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„Die Festspiele ­waren in ­gewisser Weise immer politisch“

Marianne Enigl

Salzburgs Landeshauptmann ­Wilfried Haslauer im Gespräch über das 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele, seinen Eindruck von ­jüdischem Leben heute und über ­seine Wertschätzung für den lang­jährigen Präsidenten der Kultusgemeinde Salzburg Marko Feingold s.A., der 106jährig verstorben ist.

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Landeshauptmann Wilfried Haslauer und
Präsident Marko Feingold

Foto: LMZ/Neumayr,
mit freundlicher
Genehmigung:
Büro Landeshauptmann
Haslauer

Inhalt

DAVID: Herr Landeshauptmann, was werden Sie denn am 22. August kommenden Jahres machen?

Wilfried Haslauer: Soll ich nachsehen? Gibt es einen besonderen Anlass?

 

DAVID: Am 22. August 1920 sind in Salzburg zum allerersten Mal die „Jedermann“-Rufe erschollen und in der Stadt wird einhundert Jahre danach mit einem grossen Fest daran erinnert werden.

Wilfried Haslauer: Ja, ich bin natürlich da und dabei. Einhundert Jahre Salzburger Festspiele sind ein aussergewöhnliches Ereignis.

 

DAVID: Wie soll man ein solches Jubiläum begehen?

Wilfried Haslauer: Begehen ist ein sehr guter Ausdruck für dieses Jubiläum. Denn es gab in diesen einhundert Jahren ja grandiose künstlerische Leistungen, Uraufführungen, Auftragswerke, es gab aber auch politische Instrumentalisierungen sonder Zahl. Die Festspiele waren in gewisser Weise immer politisch, sie wurden ja aus einer politischen Idee heraus gegen den Krieg und für ein humanistisches Menschenbild gegründet. Das Ständestaatsregime hat dann versucht, auch an den Festspielen zu zeigen, dass Österreich das bessere Deutschland ist, in dieser Zeit vor 1938 sind die Salzburger Festspiele vom Nationalsozialismus bekämpft worden. Interessanterweise hat die 1000-Mark-Sperre, mit der 1933 nach Hitlers Aufstieg der deutsche Tourismus nach Österreich gestoppt worden ist, zwar enormen wirtschaftlichen Schaden hinterlassen, aber auch ganz andere Gästeschichten gebracht.

 

DAVID: Historiker Robert Kriechbaumer von der Haslauer Bibliothek schreibt im Buch Zwischen Österreich und Grossdeutschland – eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944 (Böhlau Verlag, Wien 2013), dass während der 1000-Mark-Sperre „eine Art jüdischer Solidarität zugunsten von Salzburg“ eingesetzt habe.

Wilfried Haslauer: Es sind jüdische Gäste etwa aus den USA gekommen aber auch jüdische Künstler und Komponisten, die in NS-Deutschland nicht mehr auftreten durften. Im Dritten Reich haben die Nationalsozialisten die Festspiele für sich instrumentalisiert, nach Kriegsende 1945 versuchte die amerikanische Besatzung die Salzburger Festspiele dann politisch als eine Art Gegenprogramm gegen das von den Sowjets kommunistisch dominierte Wien zu formen.

 

DAVID: Können Sie sich Salzburg ohne die Festspiele vorstellen?

Wilfried Haslauer: Nein, Salzburg ist ohne die Festspiele nicht mehr denkbar. Sie prägen unsere DNA in gewisser Weise, ohne sie wäre die Stadt einfach eine schöne unter anderen im süddeutschen Sprachraum. Die Festspiele machen uns in besonderer Weise international.

DAVID: Eine Salzburger Journalistenkollegin erzählte, mit dem Namen von Festspielgründer Max Reinhardt sei sie aufgewachsen – dass Reinhardt Jude war, habe sie in Salzburg jedoch nie sondern erst während ihres Studiums in Wien gehört.

Wilfried Haslauer: Max Reinhardt war jüdisch und wurde hier in der Stadt ja auch massiv angefeindet.

DAVID: In der Erinnerung der Salzburger Kollegin wurde darüber während Ihres Aufwachsens nie geredet.

Wilfried Haslauer: Das Thema ist im Unterricht ja ausgeklammert worden. Wir wissen um die Versäumnisse der Schulen und der früher praktizierten Lehrpläne, die beim Ersten Weltkrieg geendet haben. Faktum ist, dass es nach Ende des Ersten Weltkriegs hier kurze Zeit ja sogar ein Beherbergungsverbot gab, weil es hiess, Touristen essen den Einheimischen die Lebensmittel weg.

 

DAVID: Wer damit vor allem getroffen werden sollte, hat Historiker Kriechbaumer in seinem Buch Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (Böhlau Verlag, Wien 2002) beschrieben. In Mattsee etwa wurden in der Nachkriegs-Hungersnot im Sommer 1920 wegen der ungesicherten Verpflegung für Touristen Aufenthaltsbeschränkungen erlassen – und Punkt Eins bestimmte, Aufnahme würden ausschliesslich Deutsch-Arier finden.

Wilfried Haslauer: Nach 1918 war die Rede von Kriegsgewinnern und Spekulanten. Und dann kamen eben Max Reinhardt, Hugo von Hoffmannsthal und Richard Strauss und haben die Festspiele ins Leben gerufen. Sie sind recht holprig gestartet, waren nach drei Jahren praktisch pleite, haben einmal auch nicht stattgefunden, sich dann aber G‘tt sei Dank sehr gut entwickelt. Die Feiern und Partys der Gäste von Reinhardt auf Schloss Leopoldskron wurden dann sehr für antisemitische Vorurteile instrumentalisiert. Man hat zwar gern die Touristen gesehen und das Geld genommen, aber irgendwie waren den Salzburgern die Festspiele suspekt. Heute stehen die Salzburger zu ihren Festspielen, mit Betonung auf „ihren“ Festspielen. Wir sind sehr dankbar, dass wir sie haben dürfen.

 

DAVID: Das Jüdische Museum Wien wird ab März 2020 eine Ausstellung Jedermanns Juden zeigen. Bedeutet das, dass das Jüdische an den Festspielen von Salzburg nach Wien ausgelagert wird?

Wilfried Haslauer: Auslagerung? Nein. Es ist eine Eigeninitiative des Jüdischen Museums Wien, wirklich wunderbar. Das jüdische Thema wird sicher auch bei der Landesausstellung Grosses Welttheater zum Festspiel-Jubiläum hier in Salzburg eine Rolle spielen. Das ist halt auch unsere Geschichte und wir bekennen uns auch zu dieser Geschichte.

 

DAVID: Die Salzburger Nachrichten haben im Vorjahr darüber geschrieben wie Juden heute in Salzburg leben. Jüdische Salzburger berichteten, dass es zum Beispiel kein koscheres Lebensmittelgeschäft und jüdisches Leben in Salzburg einfach nicht gibt. Niemand von ihnen wollte mit seinem Namen aufscheinen und Historiker Albert Lichtblau sagte, ihre „Angst vor Spott und Ausgrenzung ist alltäglich.“

 

Wilfried Haslauer: Es ist so, dass es kein Thema ist. Es wird nicht mehr identifiziert oder festgemacht, ob jemand Jude ist oder nicht. Über das sind wir einfach hinaus. Auch bei den vielen Künstlern, die kommen und jüdisch sind oder das von ihrem Namen her vielleicht vermuten lassen, wird das in keiner Weise diskutiert. Das ist eine positive Entwicklung. Dass natürlich eine eigene grössere Kultusgemeinde mit einem Rabbiner zur Vielfalt in unserer Stadt und unserem Land beitragen könnten steht ausser Zweifel. Es gibt jetzt Bemühungen und Gespräche, in Salzburg ein koscheres Hotel einzurichten und zum Beispiel in Gastein oder Saalbach gibt es koschere auf jüdische Gäste spezialisierte Hotels.

 

DAVID: Ende September ist mit Marko Feingold (1913–2019) der älteste Überlebende der Shoah in Österreich verstorben. Noch in seinem letzten Interview mit den Salzburger Nachrichten Ende Juli hat er sich „eine jüdische Gesellschaft in Salzburg, nicht nur in Wien“ gewünscht. Wie erinnern Sie ihn?

Wilfried Haslauer: Marko Feingold habe ich sehr geschätzt. Er war ein reizender Mann, ein Mann mit einem wunderbaren Humor und einer sehr ausgeprägten Selbstironie. Er war enorm aktiv ohne aufdringlich zu sein. Er war immer präsent und hat sehr viel zu Versöhnung beigetragen.

 

DAVID: Haben Sie Die letzten Zeugen im Burgtheater gesehen, wo Marko Feingold in den Jahren 2013 und 2014 mit fünf weiteren Überlebenden in einer berührenden Inszenierung von Doron Rabinovici Matthias Hartmann und aufgetreten ist?

Wilfried Haslauer: Leider, das habe ich nicht gesehen.

 

DAVID: Marko Feingold ist vielfach gewürdigt worden. Einmal meinte er in seiner offenen kritischen Weise, er habe viele Auszeichnungen – „Für jeden Schmarren hab ich was gekriegt, aber Juden mögen sie bis heute in Salzburg nicht.“

Wilfried Haslauer: Das ist meine persönliche Wahrnehmung nicht. Es ist bei uns kein Thema.

 

DAVID: Jüdische Menschen können es anders erleben.

Wilfried Haslauer: Das kann sein, natürlich sind jüdische Menschen auch traumatisiert angesichts dessen, was ihnen passiert ist, auch in Salzburg passiert ist. Es macht einen schon nachdenklich, wenn man die vielen Gedenksteine vor Häusern sieht, aus denen Menschen verjagt worden sind. Unsere Generation hat keine Schuld. Aber als Volk haben wir da schon eine ganz besondere Verantwortung.

 

DAVID: Haben Sie von Marko Feingold etwas Besonderes für sich mitgenommen?

Wilfried Haslauer: Seinen Humor. Seine ausgestreckte Hand. Und seine Abgeklärtheit.