Am 5. Mai 1945 befreiten Soldaten der US-Army das Konzentrationslager Mauthausen. Genau 68 Jahre später wurden dort neue Dauerausstellungen eröffnet, und mit dem „Raum der Namen" wird dort erstmals auch die Individualität der Opfer gewürdigt. Frau DDr. Barbara Glück leitet die Abteilung IV/7 im österreichischen Bundesministerium für Inneres, KZ-Gedenkstätte Mauthausen/ Mauthausen Memorial und zeichnet für die Neugestaltung verantwortlich.
DAVID: Die Auseinandersetzung mit den Überresten eines Konzentrationslagers bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Forschungsaufgaben und dem Trauern. Die Überlebenden der Lager, die bisher Träger des Gedenkens waren, sterben nun - was wird aus den von ihnen eingerichteten Gedenkstätten? Hans Marsalek, ehemaliger Mauthausen-Häftling und Begründer der dortigen Gedenkstätte, kommentierte Ihre Pläne zur Neugestaltung vor seinem Tod 2011 enthusiastisch: „Bin ich froh, dass ich das noch erleben darf!" Wie entwickelten Sie Ihren eigenen Zugang zu dieser komplexen Aufgabe?
Glück: Vor acht Jahren übernahm ich die Verantwortung für die Leitung der Gedenkstätte Mauthausen. Da sah ich diesen Ort plötzlich mit ganz anderen Augen, es ergaben sich viele zunächst ungeordnete Fragen - wo weiss man nichts, wo muss man etwas ändern. Die Ausstellung im Reviergebäude von Hans Marsalek hat mich zutiefst schockiert, eine solche Ausstellung darf man so heute nicht mehr zeigen. Das Lager, und ganz besonders die Gaskammer, ist ja ein Ort des Sterbens, aber auch ein Denkmal und Gedenkort, und zusätzlich archäologischer, museal genutzter Überrest. Historische Bedeutung und Funktionsweisen überlappen sich hier vielfach. Da hat sich mir die Sinnfrage gestellt - was ist der Sinn dieses Ortes? Was will ich dem Besucher mitgeben? Warum kommen Leute hierher? Kennst Du den Ort? Was erzähle ich denn?
DAVID: Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen ist die letzte ihrer Art, die einer Neugestaltung unterzogen wurde. Ähnliche Orte wurden in den vergangenen Jahrzehnten längst modernisiert, da gab es gute Vergleichsmöglichkeiten, wie man sich einem solchen Unterfangen nähern kann?
Glück: Zunächst haben wir archäologische Untersuchungen veranlasst, die Bauarchäologie hat uns Aufschluss über viele Fragen gegeben. Als Nächstes habe ich mir alle Gedenkstätten, die es in Europa gibt, angeschaut, eine Art Fact Finding Mission unternommen. Bertrand Perz, Florian Freund und Heidemarie Uhl bildeten hier in Österreich unser Expertenteam. Vor allem Jörg Skriebeleit, der Leiter der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Flossenbürg, hat uns sehr unterstützt - diese Institution wurde als letzte eröffnet, er hat viel Know How bereitgestellt. Auch der frühere Direktor der Museen der Stadt Nürnberg, Franz Sonnenberger, der das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände entwickelte, hat viel geholfen.
DAVID: Für welche Zugangsweise haben Sie sich schlussendlich entschieden?
Glück: Wir haben vor allem eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet, die nach zweijähriger Arbeit 2009 ein Rahmenkonzept präsentieren konnte. Die Aufgabe war, darzustellen, wie die drei angesprochenen Funktionen an diesem Ort bestehen können. Perz stellte fest, es gebe wenig Regeln fürs Gedenken. Das Gedenken hat sich an einem solchen Ort jeweils sehr individuell entwickelt. Das bedeutete für uns, die Neugestaltung ist jedenfalls eine Intervention in eine bestehende Entwicklung. Wir haben sehr strenge Leitlinien entworfen: Wie vermitteln wir? Was vermitteln wir? Das pädagogische Konzept hat uns Yariv Lapid erstellt. Wir haben uns dann für eine Vermittlung mit musealem Charakter entschieden. Es gibt hier viele historische Orte auf dem Gelände des ehemaligen KZ Mauthausen, und die Vermittlung geschieht dezentral an jeweils dem Ort, wo es passiert ist. Resultat waren rund 800 Quadratmeter Überblicksausstellung und 5 vertiefende Ausstellungen in der Grösse von je 400 Quadratmetern.
DAVID: Sie suchen neue Zugänge und vermitteln den Besuchern, dass sie selbst ein Teil eines permanent fortgeschriebenen Prozesses des Gedenkens sind. Der Sensationslust wollen Sie den Wind aus den Segeln nehmen und diese durch eine differenziertere Betrachtungsweise, durch Reflexion ersetzen.
Glück: Die vertiefende Ausstellung zur Massenvernichtung ist bereits fertig gestellt. Dazu haben wir zunächst eine Besucher-Evaluierung durchgeführt. Alle wollen die Gaskammer sehen. Warum? Konsequenterweise beginnt die Ausstellung mit dem Heute: Was wissen wir heute noch? Es geht darum, Orte der Vernichtung zu zeigen, nicht nur Gaskammern. Wir wollen den Irrglauben der Leute brechen und klar machen, der Massenmord hat überall stattgefunden. Das grösste Sterben hat ja im sogenannten Russenlager stattgefunden, das war der Sanitätsbereich. Heute ist dort nur eine leere Wiese zu sehen, es ist nicht ersichtlich, was sich hier abgespielt hat. Diese vertiefende Ausstellung zur Massenvernichtung ist der einzige Bereich, durch den man durchgehen muss, und zwar dann, wenn man zu den Krematorien und zur Gaskammer will. Diesem Ergebnis gingen fünf Tagungen voraus, wo die verschiedenen möglichen Zugänge diskutiert wurden.
Barbara Glück bei der Ausstellungs-Konzeption.
DAVID: Die Gaskammer ist nicht mehr betretbar?
Glück: Zur Gaskammer gab es ja zwei Zugänge, das war ein unwürdiger Zustand - welcher Sinn steckt denn darin, dass man so einfach durch diesen Raum des Schreckens durchgehen kann? Es ging aber auch um den Schutz der Bausubstanz. Heute findet der Besucher eine leichte Barriere vor, die ihn am Hineingehen hindert. Man muss ganz bewusst abbiegen, damit man die Gaskammer sieht - man kann sie sehen, aber man muss sie nicht sehen, wenn man das nicht möchte. Schliesslich ist das auch ein Gedenkort, der vielleicht jetzt erst so richtig bewusst wird. Wir haben die Frage noch nicht gelöst, ob die Gaskammer zugänglich sein soll oder nicht, aber eines ist mir klar: nur eine Tür aufsperren - zusperren, das ist als Konzept zu wenig!
Die Aufarbeitung der „leeren Wiese“, einst Stätte der Hinrichtungen.
DAVID: Sie sprachen auch noch von anderen Sonderausstellungen, an denen Sie arbeiten?
Glück: In der Küchenbaracke planen wir etwas zum Lager und dem Häftlingsalltag. Dort ist im Untergeschoss die gesamte Einrichtung einer Grossküche erhalten, das ist schon bemerkenswert. Was macht man nun damit?
DAVID: Diese Frage, wie man mit Vorhandenem umgeht, ohne zeitliche Verläufe und den Wandel im Zugang zu verschleiern, ist Ihnen sehr wichtig.
Glück: Die dritte Sonderausstellung wird in der Kommandatur angesiedelt sein. In den 1960er Jahren wurden dort die WC-Anlagen eingebaut, in den 1970er Jahren ein Lesecafé. Dort soll nun eine Ausstellung über die Wachmannschaften hinein. Konzeptionell geht es mir darum, Zeitfenster zu öffnen, wo man frühere Zustände sieht. Es geht um keine Rekonstruktion. Wir sind schliesslich auch nichts anderes als eine Intervention in einer Reihe von vielen - in Zukunft wird hier hoffentlich von jeder Generation weiter gestaltet werden!
DAVID: Wie soll der berüchtigte Steinbruch mit der Todesstiege von Mauthausen gestaltet werden?
Glück: Die vierte Sonderausstellung befasst sich mit den Zwangsarbeitern. Wir wollen beim Steinbruch Wissen darüber weitergeben, und die Ausstellung dort beispielsweise mit Gusen-Bergkristall, jener unterirdischen Flugzeug-Produktionsstätte, die von KZ-Häftlingen des Mauthausen-Nebenlagers Gusen II errichtet werden musste, verlinken.
Der „Raum der Namen“ in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.
81.000 Opfer sind hier namentlich gennant.
DAVID: Werden Sie den Besuchern Ihre Entscheidungen, warum die Gedenkstätte genau so gestaltet wurde, zugänglich machen, und sie an diesem Prozess teilhaben lassen?
Glück: Selbstverständlich wird es auch um die Rezeptionsgeschichte des Ortes gehen. Wie wird in Österreich mit diesem Ort umgegangen? Dieses Thema ist für mich eine ganz spezielle Herausforderung - allen Besuchern das Wissen zu vermitteln, auch ich bin morgen Teil dieser Geschichte. Es geht darum, ein Modul zu entwickeln, wo die Besucher ein Teil dieser Ausstellung, der Gestaltung werden - wie habe ich diesen Ort wahrgenommen?
DAVID: Bereiche, an denen äusserlich nichts von dem Geschehenen erkennbar ist, stellen wohl eine besondere Herausforderung dar - was tun mit einer leeren Wiese?
Glück: Ein weiteres Thema ist, wie geht man mit dem Aussenbereich um. Man geht heute an Wiesen vorbei und weiss nicht, was da war. Es handelt sich um insgesamt rund 30 Hektar Flächen. Ich denke da an Sehhilfen für die Besucher, und ein Informationssystem, das Besucher durch das Areal begleitet.
DAVID: Mich berührt am meisten an der Neukonzeption, dass endlich alle Namen der Opfer bekannt gemacht werden. Die Entpersonalisierung, die das NS-Regime mit seiner Propaganda gegen Millionen Menschen eingesetzt hat, um sie zu wehrlosen Opfern, und die Täter zu willigen Vollstreckern der Beraubungs- und Tötungsmaschinerie zu machen, wird damit neutralisiert. Den Menschen wird ihre Würde zurückgegeben. Sie dürfen wieder einen Namen haben, sie werden wieder vorstellbare, nachfühlbare Individuen. Diese entscheidende Gedenkarbeit wurde vom Zukunftsfonds der Republik Österreich mitfinanziert. Wie konnten diese abertausenden Namen gefunden werden?
Glück: Der Raum der Namen baut auf siebzehn einzelnen Datenbanken auf. 81.000 Namen sind bisher bekannt und hier verzeichnet. Im Archiv melden sich viele Nachkommen, es gibt jetzt schon mit drei Generationen sehr regen Kontakt: wer war mein Opa, was ist mit ihm passiert? Wir werden nie alle Namen wissen. Dafür haben wir symbolisch eine Lücke in der Darstellung gelassen. Die Arbeit an den Listen hat vor mehr als zehn Jahren begonnen.
DAVID: Als Leiterin der Gedenkstätte repräsentieren Sie das offizielle Gedenken eines Täterlandes. Wie charakterisieren Sie ihre Rolle für sich selbst?
Glück: Ich bekomme volle Unterstützung von meinen Vorgesetzten. Ich stehe ja hier für die Republik, und ich stehe dafür, einen offenen, flexiblen, sehr reflexiven Umgang mit den Fragen Konzentrationslager, Opfer, Täter zu pflegen. Das Stichwort für mich ist Intervention, das charakterisiert meine Rolle wohl am besten, und das ist mir immer bewusst.
DAVID: Herzlichen Glückwunsch zu der gelungenen Neukonzeption, und weiterhin viel Erfolg!
Information:
www.mauthausen-memorial.at
Jahrbücher KZ-Gedenkstätte Mauthausen/ Mauthausen Memorial, hg. v. Bundesministerium für Inneres. Wien 2007 ff.
Mauthausen Memorial neu gestalten. Rahmenkonzept für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, hg.v. Bundesministerium für Inneres, Abteilung IV/7. Wien 2009.
Mauthausen Memorial neu gestalten. „Was hat es mit mir zu tun?" Zum neuen Vermittlungskonzept an der Gedenkstätte Mauthausen, hg.v. Bundesministerium für Inneres, Abteilung IV/7. Wien o.J.
Bulletin Mauthausen, Ausgabe 01, Mai 2013, hg.v. Bundesministerium für Inneres, Wien 2013.
Alle Abbildungen Foto: Stephan Matyus. Fotoarchiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, mit freundlicher Genehmigung BMI IV/7.
Aus drucktechnischen Gründen wird auf die Wiedergabe der diakritischen Zeichen verzichtet.