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Das jüdische Speyer –

Alexander VERDNIK

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Aus historischer Sicht ist das jüdische Leben in Speyer von einem Wechsel zwischen Kontinuität und Stagnation gekennzeichnet. Trotz ihrer grossen religiösen und kulturellen Errungenschaften in Mitteleuropa waren auch die Speyrer Jüdinnen und Juden bis ins 20. Jahrhundert immer wieder Verfolgungen und Pogromen ausgesetzt, die im Holocaust kulminierten. Erst Mitte der 1990er Jahre kam es zu einer Revitalisierung des jüdischen Gemeindelebens. 

Im Jahre 1084 liess der Speyrer Bischof Rüdiger Hutzmann unmittelbar nach der Gründung der Kehillah (jüdischen Gemeinde) eine Mauer um die Ansiedlung errichten. Diese sollte dem Schutz der jüdischen Bevölkerung dienen. Zwölf Jahre später entstand in der Nähe des geschichtsträchtigen Speyrer Doms ein zweites jüdisches Ansiedlungszentrum. Im selben Jahr sahen sich die Jüdinnen und Juden im Zuge der Vorbereitungen für den Ersten Kreuzzug einer ersten christlichen Verfolgung ausgesetzt, in deren Verlauf elf Gemeindemitglieder ermordet wurden. Da die antijüdische Stimmung in den folgenden Jahren wieder abnahm, konnte 1104 die neu errichtete Synagoge der Gemeinde übergeben werden. In den 1120er Jahren entstand die Mikwe, das Ritualbad neben der Synagoge. Im 13. Jahrhundert erfolgte der Anbau der sogenannten Frauenschul, einem Betraum für die weiblichen Gemeindemitglieder. Heute befindet sich die Ruine der mittelalterlichen Synagoge im Speyrer Judenhof, der nunmehr als Museum dient. Die Mikwe, eine unterirdische Anlage, ist europaweit das älteste und grösste noch erhaltene Bauwerk dieser Art. Sie wurde in jüngster Zeit mit einer schützenden Glasüberdachung versehen. Auch die Ruinen der mittelalterlichen Synagoge wurden konserviert.

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Die mittelalterliche Judengasse in Speyer. Foto: A. Verdnik, mit freundlicher Genehmigung.

Im Hochmittelalter entwickelte sich Speyer zu einem Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit mit einer Jeschiwa von Rang und Namen. Seit 1156 zählten die gelehrten Rabbiner der so genannten SchUM-Gemeinden (hebr. Anfangsbuchstaben von Speyer, Worms und Mainz) zu den religiösen Autoritäten in Mitteleuropa. Auch während des Zweiten Kreuzzuges verlor ein Kehillah-Mitglied im Zuge der zunehmenden antijüdischen Hetze sein Leben. 1195 wurden neun Juden eines Ritualmordes bezichtigt und hingerichtet. Trotz aller Unsicherheiten, welche das Leben inmitten der - nicht selten feindlich gesinnten - christlichen Gemeinde mit sich brachte, nahm die Zahl der Speyrer Jüdinnen und Juden kontinuierlich zu. Sie wuchs von 300 auf 400 Mitglieder. Auf Grund der bestehenden Berufsverbote betätigten sich die meisten Juden als Kaufleute, Geldverleiher oder Gelehrte. 1286 wanderte eine Gruppe aus Rothenburg unter der Führung des Rabbiners Meir ben Baruch nach Erez Israel aus. Ihre zurückgelassenen Güter fielen umgehend Rudolf von Habsburg zu. Als der Schwarze Tod 1349 auch die Stadt Speyer heimsuchte, kam es zu einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, die - wie vielerorts - für das Auftreten der Pest verantwortlich gemacht wurden. Nach ihrer Wiederzulassung 1352 wurde die jüdische Gemeinde nicht als Kehillah (autonom) sondern unter der rechtlichen Zuständigkeit der Stadt Speyer organisiert. Mehrfache Vertreibungen bzw. Wiederzulassungen sowie wirtschaftliche und soziale Diskriminierungen verhinderten einen Anschluss an die Blütezeit vor dem Pest-Pogrom. 1468 installierte der Speyrer Bischof Matthias von Rammung einen Forderungskatalog, der stark in das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung eingriff. 

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Ruine der mittelalterlichen Synagoge. Foto: A. Verdnik, mit freundlicher Genehmigung.

Um das Jahr 1500 verlieren sich die Spuren jüdischen Lebens in Speyer, bereits 1529 wurden Synagoge und Mikwe als Waffenkammern genutzt. Seit 1641 gab es in Speyer wieder eine jüdische Gemeinde, die jedoch in Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges 1688 vertrieben wurde. Während des Krieges wurde die Stadt von den Truppen Ludwig XIV. in Brand gesteckt, wobei auch die Synagoge niederbrannte. Ab 1797 formte sich unter Simon Adler die neuzeitliche jüdische Gemeinde. 1837 wurde die neue Synagoge in der Hellergasse errichtet, 1888 der alte Friedhof zu Gunsten eines neuen in der Wormser Landstrasse geschlossen. Auf diesem Gottesacker wurden bis zum Jahre 1940 Gemeindemitglieder beigesetzt.  Die Anzahl der Jüdinnen und Juden stieg zwischen 1808 und 1880 von 80 auf 539. Während des Novemberpogroms 1938 zerstörten die Nationalsozialisten die Speyrer Synagoge. Im Oktober 1940 wurden 51 jüdische Speyrerinnen und Speyrer in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich deportiert. Unter den Opfern des NS-Terrors befand sich auch die 1891 als Jüdin geborene und 1922 zum Katholizismus konvertierte Glaubensschwester Dr. Edith Stein. Sie wurde am 9. August 1942 in Auschwitz ermordet.

1996 gründeten jüdische Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion den Jüdische Gemeinde e.V. Die Vorsitzenden der so genannten Tschuwa- oder Rückkehr-Gemeinde versuchen den osteuropäischen Jüdinnen und Juden ihre Religion, ihre Kultur und ihre Tradition zurückzugeben. Erster Vorsitzender der Gemeinde war der aus Estland stammende Schmuel Tepman. Seit 1999 unterrichtet ein Rabbiner sowohl Kinder als auch Erwachsene in Religion und Hebräisch. Über ein Netzwerk von sozialen Leistungen bietet die Gemeinde ihren neuen Mitgliedern Hilfestellungen beim Erlernen der deutschen Sprache und der Überwindung des Behördendschungels. Mit Unterstützung der Stadt Speyer organisiert die Gemeinde unterschiedlichste Projekte, veranstaltet Konzerte und Ausstellungen, die dem gegenwärtigen jüdischen Leben in Deutschland gewidmet sind.

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Der Judenhof war der zentrale Bezirk des jüdischen Viertels. Foto: A. Verdnik, mit freundlicher Genehmigung.

Im November 2011, 73 Jahre nach der Zerstörung des alten Tempels durch die Nationalsozialisten, wurde die neue Speyrer Synagoge Beith-Schalom (Haus des Friedens) eingeweiht. Unter den rund 120 offiziellen Gästen befanden sich Israel Epstein, der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Rheinpfalz, Ministerpräsident Kurt Beck und Oberbürgermeister Hansjörg Eger.

Literatur:

Johannes Bruno und Lenelotte Möller, Der Speyrer Judenhof und die mittelalterliche Gemeinde, hrsg. vom Verkehrsverein Speyer, Speyer 2001.

Johannes Bruno: Schicksale Speyrer Juden 1800 bis 1980 (Schriftenreihe der Stadt Speyer Bd. 12), Speyer 2000.

Johannes Bruno und Eberhard Dittus, Jüdisches Leben in Speyer. Einladung zu einem Rundgang, Speyer 2005.

Werner Transier, Städtisches Judentum des Mittelalters am Beispiel der Stadt Speyer (Vierteljahresheft des Verkehrsverein Speyer), Speyer 1996.