neuheiten: erwähnt sei die Winterschwimmhalle des Dianabades. In den 1840-er Jahren bediente sich Förster moderner Formen des romantischen Historismus, die für den späteren Synagogenbau wegweisend sein sollten. Seine intensiven Überlegungen, welcher Baustil nun der geeignetste für einen Synagogenbau sei, spiegelten sich in der Errichtung der Synagogen im sogenannten „orientalisch-maurischen Stil“ in Wien-Leopoldstadt (1853/58) und Budapest (1854/59). Die folgenden Seiten widmen sich der Biographie Louis Pereiras und seinen Verflechtungen mit dem Wiener Kulturleben.
Der zweite Beitrag behandelt schwerpunktmässig die Synagogenbauten, die zwischen 1824 und 1930 entstanden sind. Ausgangspunkt war der Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse, erbaut in den Jahren 1824 bis 1826, mit Elementen des Barock und des Revolutionsklassizismus. Auf Grund der damaligen Bauvorschriften für akatholische G‘tteshäuser musste das Gebäude hinter einer Hausfassade verborgen bleiben. Höhepunkt des historistischen Synagogenbaues in Wien war der von Ludwig von Förster errichtete „Leopoldstädter Tempel“ mit dreigegliederter Westfassade, horizontal abschliessenden Risaliten und den sich in Türmen fortsetzenden Eckpfeilern. Diese „Kathedrale“ für insgesamt 3.000 Besucher wurde an Grösse und Pracht von keinem späteren Synagogenbau in Wien übertroffen. Es folgten Bauten im Stil der Neo-Renaissance, der Neo-Romanik, der Neo-Gotik und ein Gebäude im maurischen Stil. Bemerkenswert ist aber der von Hugo von Wiedenfeld errichtete „Türkische Tempel“, der im Aufbau am ehesten an ein islamisches Bethaus erinnert. Den Weg in die Moderne bahnte sich Ignaz Reiser, Höhepunkt seiner Bautätigkeit waren die Bauten am Wiener Zentralfriedhof. Den einzigen frei stehenden Tempelbau der Zwischenkriegszeit schuf Artur Gruenberger für Wien-Hietzing. Der nächste Beitrag behandelt jene Bauten der Wiener Ringstrasse, deren Bauherren dem jüdische Grossbürgertum entstammten. Erwähnt seien die Palais Epstein, Ephrussi, Schey und Todesco, allesamt im Neo-Renaissance-Stil gehalten. Ein eigener Artikel ist dem 1880 errichteten Palais Goldstein am Schottenring gewidmet, wo sich nach dem 2. Weltkrieg über Jahre hinaus der Sitz der Israelitischen Kultusgemeinde befunden hatte. Architekt war Wilhelm Stiassny, dessen Statuen über dem Haupteingang weniger an griechische, sondern an jüdische Gestalten aus der Antike erinnern.
Breiter Raum wird im Rahmen dieses Symposions auch der Innendekoration gewidmet. Emilie Bach, eng verbunden mit der Wiener Sezession und Wiener Werkstätte, profilierte sich als modernistische Trendsetter in der Textilkunst. Ein weiterer Beitrag betrachtet das farbenfrohe Interieur in Freuds Wohnung. Die schillernde, vielfarbige Kulisse in seiner Praxis bot eine geeignete Atmosphäre für Traumdeutung und psychoanalytische Behandlung. Den nachhaltigsten Einfluss auf die Wiener Wohnkultur übte Josef Frank aus. Er erschloss mit seinen Entwürfen Wege, wie man heute noch sinnvollerweise kleine, niedrige Räume mit Leben erfüllt. Vor einem weissen Hintergrund stelle man einerseits alte, vielleicht im Familienbesitz befindliche Möbelstücke auf, anderseits filigrane, teils farbenprächtige Möbelanfertigungen. Empfohlen werden Tapezierungen mit oft hellen, erfrischend wirkenden Stoffmustern, wie man sie heute wieder käuflich erwerben kann.
Um wieder auf das Thema Architektur zurückzukommen, sei auf die Schule Carl Königs und seiner Schüler hingewiesen. Er war Rektor der Technischen Hochschule Wien (Heute TU). Seine Bauten folgten einer konservativen Bauweise der Neorenaissance und des Neobarock. Er versammelte eine Reihe von Schülern, die wie beispielsweise Alois Augenfeld und Oskar Strnad, moderne Strukturen und Formen in sich vereinigen konnten. König bildete einen Gegenpol zu Otto Wagners Meisterschule. Wagners Ästhetik war den neuen Konstruktionen und Funktionen angepasst. In Wien ist er allseits präsent!
König sollte aber auch nicht unterschätzt werden, er schuf u.a. den Philipphof, das Haus der Industrie, die Produktenbörse und das Palais Herberstein. Alle diese Gebäude, die auch heute sehr elegant wirken, verleihen Wien eine traditionell-liebevolle Note. Ein wichtiger Schüler Carl Königs war Oskar Marmorek, den eine enge Freundschaft mit Theodor Herzl verband. Er schuf zahlreiche Mietshäuser, unter anderem den Rüdiger-Hof an der Rechten Wienzeile und den Nestroy-Hof in der Praterstrasse. „Mit nach eklektischen Gesichtspunkten eingesetzten Stilelementen gelang es ihm, stimmige Bauten zu schaffen…“ Für den Autor dieses Artikels „blitzen“ die Bauten Marmoreks wie „Diamanten“ inmitten der üblichen Jugendstilhäuser.
Vier Beiträge sind erfolgreichen, emanzipierten Frauen der Zwischenkriegszeit gewidmet. Besonders hervorgehoben sei Eugenie Schwarzwald, die ihre Schulen von Adolf Loos ausgestalten liess, um ihren Reformkonzepten einen entsprechenden innenarchitektonischen Rahmen zu geben.
Weitere Persönlichkeiten, die dieser Zeit ihren Stempel aufdrückt hatten, waren Vally Wieselthier mit ihren Skulpturen, Nelly Marmorek (die Gattin Oskars), Liane Zimbler, Annemarie Selinko und Lisl Weils. Es folgen kulturpolitische Skizzen über Theodor Herzl, Hermann Bahr, Otto Wagner, Adolf Loos, Joseph Roth, Stefan Zweig, Felix Salten, Josef Frank, Otto Neurath, Ernst Plischke und Jakob Wassermann. Der Beitrag 21 bringt den Plagiatstreit zwischen Jakob Levy Moreno und Friedrich Kiesler um die „Raumbühne“ (1924). Hier sind sich zwei prominente Juden unentwirrbar in die Haare geraten. Die Öffentlichkeit und die Presse verfolgten mit zunehmender Schadenfreude den Kampf der Streithähne. Das beweisen die Karikaturen „um die gestohlene Idee“. Zuletzt ist so viel Porzellan zerschlagen worden, dass beide Wien den Rücken kehrten. Eine Parallele schien sich Jahre nach dem 2. Weltkrieg anzubahnen, als sich Simon Wiesenthal und Bruno Kreisky „in die Haare gerieten“. Kreisky dürfte die damalige Affäre mit ihren Folgeerscheinungen gekannt haben und beendete auf schnellstem Wege mit einigen Zugeständnissen diesen Konflikt. Abschliessend sei festgestellt, dass dieses Buch mit seinen innovativen Aufsätzen wesentlich zum Verständnis der gegenseitigen Befruchtung im Wiener Kulturleben der Zwischenkriegszeit beiträgt.