Ausgabe

Österreichs jüdische Themen im Jahr 2013:

Tina WALZER

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Jahrzehntelang war der 8. Mai 1945 für Österreich ein widersprüchlicher Tag - Erinnerung an die katastrophale Niederlage, oder Befreiung vom NS-Schreckensregime? Um das Wesen des Unheils wurde verbittert gerungen. Düstere Aufmärsche Deutschnationaler im Umkreis des Wiener Heldenplatzes beherrschten das Bild. 2013 ist alles anders: Das Gratiskonzert der Wiener Symphoniker Fest der Freude illustriert tatsächlich eine veränderte Erinnerungskultur in Österreich.

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Eva-Maria Gärtner vom Bundesdenkmalamt erklärt die Rekonstruktion des Oppenheimer-Grabmonument-Ensembles, von links: Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, Präsident Oskar Deutsch und Generalsekretär Raimund Fastenbauer von der IKG Wien. Foto: Tina Walzer 2013.

Woodstock in Wien: so mutete das Fest der Freude am diesjährigen 8. Mai auf dem Heldenplatz an. Bunte Gruppen junger Leute sitzen plaudernd auf dem Rasen rund um das Denkmal des österreichischen Erzherzogs Karl und lauschen - ausgerechnet - altmodischen Walzerklängen, von den Wiener Symphonikern unter dem ominösen Balkon der Machtergreifung Hitlers in schwungvoller Manier intoniert. Antifaschismus meets Sissy-Film bis spät in die Nacht, eine eigenwillige Mixtur. Dem Publikum gefällts, und so scheint genau der richtige Ton getroffen. Statt wechselseitiger verkrampfter Schuldzuweisungen ist nämlich eine fröhliche Entspanntheit zu beobachten, und damit auch eine Selbstverständlichkeit, die aufmerken lässt. Schon bei der Annäherung zum Festgelände herrscht dichter Trubel, Menschenmassen bewegen sich vom oder zum Heldenplatz, beschwingt, schlendernd, in Feiertagslaune jedenfalls, und der Strom reisst nicht ab. Frauen, Kinder, Alte, Familienväter, Manager und Teenager, alle im gutbürgerlichen Sonntagsstaat - und dazu jede Menge ausländischer Besucher. Offensichtlich gilt es, etwas zu feiern, nicht, zu betrauern. Das ist neu. Den Initiatoren - Wiener Symphonikern, Büro des Wiener Kulturstadtrates Andreas Mailath-Pokorny, Mauthausen Komitee Österreich, Gedenkdienst, Nikolaus Kunrath von den Wiener Grünen und anderen -  ist es damit gelungen, aktives Erinnern auf eine Art und Weise in einen offiziösen Akt zu giessen, die auf Anhänger und Laufkundschaft gleichermassen anziehend wirkt. Österreich, Land der Musik - wie wahr, denkt man, verblüfft ob des Effekts eines klassischen Konzerts. Es war ein kluger Schachzug, den Akt des Gedenkens mit einem Element zu verbinden, das Österreich sympathisch macht.

Neutralisierung der Vergangenheit

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Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Oskar Deutsch begutachten die Ausgrabungsergebnisse im Zelt der Archäologen. Die  geretteten Grabsteine wurden sorgsam mit der Schriftseite nach unten begraben. Foto: Kromus 2013. Mit freundlicher Genehmigung Stadt Wien.

„Aktives Erinnern" nennt Andreas Mailath-Pokorny diese Annäherung an Wiens Vergangenheit und betont die Neubewertung von Bestehendem: „Wer seine Vergangenheit kennt, hat die Chance aus ihr zu lernen. Wer seine Geschichte vergisst, verliert damit auch seine Identität." Die Ehrengräber der Stadt für Personen mit fragwürdigem Hintergrund aus der NS-Zeit heissen nun „Historische Gräber" und fordern zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Gedenken auf. Konsequenterweise wurde ein prominent gelegener Bereich der Wiener Innenstadt umbenannt  - der Name des als „Vater des politischen Antisemitismus in Österreich" bekannten Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844 - 1910) an der Wiener Ringstrasse wurde durch die neutrale Bezeichnung „Universitätsring" ersetzt. Ein Stück Normalität hat so, unspektakulär, aber nachhaltig, in den Alltag der Beziehungen zur jüdischen Gemeinde Einzug gehalten. Bereits 2009 haben die in Wien ausgetragenen Europäischen Makkabi Spiele auch eine neue Selbstverständlichkeit jüdischer Präsenz in der Stadt sichtbar werden lassen, und zwar auf beiden Seiten. Ein Bezug zu Österreich als Heimat, der nicht mehr ständig infrage gestellt wird, markiert den Übergang von der Vergangenheit in die Gegenwart. Nun scheint die Zeit auch reif, Problemfelder zu lösen, statt eine Auseinandersetzung damit weiter zu verschieben.

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Blick über die Baustelle auf dem jüdischen Friedhof Seegasse. Foto:Tina Walzer 2013.

Sensationsfund in der Seegasse

  

Bund und Stadt Wien engagieren sich in erfreulicher Einmütigkeit bei der Erschliessung des jüdischen Friedhofes Seegasse. Es handelt sich um den ältesten erhaltenen jüdischen Friedhof Österreichs, der bis ins späte 15. Jahrhundert zurück dokumentiert ist. Jahrzehntelang war in dem heutigen Hinterhof eines Altersheims eine leere Wiese zu sehen - bis 1941 waren hier über 1.000 wertvolle Renaissance- und Barockgrabmonumente gestanden. Nach der Umgestaltung des Totenackers in einen Kinderspielplatz und der improvisierten Rettung der Denkmäler ging das Wissen um die damaligen Ereignisse verloren. Erst ein Zufallsfund in den 1980er Jahren auf dem Wiener Zentralfriedhof, wo unerwartet mehr als 300 versteckte Grabsteine auftauchten, brachte wieder mehr Aufmerksamkeit für den vergessenen Kultort im 9. Bezirk. Zwei Drittel der Steine wurden auf dem abgeräumten Friedhof wieder aufgestellt, die restlichen blieben in einer Wiese liegen - was ihrem Erhaltungszustand nicht unbedingt förderlich war. Seit einigen Jahren sind nun Restauratoren unter Anleitung des Bundesdenkmalamtes damit beschäftigt, die übrig gebliebenen Steine genauso wie jene in der Seegasse selbst zu sichern und fachgerecht zu überarbeiten. Finanziert wird das Projekt vom Wiener Altstadterhaltungsfonds und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Dabei ergab sich ein Glücksfall. Chizkiya Kalmanowitz, ein von der IKG Wien hinzugezogener Rabbiner, der die Einhaltung religiöser Regeln überwacht, hatte die zündende Idee, unter der Grasnarbe des Areals nachzusehen, was sich wohl dort verberge. Die Wiener orthodoxe Nachkriegsgemeinde hatte sich in Hinblick auf die rituellen Vorschriften immer geweigert, solche Untersuchungen zuzulassen - den Vorschlag des eigens engagierten Experten nahm man dann aber glücklicherweise doch an. Und siehe da, bisher konnten bereits Monumente der beiden berühmtesten mitteleuropäischen Hoffaktorenfamilien, Samuel Oppenheimer und Samson Wertheimer, ergraben werden. Tatsächlich hatten während der NS-Zeit, als der Friedhof von der Zerstörung bedroht war, Ernst Feldsberg und seine Mitarbeiter der Wiener jüdischen Friedhofskommission jene Grabsteine, die nicht abtransportiert und bei Tor 4 des Zentralfriedhofes versteckt werden konnten, umgelegt und vor Ort vergraben - in mehreren Schichten, fein säuberlich durch Erdauflagen voneinander getrennt. Feldsberg rettete die Steine, um die Erinnerung an Wiens jüdische Vergangenheit für die Zukunft zu bewahren.

Das Landeskonservatorat für Wien des österreichischen Bundesdenkmalamtes ist zu Recht stolz auf diese Wiederentdeckung und streicht die Bedeutung der jüdischen Friedhöfe heraus. Beim kommenden Tag des Denkmals am 29. September werden Führungen auf dem jüdischen Friedhof Seegasse sowie zu besonderen Grabmonumenten am alten jüdischen Teil des Zentralfriedhofes bei Tor 1 angeboten. Die Steinrestauratoren Heinz Stöffler und Klaus Wedenig erläutern ihre Restaurierziele sowie Bedeutung und Hintergrund der Grabmonumente. Bei Tor 1 liegt das Augenmerk auf erst kürzlich restaurierten Mausoleen, die von den bekannten jüdischen Architekten Carl König und Max Fleischer gestaltet sind.

Renaissance der jüdischen Kultur

  

Die Stadt Hohenems in Vorarlberg hat eine lange jüdische Geschichte, aber seit der NS-Zeit keine jüdischen Gemeinde mehr. 1991 eröffnete ein hervorragendes jüdisches Museum, das sich mittlerweile zu einem Highlight der gesamten Bodensee-Region entwickelt hat. Mit dem Kulturfestival Emsiana gibt es in Hohenems seit einigen Jahren auch eine Veranstaltungsreihe, in deren Rahmen unter anderem die Gebäude des einstigen jüdischen Viertels durch Ausstellungen von Künstlern belebt werden. Ein kulinarischer Abend unter dem Titel „Jüdische Koch-Show" ergänzt die Themenführungen des jüdischen Museums, bei denen auch der jüdische Friedhof nicht fehlen darf. 2013 stand die Emsiana unter dem Motto „Handel, Wandel, Migration", und der jüdische Anteil der Stadtgeschichte wurde ganz selbstverständlich in die Gesamtdarstellung integriert. Emsiana, so die Veranstalter, heisst „ein Wochenende lang in die Beziehungen zwischen Geschichte und Gegenwart eintauchen." Im heurigen April folgten 2.000 Besucher dieser Einladung. An der Planung für das kommende Jahr wird bereits gearbeitet, vom 7. bis zum 11. Mai 2014 wird Hohenems wieder „zur kleinsten europäischen Kulturmetropole", wie die Veranstalter stolz verkünden. Man hat den Eindruck, „jüdisch" ist in und eignet sich, mit oder ohne Juden, als Projektionsfolie auf der Suche nach der eigenen Identität.

Informationen:

Eva-Maria Gärtner, Der jüdische Friedhof in der Seegasse. Der Grabstein von Rabbi Sabbatai Scheftel. Hg. v. Bundesdenkmalamt Landeskonservatorat für Wien. o.O. 2012. (= Wiederhergestellt, Heft 20)

Andreas Mailath-Pokorny, Lueger - und die Wiener Erinnerungskultur. Manuskript. Wien 2012.  Zur Verfügung gestellt von Daniel Benyes.

Daniel Benyes, Erinnern für die Zukunft. Wien und seine Gedächtniskultur. Hg. Stadt Wien - Presse- und Informationsdienst. Wien 2012.

  

Tag des Denkmals, 29. September 2013, 10.00 - 16.00 Uhr: „aus Stein?" Fünf jüdische Friedhöfe und Mausoleen geben Einblick.  In Wien, Eisenstadt und Steyr können BesucherInnen am Denkmaltag jüdische Friedhöfe und ihre Mausoleen kennenlernen. Führungen durch ExpertInnen erzählen die Geschichte der Begräbnisstätten und beleuchten die Rolle von Stein als Symbol- und Gedächtnisträger. Führungen Tor 1: 11.00 Uhr und 14.00 Uhr http://www.tagdesdenkmals.at, www.klauswedenig.at, www.ikg-wien.at  

  

Emsiana - Kulturfestival: www.emsiana.at; Tourismusbüro Hohenems, Schweizer Straße 10, A-6845 Hohenems, T +43-55 76-427 80; Jüdisches Museum Hohenems http://www.jm-hohenems.at/