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Wachgeküsst zu Yom Kippur – nach 99 Jahren Dornröschen schlaf

Yaron Goldammer

Die alte Land-Synagoge der mecklenburgischen Kleinstadt Krakow am See, in der 99 Jahre kein Gebet stattfand, erlebte an diesem Yom Kippur eine Renaissance.

Inhalt

Nach 99 Jahren küssten Beter, die aus Berlin, aus Schleswig-Holstein, MecklenburgVorpommern und sogar aus Israel angereist waren, die 1866 im neuromanischen Stil erbaute Synagoge aus ihrem religiösen Dornröschenschlaf wach.

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Fotos: Wolfgang Blech, mit freundlicher Genehmigung.

“Yom Kippur – mal anders”,  lautete das Einladungsmotto der egalitären Synagogen-Gemeinde Bet Haskala, die sich selbst als “kleine Synagoge im Norden Berlins” bezeichnet und für den Versöhnungstag des Jahres 5780 die ebenso kleine aber feine Synagoge im Norden Deutschlands entdeckt hat. Der Kulturverein Alte Synagoge in Krakow am See e.V., der das schmucke Gebäude mit Satteldach und gelber Klinkenfassade seit 1995 hegt und pflegt und ihn mit Kunstaustellungen, Konzerten und Filmabenden belebt, war, laut dem Vereinsvorsitzenden Kurt Höffgen, von Anfang an sehr angetan von der Idee die ehemalige Synagoge wieder “im ursprünglichen, jüdisch-religiösen Sinn” zu nutzen.

“Wir wollten mal was anderes machen, wollten Yom Kippur mal nicht im Grossstadttrubel verbringen. Hier in Krakow können wir Teile der Gebete in der Natur und am Wasser abhalten, das kommt gut an”, sagte Benno Simoni, Vorsitzender von Bet Haskala, der auf Anregung von Kantorin Mimi Sheffer dieses Juwel im Norden entdeckte und die zweieinhalbtägige Reise mit tatkräftiger Unterstützung des Kulturvereins Alte Synagoge und des Krakower Bürgermeisters Jörg Oppitz (parteilos), organisierte. Insgesamt meldeten sich 40 Teilnehmer für die spirituelle Landpartie zu Yom Kippur an. Eine der Teilnehmerinnen, Marguerite, Kinderärztin aus Berlin, schwärmte:  “Das war Yom Kippur wirklich mal anders”, und freute sich besonders über das familiäre, dörfliche Umfeld und die Vielfalt der Teilnehmer von 0-90 Jahren aus verschiedensten Himmelsrichtungen. Für sie war es, “völlig unerwartet, dass ein Dorf in Mecklenburg mir die Ruhe und Möglichkeit gibt, mich sicher und aufgenommen zu fühlen.” Auch ein paar interessierte Leute aus Krakow schauten kurz rein, so zwei junge Religionslehrerinnen aus der Umgebung, die sich Informationen zum Judentum mal aus erster Hand holen wollten und sich von der schönen musikalischen Gestaltung durch Kantorin Mimi Sheffer und Pianist Albrecht Gündel-vom Hofe verzaubern liessen.

“Ein echter Mentsch“ sei Rabbiner Konstantin Pal, lobte die 84-jährige Maya den jungen Rabbiner, der zusammen mit der Kantorin Sheffer die G‘ttesdienste leitete. Maya verlebte ihre Kindheit in einem Kibbutz in Israel und verbrachte die letzten 55 Jahre in Berlin und hat, wie viele andere eher säkular aufgewachsenen Israelis, bei Bet Haskala ein religiöses Zuhause gefunden. Naomi, eine junge Mutter und Lehrerin, die mit ihrem Baby und nicht-jüdischem Ehemann aus Berlin anreiste, sorgte sich sehr um die Sicherheit, als am Mittwochnachmittag während eines Workshops für Jiddische Lieder von Anna Werlikov die ersten Meldungen des grauenhaften, rechtsradikalen Amoklaufs aus Halle die Runde machten. Glücklicherweise hatte die Stadt Krakow sich schon weit im Vorfeld um ein professionelles Sicherheitskonzept gekümmert und Bürgermeister Oppitz konnte die Beter damit beruhigen. Die Pogromnacht 1938 überstand das Gebäude übrigens völlig unbeschadet, da durch die wirtschaftliche Landflucht im frühen 20. Jahrhundert die stark ausgedünnte jüdische Gemeinde von Krakow das Gebäude im Jahr 1920 mit der Auflage zur öffentlichen Nutzung an die Stadt veräusserte. So erfuhr das Gebäude für mehrere Jahrzehnte eine Nutzung als Turnhalle und kurzzeitig auch als Saal für die katholische Gemeinde. Die letzte jüdische Krakowerin, Rosa Feldmann (sel. A.), starb 1936, und ist auf dem gut gepflegten, jüdischen Teil des örtlichen Friedhofs beigesetzt, welcher nach Restaurierung 2006 vom legendären Landesrabbiner William Wolff wieder eingeweiht wurde.

Es wird sicher nicht ein weiteres Jahrhundert vergehen, bis in dieser Synagoge wieder das „Shma Israel“ erklingt. Der Bürgermeister liess die Beter wissen, wie herzlich willkommen sie hier seien und wünscht sich eine baldige Wiederkehr der jüdischen Besucher und bitte nicht erst in 99 Jahren.