Ausgabe

Die Juden in der ­Constitutio Criminalis Theresiana von 1768/1769

Stefan Schima

Inhalt

Mit 31. Dezember 1768 erliess Maria Theresia die Constitutio Criminalis Theresiana (CCTh; auch „Peinliche Gerichtsordnung“, „Nemesis Theresiana“, „Theresiana“). Der Kodex ist 1769 im Druck erschienen  und brachte eine weitgehende Vereinheitlichung des Strafrechts in den österreichischen Erbländern mit sich. Bevor die CCTh im Jahr 1787 durch das Josephinische Strafgesetz (JStG)  weitgehend abgelöst wurde,  war sie noch in Galizien und der Bukowina in Geltung getreten – Gebiete, die erst nach 1768 in den habsburgischen Herrschaftsbereich gelangten. Vor Inkrafttreten der CCTh waren für die einzelnen Länder im Wesentlichen Hals-Gerichtsordnungen massgeblich, und subsidiär weithin die Constitutio Criminalis Carolina von 1532  anzuwenden gewesen.  Einerseits wird die CCTh in Anbetracht der Betonung des Besserungszweckes von Strafen als fortschrittlich betrachtet, andererseits liess ihre Prägung durch den Inquisitionsprozess bzw. den Stellenwert der Folter diese Kodifikation schon zur Zeit ihrer Erlassung als nicht mehr zeitgemäss erscheinen.

Unter Maria Theresia blieb die Stellung der Katholischen Kirche als Staatskirche unangefochten. Ihre Politik gegenüber den Evangelischen war zwar vorwiegend durch die Bekämpfung des Geheimprotestantismus und die Zwangsumsiedlung Evangelischer aus Oberösterreich nach Siebenbürgen gekennzeichnet, doch machten sich unter ihrer Herrschaft Anzeichen gewisser Duldung insbesondere aus ökonomischen Gründen bemerkbar.  Die Rechtslage der Orthodoxen war eine durchaus differenzierte, in vielen Gegenden kam ihnen sogar das Recht der öffentlichen und damit nach aussen hin sichtbaren Religionsübung zu.  Die Lage der Juden war prekär. Grundsätzlich waren allfällige Aufenthaltsrechte mit jederzeit widerruflichen Privilegien verbunden. Hohe Abgaben, Verweigerung des öffentlichen Ämterzugangs und zahlreiche weitere Berufsbeschränkungen sind nur einige Beispiele für ihre bedrückende Lage. Diese wurde noch durch eine besondere Abneigung der Herrscherin unterstrichen, wobei Maria Theresia als „Urheberin der letzten grossen Massenvertreibung von Juden im vormodernen Europa“ zu betrachten ist.

In der CCTh wurden Nichtchristen an mehreren Stellen diskriminiert, wobei unter diesen die Anzahl der Muslime im Vergleich zu den Juden eine durchaus geringe war. Es kann davon ausgegangen werden, dass in jenen Passagen, in denen der Vorzug des Christlichen unterstrichen oder Nichtchristen bewusst schlechter behandelt werden sollten, die jüdische Bevölkerung als eigentliches Ziel einschlägiger Bestimmungen anvisiert war. Dieser Vorzug des Christlichen äussert sich zumindest plakativ in der Regelung der Milderungsgründe (Art. 11 § 11: „christlich geführter Lebenswandel“; vgl. im Besonderen in Hinblick auf „Zauberey, Hexerey, Wahrsagerey, und dergleichen“, Art. 58 § 14) und der Aufforderung, G‘tteslästerungen anzuzeigen (Art. 56 § 4: als Meldemotiv gab man „christlichen Eifer“ an). Konkreter war die Bevorzugung des Christentums in den Verjährungsbestimmungen ausgestaltet (vgl. insb. Art. 16 § 9 Pkt. 11). Die einschlägige Bestimmung behandelt den Verkauf einer christlichen Person an einen „Türken“ oder Juden als unverjährbare Straftat. Im Übrigen äussert sich die Orientierung der CCTh an christlichen Gegebenheiten etwa auch in den Vorschriften über das falsche Schwören bzw. den Meineid (Art. 59). Im Zusammenhang mit der Vollstreckung eines Todesurteils wurde die Beiziehung von Priestern angeordnet, die den Delinquenten zur Ablegung der Beichte bzw. den nachfolgenden Empfang anderer Sakramente ermahnen sollten (Art. 43 § 2 Pkt. 2), doch für jüdische Verurteilte war kein ihrer Religion adäquater letzter Beistand vorgesehen. In den Bestimmungen über die Leibesstrafen (Art. 6) findet sich eine Stelle, in der Juden ausdrücklich schlechter behandelt werden als Christen (§ 3 Pkt. 4): Unter bestimmten Voraussetzungen war die Auspeitschung christlicher Untertanen in die Rutenstrafe abzumildern, für jüdische Untertanen war dies nicht vorgesehen.

Was die einzelnen Tatbestände betrifft, so manifestierte sich die Benachteiligung von Nichtchristen v. a. in jenen Vorschriften, die den „Abfall vom christlichen Glauben“ regelten (Art. 57). Dabei ist zu beachten, „dass die Bestimmungen über die Religionsdelikte zu den härtesten und grausamsten der Theresiana gehören“.  Andererseits ist damit nichts über die Häufigkeit einschlägiger Deliktsbegehung bzw. -ahndung ausgesagt.  Getaufte, die „vom Christentum abfallen, und dargegen den jüdischen, mahometanischen, oder heydnischen Glauben annehmen“ (Abs. 1), waren grundsätzlich nicht nur mit der Konfiskation des Vermögens, sondern auch mit dem Tod durch das Schwert zu bestrafen, wobei im Fall der Verführung eines Christen zum Abfall von seiner Religion, die Todesstrafe sogar in noch schmerzhafterer Form vollzogen werden sollte (Abs. 2). In Art. 57 § 1 wird darauf hingewiesen, dass es hier etwa nicht um die Annahme einer christlich konnotierten ketzerischen Lehre geht. Diesbezüglich seien die einschlägigen Landesgesetze relevant.  In derselben Bestimmung waren allerdings auch Milderungsgründe vorgesehen, die ihrerseits so unbestimmt gestaltet waren, dass im Endeffekt „bei erheblichen Milderungsumständen nach richterlichem Ermessen irgendeine andere Strafe verhängt werden konnte“.

Ebenso deutlich zeigt sich eine Verachtung alles Nichtchristlichen anhand des Straftatbestandes der fleischlichen „Vermischung mit Unglaubigen“ (Art. 82), wobei den Richtern ausdrücklich untersagt wurde, die vorgesehenen Strafen ohne Einverständnis der Landesfürstin zu mildern (§ 1). Im entsprechenden Artikel waren auch Unzuchtstatbestände geregelt, die nicht mit diesem interreligiösen Hintergrund in Verbindung gebracht wurden. Auch auf diese bezog sich diese explizite Strafmilderungseinschränkung nicht. Ergänzend darf hier angemerkt werden, dass eine Ehe zwischen einer christlichen Person und einer nichtchristlichen Person aus staatlicher Sicht nicht gültig eingegangen werden konnte. Für unterschiedliche Begehungsvarianten war sowohl für die betroffene christliche als auch für die betroffene nichtchristliche Person der Tod durch das Schwert vorgesehen.    

Was weitere einschlägige Regelungen der CCTh betrifft, ist allgemein festzuhalten, dass Tatbestände geregelt waren, deren Begehung durch Nichtchristen bzw. Juden strenger zu bestrafen war, als wenn sie durch Christen begangen worden wären. Auch fanden sich Bestimmungen, die ausschliesslich Personen oder Güter schützten, die der christlichen bzw. hier im We-sentlichen katholisch-sakralen Sphäre zuzurechnen waren.

Einen zentralen religionsrechtlichen Tatbestand stellte die „G‘tteslästerung“ dar (Art. 56). Dieses Delikt war offensichtlich allein auf christliche Religionsvorstellungen zugeschnitten (die sich freilich mit jüdischen Vorstellungen überschneiden konnten). Insbesondere wurden die Dreifaltigkeit, die „Jungfrau“ Maria und Kruzifixe als Zielrichtung von Lästerungen benannt (§ 1). Als Erschwerungsgrund wurde es betrachtet, wenn der Täter Jude war: „Die Juden und dergleichen leichtfertige, lasterhafte Leute sollen auch schärffer, als andere gestraffet werden (§ 10 Pkt. 5).

Eine strengere Behandlung von Juden war auch im Zusammenhang mit „Nothzucht“ (Art. 76) vorzunehmen. Der eigentliche Tatbestand war folgendermassen umschrieben: „Wer einer unverleumdeten Jungfrauen, Wittib, oder Frauen mit Gewalt, und wider ihren Willen ihre jungfräulich – oder weibliche Ehre nimmt, der begehet das Laster der Nothzucht“ (§ 1). Eine strengere Bestrafung war vorzunehmen, wenn „ein Jud eine christliche Person oder Jemand eine geistliche Person schwächtete“ (§ 7 Pkt. 5; der Täter sollte „nach der Enthauptung auf das Rad gelegt werden“). Was die an einer „geistlichen“ Person verübte Notzucht betrifft, musste diese zur Erfüllung des Tatbestandes weiblich sein (vgl. § 1). Im Wesentlichen konnte es dabei um christliche bzw. katholische Nonnen gehen, wobei damit auch anhand dieser einschlägigen Wortfolge eine hervorgehobene Behandlung des Christentums sichtbar wird. Ähnlich war das Delikt der gewalttätigen Entführung einer „Weibsperson“ (Art. 79) strukturiert. Auch hier trat ein verstärkter Schutz christlicher Ordenspersonen zutage (§§ 1 und § 6 Pkt. 1). Im Übrigen war es als Erschwerungsgrund zu betrachten, wenn „ein Jud eine Christin raubet, und schändet“ (§ 6 Pkt. 1). Ein weiterer einschlägiger Tatbestand war „Kirchendiebstahl“ (Art. 95). Nicht geschützt waren zweifelsohne jüdische Kultstätten und als Erschwerungsgrund galt es, wenn „einer aus der entfremdeten Monstranzen, oder Kelch die H. Hostien nähme, und solche g‘ttlosen Leuten zu aberglaubischen Gebrauch, oder den Juden verkauffte“ (§ 7 Pkt. 2). Die Erfüllung des Straftatbestands des Menschenraubs (Art. 98; Grundtatbestand war im Wesentlichen die Entführung zu ökonomischen Zwecken) war als erschwerend zu beurteilen, „wenn Christenkinder durch Juden aufgefangen würden, oder wenn wer einen Christen an Heiden, Juden, oder Türken verkauffete“ (§ 2; Hinrichtung durch Feuertod oder „Radbrechung“ statt durch das Schwert).

Der betont religiös-christlichen Ausrichtung der CCTh kann das JStG insofern gegenübergestellt werden, als dieses einerseits bei weitem nicht in diesem Ausmass von religiösen Bezügen getragen war und andererseits strafrechtlicher Schutz auch „einer geduldeten Religion“ zukommen konnte (Teil II § 62: Schutz einer öffentlichen g‘ttesdienstlichen Übung). Dabei ist festzuhalten, dass etwa in Niederösterreich und Wien öffentliche Religionsübung durch Juden grundsätzlich nicht gestattet war, sehr wohl hingegen etwa in Böhmen, Mähren und Galizien. Eine deutliche Bevorzugung des Christentums blieb insofern erhalten, als die Verleitung zum Abfall vom christlichen Glauben strafbar blieb, dies aber nur, wenn diese „durch falschen Unterricht oder Ränke“ erfolgte (Teil II § 64). Die Person, die sich vom Christentum ab- und etwa dem Judentum zugewandt hatte, wurde durch das JStG allerdings nicht mehr mit Strafe bedroht.

Leider ist es im gegebenen Rahmen nicht möglich, auf weitere Regelungen Josephs II. und seiner Nachfolger einzugehen, die sicherlich interessante Fakten zutage fördern würden.

 

1
Gedruckt erschienen Wien 1769. Für die vorliegenden Ausführungen wurde die Nachdruckausgabe Graz 1993 verwendet.

2  Justizgesetzsammlung Nr. 611/1787.


Für den Bereich des Militärs blieb sie allerdings im Wesent­lichen bis 1855 in Geltung: Egmont Foregger, Zur Constitutio Criminalis Theresiana. Anhang zur Nachdruckausgabe Graz 1993, S. 3.

4
Ernest von Kwiatowski, Die Constitutio Criminalis Theresiana. Ein Beitrag zur Theresianischen Reichs- und Rechtsgeschichte, Linz 2014 (Nachdr. der Ausg. Innsbruck 1904), S. 37.


Nachdr.: proLibris Verlagsgesellschaft (Hg.), Constitutio Criminalis Carolina. Peinliche Gerichtsordnung Karls V., Linz 2015.


Siehe Kwiatowski, Constitutio, S. 25–28; Ernst C. Hellbling, Grundlegende Strafrechtsquellen der österreichi-schen Erbländer vom Beginn der Neuzeit bis zur Theresiana. Ein Beitrag zur Geschichte des Strafrechts in Österreich, bearbeitet und hg. v. Ilse Reiter, Wien 1996. Auch die Theresiana ist ausführlich besprochen und beson-ders wird an diesem Werk deutlich, dass die Theresiana im Vergleich zu früheren einschlägigen Rechtsquellen v.a. in Bezug auf Religionsdelikte rigoros ausgestaltet war.


Karin Bruckmüller, Constitutio Criminalis Theresiana 1768, in: Thomas Olechowski, Richard Gamauf (Hg.), Studienwörterbuch Rechtsgeschichte & Römisches Recht, Wien 32014, S. 79.


Stefan Schima, Die Rechtsstellung der Evangelischen in Österreich zwischen der Erlassung des Toleranzpatents und der Revolution von 1848. Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 127/128 (2011/2012), S. 204–261, 211f.


Ernst Christoph Suttner, Kirche und Nationen. Beiträge zur Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu den Völ-kern und der Völker zur Religion (Das östliche Christentum NF 46), Würzburg 1997, S. 257–259.

10
Barbara Stollberg-Rilinger, Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, 62019, S. 636. Die Autorin bezieht sich auf die Prager Judenverfolgung von 1744.

11
  Foregger, Constitutio, S. 21.

12
  Statistischen Ausführungen zur CCTh bei Kwiatowski, Constitutio, S. 44–50, ist wohl (mittelbar) zu entneh-men, dass Religionsdelikten keine grosse praktische Bedeutung zukam.

13
  Zu diesen siehe Inge Gampl, Staat – Kirche – Individuum in der Rechtsgeschichte Österreichs zwischen Re-formation und Revolution (Wiener Rechtsgeschichtliche Arbeiten 15), Wien 1984, S. 56.

14  Foregger, Constitutio, S. 22.