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Höhere Weihen für den Antisemitismus: Forscher und Denker im 21. Jahrhundert

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Clemens Heni: Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism. Studies in Antisemitism / Studien zum Antisemitismus. Bd. 3 (www.editioncritic.de)
Berlin: Edition Critic, 2013
xit + 648 Seiten, einschl. Register und Bibliografie. Softcover (15,24x22,86 cm) Englisch.  Euro 33,00
ISBN 978-3-9814548-5-7

Viel ist schon über Antijudaismus und Antisemitismus geschrieben worden, sodass man meinen möchte, über dieses Thema sei alles schon gesagt und geschrieben worden. Aber nein! Wie in der Geschichte, in der Literatur und auch in der Kunst findet eine fortlaufende Entwicklung statt, finden neue Betrachtungsweisen Eingang und schlagen sich im Umgang mit einem bestimmten Thema nieder. Und genau diesem Phänomen geht Clemens Heni nach, einem ausgewiesenen Politikwissenschaftler und, 2011, Gründer des unabhängigen Think Tanks „Berlin International Center for the Study of Antisemitism  (BICSA)“, beraten und unterstützt u.a. vom renommierten Historiker und Antisemitismusforscher Robert Wistrich von der Hebräischen Universität Jerusalem, dem Islamismusforscher, Nahostexperten und Präsidenten des Middle East Forum (MEF) in Philadelphia, Daniel Pipes, ebenso wie vom Abgeordneten des Europa-Parlaments und litauischen Philosophen Leonidas Donskis (s. www.bicsa.org).
In seiner umfangreichen, in diesem Jahr auf Englisch erschienen Studie untersucht er einen Bereich, der bisher kaum beachtet wurde, nämlich wie steht die akademische Welt zu Holocaust, Gedenken und Entwicklung beider? Das Ergebnis seiner Studien ist erschreckend, spiegelt aber doch treu das subjektive Empfinden all jener wider, die sich, wenn auch weniger wissenschaftlich, mit diesem Thema befassen.
„Gegenwärtig erleben wir rund um den Globus eine weitgreifende, einflussreiche Bewegung, um die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu verzerren und die Einmaligkeit und den beispiellosen Charakter des Holocaust zu leugnen. ... Besonders bei der jüngeren Generation betrachten es anscheinend viele Wissenschaftler als ihre klare Aufgabe, den Holocaust als eine universale Erscheinung zu sehen und ihm seinen spezifisch antijüdischen Charakter abzusprechen“ (Heni, S. 231).
In einer kurzen historischen Einführung thematisiert Heni zunächst antijüdische Schlagwörter, die in der Vergangenheit gerne gegen Juden angeführt wurden. Als Beispiele seien Ahasver, die Mär vom ewigen, rastlos wandernden Juden, Mammon, hier im Verein mit dem Tanz um das goldene Kalb, dem die Juden so gerne frönen, und der alles verschlingende Moloch, man denke an die jüdische Weltverschwörung, angeführt. Als nichtakademische Vorreiter erkennt er Günter Grass und Joachim Gauck; der eine verteufelt Israel als Gefahr für den Weltfrieden, der andere bezeichnet die Sache mit dem Holocaust als eine Ersatzreligion, als Pfarrer hat man so seine eigenen Einsichten. Da haben es die heutigen Antisemiten und Israel-Hasser, die Holocaust-Leugner und Palästinenserfreunde von Ägypten bis Amsterdam und auch bei den zahlreichen in Deutschland lebenden Türken leicht, ihren Hass auf Juden und Israel zu artikulieren, den man -- der politischen Korrektheit sei Dank! – nicht als Antisemitismus zu bezeichnen wagt.
Anhand gut recherchierter Argumente führt Heni klar und erschreckend vor Augen, wie der heutige Antisemitismus von diesen „neuen Experten“ in Sachen Antisemitismus globalisiert und trivialisiert wird. Das beginnt damit, dass die einen ihn als Gruppen bezogene Menschenfeindlichkeit definieren, andere wie der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung Wolfgang Benz ihn mit Islamophobie gleichsetzen. Wieder andere gehen noch weiter in der Geschichte zurück und vertreten vehement die Meinung, der deutsche Kolonialismus in Afrika habe direkt zum Holocaust geführt. Beim 1969 geborenen Historiker Timothy Snyder, er lehrt an der Yale University, kommt der Holocaust in seiner umfassenden Studie Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin (New York, 2010) nur noch am Rand vor. Ein Grund mehr, ihn mit Lob und Preisen zu überschütten.
Ein weiteres Kennzeichen dieses neuen Trends ist die Verallgemeinerung des Holocaust, um Missstände auf der ganzen Welt anzuprangern. Es beginnt, wie schon erwähnt, mit dem Holocaust in Afrika, gefolgt vom Holocaust auf dem Balkan, dem Holocaust  in Kambodscha und reicht bis zum Holocaust in den Hühnerställen! Ja, eigentlich seien auch seine Symbole wie das Hakenkreuz und die SS weder in Ungarn noch in Litauen etwas Besonderes gewesen, sondern eher Bestandteil der allgemeinen Kultur. Und auch das: Der Kommunismus war mindestens so schlimm wie der Nazismus, siehe „Bloodlands“ von Timothy Snyder.
Aber auch unter Juden gibt es einige sehr prominente Wissenschaftler, die sich durch die Banalisierung des Holocaust auszeichnen und deshalb ganz besonders gerne als Beleg für die eigenen abstrusen Meinungen herangezogen werden. Das fängt bei Hannah Arendt an. Ihr vorausgegangen war schon Franz Rosenzweig, der sich heftig gegen den Zionismus wandte, und es geht weiter mit Martin Buber, der sich nachdrücklich für eine Zwei- oder war es eher eine Einstaatenlösung einsetzte. Statt sich mit seinem Fachgebiet zu beschäftigen, äußert sich der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky immer wieder sehr gerne gegen Israel und gegen Israelis. Und auch die jüngste jüdische Vertreterin in Sachen Judenselbsthass, Judith Butler, wird in Deutschland freudig begrüßt und mit Preisen überschüttet. 
Denn das ist dann das nächstliegende Thema: Die Holocaust-Leugner, -Trivialisierer, -Banalisierer und -Globalisierer zeichnet eins aus: Ihr abgrundtiefer Hass auf Israel und alles, wofür der einzige jüdische Staat der Welt steht. Israel ist eine Kolonialmacht, die das arme von ihm seit nunmehr schon vierzig Jahren unterdrückte palästinensische Volk nicht besser behandelt als die Nazis achtzig Jahre zuvor die Juden. Ja, die Palästinenser sind die Juden von heute. Für den Vorsitzenden der SPD Sigmar Gabriel ist Israel ein Apartheit-Staat, ähnliche Meinungen vertreten führende Vertreter sowohl der katholischen als auch der evangelischen Kirche, die die blühende palästinensische Stadt Ramallah gerne mit dem Warschauer Ghetto vergleichen.
Mehr als ein betroffener Jude hat aufgrund schmerzlicher Erfahrung geäußert: „In Deutschland liebt man tote Juden mehr als die lebenden.“ Denn, füge ich hinzu, sie können sich nicht mehr gegen abstruse Theorien wehren und sind somit weitaus bequemer als die noch lebenden.