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Projekte der Erinnerung in Graz und in Wien

Tina WALZER

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Graz setzt alljährlich zu Sommerbeginn mit der Styriarte kulturelle Glanzlichter - 2009 bildete George Gershwins Porgy and Bess unter Nikolaus Harnoncourt den fulminanten Programmhöhepunkt, neben einer Reihe von Konzerten im historischen Stephanie-Saal mit ausgezeichneten internationalen Orchestern. George Gershwin (26. 9. 1898 - 11. 7. 1937), eigentlich Jacob Gershovitz, als Kind russisch-jüdischer Einwanderer in Brooklyn, New York City geboren, schuf mit Porgy and Bess eine grosse Oper. Er integrierte in sein wohl bekanntestes Werk die afro-amerikanische Musiktradition mit Elementen aus Spirituals, Blues und Jazz, ohne daneben die Musiksprache seines persönlichen, jüdischen Kontextes zu verleugnen.

Harnoncourt ist es gelungen, die vielfältigen musikalischen Schichten des Werkes freizulegen, von der Patina der üblichen Musical- Aufführungspraxis zu befreien und eine überzeugende Interpretation der amerikanischen Oper vorzulegen.

Die Grazer Kleine Zeitung hatte bereits zu Jahresbeginn 2009 begonnen, an einem vom deutschen Künstler Jochen Gerz (geb. 4. 4. 1940 Berlin) initiierten Projekt, 63 Jahre danach, auf ganz spezielle Weise mitzuarbeiten. Zwischen Januar und März wurden Bilder aus der NS-Zeit publiziert und die Leser aufgefordert, jene Aufnahmen auszuwählen, die ihnen für den Umgang mit jener Zeit am meisten geeignet erschienen.

Das Projekt war aus einer Arbeit Gerz' zum ehemaligen steirischen NS-Gauleiter, Ich Sigfried Uiberreither Landeshauptmann, am Grazer Burgtor hervorgegangen; im Mittelpunkt stand weiterhin die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Bis Ende März 2009 gingen rund 5.000 Votings in der Redaktion der Kleinen Zeitung ein. Aus den insgesamt 96 von Historikern, Kunsthistorikern und Soziologen kommentierten Aufnahmen des Alltags der NS-Zeit wählten die Leser der Kleinen Zeitung 48 Bilder aus.

In einer zweiten Projektphase hatten die Landtagsabgeordneten des Landes Steiermark die Aufgabe, eigene Texte zu den ausgewählten Bildern zu verfassen. In einem dritten Schritt wurden Bilder und Texte gemeinsam veröffentlicht, daraus 24 Bild-Text-Objekte gestaltet und an 24 Orten in der Steiermark öffentlich gezeigt. Sie spiegeln wieder, was in der Steiermark tatsächlich zur Erinnerungsarbeit gewählt und damit möglich wird, und in welchem Ausmass dies öffentlich geschehen kann.

Der künstlerische Ansatz von Gerz, Betrachter zu Benutzern und Autoren seiner Kunst zu machen und damit einen Teil der Verantwortung für die Entstehung eines Werks der Öffentlichkeit zu übertragen, verband sich hier in eindrücklicher Weise mit einem weitgehend tabuisierten Kapitel der österreichischen Alltagsgeschichte.

Um eine andere Art der Rekonstruktion von Alltagsgeschichte ging es den Initiatoren des Projektes Herklotzgasse 21 und die jüdischen Räume in einem Wiener Grätzel im Wiener 15. Bezirk. Nachdem 2008 eine äusserst erfolgreiche Ausstellung, Das Dreieck meiner Kindheit  - eine jüdische Vorstadtgemeinde in Wien XV gezeigt worden war, entwickelte sich daraus eine permanente Beschäftigung mit der jüdischen Vergangenheit eines Stadtteiles.

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Das Dreieck meiner Kindheit. Abbildung mit freundlicher Genehmigung dieloop.at.

Im November 2009 konnte der Audioguide Orte erinnern - Menschen erzählen präsentiert werden. Die Familiengeschichte von Inge Rowhani-Ennemoser, Bericht vom Verlust der Welt hatte die Bürogemeinschaft dieloop.at und den Bundesdachverband für soziale Unternehmen, die beide im Haus Herklotzgasse 21 arbeiten, auf die Idee gebracht, das Projekt ins Leben zu rufen. Moshe Jahoda gab der Ausstellung ihren Namen, als er im ersten Interview, das zur Vorbereitung geführt wurde, bemerkte:

„In meinen Kindheitserinnerungen ist dieses Dreieck Herklotzgasse 21, der Turnertempel und die Storchenschul-, ähnlich einer Burg mit drei Türmen umgeben von einem drohenden Vulkan, welcher jederzeit ruhen oder ausbrechen hätte können."

17 Überlebende, die im Viertel ihre Kindheit und Jugend verbracht hatten, stellten sich für die Aufarbeitung dieser Stadtteil-Geschichte zur Verfügung. Ihre Interviews, aber auch persönliche Erinnerungsstücke konnten in der Ausstellung als eindrucksvolle, auch sehr berührende Zeugnisse einer untergegangenen Welt präsentiert werden.

An zehn Orten wurden Text-Bildtafeln angebracht, die Hörstationen sind per Telefon abrufbar; ausserdem können sie im Internet heruntergeladen werden; www.herklotzgasse21.at.

Unweit der Herklotzgasse wurde am 27. Januar 2010 in der Berufsschule für Industrie, Finanzen und Transport in der Wiener Längenfeldgasse 13-15 die Wanderausstellung Die Kinder von Maison d´Izieu eröffnet. Sie wird im Laufe des Jahres an Berufsschulen im ganzen Land zu sehen sein (Termine: www.millisegal.at).

Ab Mai 1943 waren über einhundert jüdische Kinder, deren Eltern bereits in KZs deportiert waren, für knapp ein Jahr im kleinen Dorf Izieu nahe Lyon in einem Ferienheim versteckt. Am 6. April wurden 44 Kinder, sieben davon aus Wien, gemeinsam mit ihren Erziehern verhaftet und deportiert. Der Gross-teil der Gruppe wurde nach Auschwitz gebracht und kurz nach der Ankunft ermordet.

Die Ausstellung zeigt Fotografien, die vor der Deportation entstanden sind, spielende, fröhliche Kinder. Das Wissen um das weitere Schicksal des Abgebildeten macht die Tragik der Shoa ganz unmittelbar erfahrbar.

Gerade angesichts der Vorfälle im vergangenen Jahr - des eklatanten Fehlverhaltens österreichischer Schüler bei einem Besuch in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz, aber auch der Attacke Jugendlicher auf eine Gruppe Überlebender des KZ Mauthausen bei einer Gedenkveranstaltung im Nebenlager Ebensee - scheint es dringend angebracht, Kindern und Jugendlichen die Schicksale ermordeter Gleichaltriger näher zu bringen.

Mit dem Alltag der Kinder konfrontiert, lernen sie vielleicht, echte Empathie für deren unendlich trauriges Ende zu entwickeln.

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Die Kinder von Maison d' Izieu. Copyright: Maison d' Izieu, Abdruck mit freundlicher Genehmigung M. Segal.

Literaturhinweise:

Judith Pühringer/ Michael Kofler/ Georg Traska (Hg.): Das Dreieck meiner Kindheit. Eine jüdische Vorstadtgemeinde in Wien. Wien: Mandelbaum Verlag 2008.
223 Seiten , Euro 19.90.-
ISBN: 978385476-279-9 vergriffen

  

Zur Lebensgeschichte einer der Teilnehmerinnen des Projektes Herklotzgasse siehe auch Diese Geschichten sollen verewigt werden! Chava Blodek Kopelman im Interview. In: DAVID, Heft 79 (2009).