Kay Schweigmann-Greve: Chaim Zhitlowsky: Philosoph, Sozialrevolutionär und Theoretiker einer säkularen nationaljüdischen Identität.
Hannover: Wehrhahn Verlag 2012.
470 Seiten. 39,80 Euro
ISBN 978-3-86525-268-5
Kay Schweigmann-Greve hat Chaim Zhitlowsky (1865 - 1943), den zu seinen Lebzeiten so einflussreichen und bedeutenden und seither vor allem im deutschen Sprachraum so vergessenen Theoretiker einer säkularen jüdischen Identität und einer Synthese zwischen Jiddischismus und Sozialismus wieder ins Bewusstsein der intellektuellen Öffentlichkeit gehoben.
Chaim Zhitlowsky stammte aus einer orthodox-jüdischen Familie in Witebsk in Weissrussland. Sein Vater, ein Kaufmann, studierte in der berühmten Jeschiwa von Woloschin und war vom Chassidismus beeinflusst. Zhitlowsky begann früh säkulare und revolutionäre Literatur zu lesen und war sehr beeinflusst von seinem engen Jugendfreund Schlomo Rapoport (An-Ski). 1892 promovierte er an der Universität Bern über mittelalterliche jüdische Philosophie. Zhitlowsky verfasste eine jiddische Philosophiegeschichte und schrieb über Spinoza, Kant, Marx, Nietzsche und Tolstoi.
1888 heiratete er die Nichtjüdin Vera Lochow; seine 6 Kinder betrachteten sich nicht als jüdisch. 1908 war er einer der Organisatoren der jiddischen Sprachkonferenz in Czernowitz. Er setzte sich kritisch mit dem Marxismus auseinander und engagierte sich in der Sozialrevolutionären Partei, für die er 1904 eine Propagandatour in die USA unternahm. 1908 übersiedelte er permanent nach New York, unterbrochen von Vortragsreisen nach Mitteleuropa und Palästina. Er schrieb für die Tageszeitung "Der tog" und gab mit Shmuel Niger die Zeitschrift "Dos naie Leben" heraus. Seine letzten Jahre waren von Konflikten wegen seiner unkritischen Haltung zu Stalin überschattet.
Die Studie entstand als Dissertation an der Universität Potsdam und ist eine exzellente Einführung in das Werk und das politische Leben und Engagement Zhitlowskys, der eine 10bändige Werkausgabe und eine dreibändige jiddische Autobiographie hinterließ. Sein umfangreicher Nachlass im YIVO in New York harrt bis heute der Auswertung.