Krystyna Julia Tausch
Paweł Wieczorek
Żydzi w Wałbrzychu i powiecie wałbrzyskim 1945-1968.
(Die Juden in Stadt und Landkreis Wałbrzych) Wydawca, IPN, Wrocław–Warszawa 2017, 368 s., (Serie „Historia Dolnego Śląska”), ISBN: 978-83-61631-89-1.
Das Buch ist das Ergebnis von Archivrecherchen, Literaturstudien und zahlreichen Gesprächen des polnischen Historikers Paweł Wieczorek, der die jüdische Diaspora zweier Generationen von 1945 bis nach 1968 im niederschlesischen Industriegebiet von Walbrzych präsentiert. Das besondere an der Darstellung ist, dass dies gerade die Zeit nach dem II. Weltkrieg und der Shoah war. Viele Juden waren Gefangene im Konzentrationslager Gross-Rosen (poln. Rogoźnica) in Niederschlesien, ganz in der Nähe. Viele kamen aus der Sowjetunion und anderen Teilen Polens.
Sie waren psychisch und physisch verwundet. Manche wollten in die ursprünglichen Schtetle zurückkehren, aber die feindliche Haltung vieler ihrer früheren polnischen Nachbarn und die Verwüstung der Gräber der Verwandten und Freunde hinderten sie daran.
In Niederschlesien war es anders. Dort waren sie Fremde wie andere, weil in dieses Gebiet nicht nur Polen aus Ostpolen, sondern auch polnische Repatrianten aus Frankreich, Deutschland und Belgien zuwanderten. Man hat verschiedene Sprachen gehört, verschiedene Akzente und verschiedene Kulturen beobachtet.
Trotz des immerwährenden Antisemitismus haben polnische Bürger jüdischer Herkunft einen bedeutenden Einfluss auf die Gestaltung des sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und zum Teil des politischen Lebens gespielt. Sie haben gezeigt, dass man auch – trotz der Tragödien – aktiv und kreativ sein kann.
Viele Juden haben in den Kohlengruben, im Hüttenwesen und in den Kokereien gearbeitet. Sie waren sehr motiviert, sich weiterzubilden, um auch andere Berufe auszuüben. Es gab auch viele Ärzte, Lehrer, Handwerker und Bäcker. Manche wollten auch frühere Berufe im Handel ausüben und gründeten Genossenschaften, die eine hervorragende Arbeit leisteten, z.B. die Textil-Produktionsgenossenschaften „Warynski“, „Dua“ und „Botwin“. Am Anfang hat man die Genossenschaften toleriert, später, in Folge der Konkurrenz mit den staatlichen Betrieben und in Folge der Verstaatlichung, wurde die Arbeit der Genossenschaften eingeschränkt.
Schon in den 1940-er Jahren gründeten sie jüdische, religiös geprägte Schulen und auch verschiedene Organisationen. Eine hervorragende Rolle spielte die Towarzystwo Spoleczno-Kulturalny Żydów, die jüdische Sozial-Kulturvereinigung, die eine Vermittlung zwischen der jüdischen Bevölkerung und den staatlichen Behörden spielte.
Im Jahr 1948 ist in Wałbrzych ein jüdisches Theater entstanden. Damit wurde der Grundstein für die Gründung des Szaniewski-Theaters, das heutige Stadttheater Wałbrzych, gelegt.
Eine grosse Rolle bei der Integration der angekommenen, nicht nur jüdischen Bevölkerung, spielte die PPR (Polnische Arbeiterpartei), die versuchte, ihre Anhänger auch unter den Juden zu finden. Ihr Bemühen war, auch gegen den Antisemitismus aufzutreten, um neue Wege der linken Ideologie zu bahnen und international gut zu stehen. Die Mitgliedschaft in der Partei erweckte bei manchen Juden die Hoffnung auf ein besseres Morgen, und wurde als ein Akt der Emanzipation nach der Shoah empfunden, indem man neue Werte und eine neue Ideologie und vor allem Sicherheit suchte. Die Anwesenheit der Roten Armee in Niederschlesien und ein gewisses Konkurrenzdenken, aber auch ein Mangel an Bildung und der Antisemitismus der ländlich geprägten polnischen Bevölkerung bewirkte Konflikte innerhalb und ausserhalb der Partei bewirkt, bis hin zu Kündigungen, Aggressionen und Morddrohungen. Die Reaktion der jüdischen Bevölkerung war die Emigration, die sich nach der Liberalisierung im Jahr 1956 verstärkte.
Zwei Ereignisse der damaligen Zeit haben die Entwicklung in dieser Region geprägt: das Pogrom in Kielce 1946 und die Gründung Israels im Jahr 1948. Einerseits Angst und Verzweiflung, andererseits dann Hoffnung auf eine andere Zukunft der Juden in der Welt. Viele Juden wollten Polen verlassen, was anfangs von den Behörden sehr negativ beurteilt wurde.
Angesichts der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme wollten viele polnische Bürger jüdischer Herkunft nicht nur emigrieren, sondern doch bleiben, aber ihre jüdische Identität verstecken und laizistisch sein. Die Regierung manipulierte noch zusätzlich die öffentliche Meinung und nutzte die antisemitischen Strömungen aus, um negative Einstellungen gegen die Juden zu schüren. Viele Juden betrachteten ihren Aufenthalt in Polen und in der Woiwodschaft Wałbrzych nur als eine vorübergehende Bleibe betrachtet.
Allein von 1949 bis 1950 verliessen 3000 Juden Niederschlesien. Es gab immer wieder Schwierigkeiten seitens der staatlichen Behörden. Wie der Autor selbst zugibt, ist es schwierig, die Zahl der jüdischen Emigranten präzise anzugeben. Es ist aber angebracht, trotzdem eine Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung zu nennen, die Laut „The YIVO Encyclopedia of the Jews in Eastern Europe“ wie folgt ist: lebten 1945 in Niederschlesien 110.000 Juden, nach dem Kielce-Pogrom sank die Zahl auf 53.000, und nach 1968 verblieben nur mehr 3.500 in Niederschlesien.
(vgl. http://www.yivoencyclopedia.org/article.aspx/Silesia)
Das Buch bietet viele Materialien und Dokumentationen. Es ist ziemlich umfangreich und verlangt vom Leser viel Aufmerksamkeit und Mühe. Es ist eine Einladung, sich mit dieser kurzen jüdischen Diaspora, die einen bunten Schwung in das Leben der Woiwodschaft Wałbrzych gebracht hat, zu befassen und ein Verständnis für die Menschen, die so viel erlitten und geleistet haben, zu entwickeln.
Juden lebten viele Jahrhunderte in Polen und bis zum heutigen Tag ist vieles nicht verarbeitet worden. Die Lektüre lohnt sich, nicht nur, wenn man – wie die Rezensentin selbst – dort aufgewachsen ist.